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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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an Fig. IV. 9. 8. und 7., wo die Sternchen uns das außerordentlich
geringe Maaß der Kurztriebe veranschaulichen.

Diese wissenschaftliche Bewandtniß hat es mit der Kronenabwölbung,
die bei den verschiedenen Laubholzarten eine große Manchfaltigkeit ihrer
Erscheinungen zeigt.

Wenn nun auch der Standort und die Verschiedenheit des Schlusses,
bis zur völligen Freistellung, einen bedeutenden Einfluß auf dieselbe
ausübt, so zeigen dennoch fast alle unsere Laubhölzer darin charakteristische
Eigenheiten, die es dem Geübten möglich machen, schon aus der Ferne
aus der Kronenabwölbung eine Baumart zu erkennen; wenn schon nicht
behauptet werden soll, daß man dabei niemals irren sollte. Hier kommt
nun aber das noch hinzu, was wir in dem Abschnitt über die Architektur
der Bäume kennen gelernt haben (S. 210).

Wollen wir hier die Frage aufwerfen, ob den Laub- oder ob den
Nadelbäumen ein höheres Alter zu erreichen vergönnt sei, so ist hier
zunächst hervorzuheben, daß man mit einiger Sicherheit keinen Laub-
holzbaum nachweisen kann, der das Alter des Braburnschen Taxus
(S. 351) hätte. Aber dennoch scheint dies nur eine Ausnahme, und im
Ganzen die Lebensdauer der Laubhölzer eine längere zu sein. Meist
aber wird das Alter der Laubbäume von Unkundigen überschätzt. Eine
alte majestätische Eiche macht einen so gewaltigen Eindruck auf den
empfindsamen Beschauer, daß er gleich an ein Jahrtausend denkt, "was
über ihren Scheitel dahin gezogen ist". Die weit und breit berühmte
"Königseiche" auf dem Ehrenberger Stadtrevier bei Leipzig ist bei
4 Ellen Stammdurchmesser schwerlich über 400 Jahre alt, denn sie ist
auf fruchtbarem Auenboden erwachsen. Die "schöne Buche" auf Lange-
brücker Revier bei Dresden, 3 Ellen im Durchmesser, bei der Buche
schon eine außerordentliche Stärke, wird nur auf 150 Jahre geschätzt.
Wie ganz anders müssen die Wachsthumsverhältnisse eines Buchsbaumes
sein, von dem mir eine Stammscheibe von nur 9 par. Zoll Durchmesser
vorliegt, die aber nicht weniger als 333 Jahrringe zählt! Das höchste
Alter unter unseren deutschen Laubbäumen scheint die Linde erreichen zu
können wie aus mehreren geschichtlich denkwürdigen Linden hervorgeht,
deren es übrigens viel mehr als berühmter Eichen giebt, was jedenfalls

an Fig. IV. 9. 8. und 7., wo die Sternchen uns das außerordentlich
geringe Maaß der Kurztriebe veranſchaulichen.

Dieſe wiſſenſchaftliche Bewandtniß hat es mit der Kronenabwölbung,
die bei den verſchiedenen Laubholzarten eine große Manchfaltigkeit ihrer
Erſcheinungen zeigt.

Wenn nun auch der Standort und die Verſchiedenheit des Schluſſes,
bis zur völligen Freiſtellung, einen bedeutenden Einfluß auf dieſelbe
ausübt, ſo zeigen dennoch faſt alle unſere Laubhölzer darin charakteriſtiſche
Eigenheiten, die es dem Geübten möglich machen, ſchon aus der Ferne
aus der Kronenabwölbung eine Baumart zu erkennen; wenn ſchon nicht
behauptet werden ſoll, daß man dabei niemals irren ſollte. Hier kommt
nun aber das noch hinzu, was wir in dem Abſchnitt über die Architektur
der Bäume kennen gelernt haben (S. 210).

Wollen wir hier die Frage aufwerfen, ob den Laub- oder ob den
Nadelbäumen ein höheres Alter zu erreichen vergönnt ſei, ſo iſt hier
zunächſt hervorzuheben, daß man mit einiger Sicherheit keinen Laub-
holzbaum nachweiſen kann, der das Alter des Braburnſchen Taxus
(S. 351) hätte. Aber dennoch ſcheint dies nur eine Ausnahme, und im
Ganzen die Lebensdauer der Laubhölzer eine längere zu ſein. Meiſt
aber wird das Alter der Laubbäume von Unkundigen überſchätzt. Eine
alte majeſtätiſche Eiche macht einen ſo gewaltigen Eindruck auf den
empfindſamen Beſchauer, daß er gleich an ein Jahrtauſend denkt, „was
über ihren Scheitel dahin gezogen iſt“. Die weit und breit berühmte
„Königseiche“ auf dem Ehrenberger Stadtrevier bei Leipzig iſt bei
4 Ellen Stammdurchmeſſer ſchwerlich über 400 Jahre alt, denn ſie iſt
auf fruchtbarem Auenboden erwachſen. Die „ſchöne Buche“ auf Lange-
brücker Revier bei Dresden, 3 Ellen im Durchmeſſer, bei der Buche
ſchon eine außerordentliche Stärke, wird nur auf 150 Jahre geſchätzt.
Wie ganz anders müſſen die Wachsthumsverhältniſſe eines Buchsbaumes
ſein, von dem mir eine Stammſcheibe von nur 9 par. Zoll Durchmeſſer
vorliegt, die aber nicht weniger als 333 Jahrringe zählt! Das höchſte
Alter unter unſeren deutſchen Laubbäumen ſcheint die Linde erreichen zu
können wie aus mehreren geſchichtlich denkwürdigen Linden hervorgeht,
deren es übrigens viel mehr als berühmter Eichen giebt, was jedenfalls

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[363/0397] an Fig. IV. 9. 8. und 7., wo die Sternchen uns das außerordentlich geringe Maaß der Kurztriebe veranſchaulichen. Dieſe wiſſenſchaftliche Bewandtniß hat es mit der Kronenabwölbung, die bei den verſchiedenen Laubholzarten eine große Manchfaltigkeit ihrer Erſcheinungen zeigt. Wenn nun auch der Standort und die Verſchiedenheit des Schluſſes, bis zur völligen Freiſtellung, einen bedeutenden Einfluß auf dieſelbe ausübt, ſo zeigen dennoch faſt alle unſere Laubhölzer darin charakteriſtiſche Eigenheiten, die es dem Geübten möglich machen, ſchon aus der Ferne aus der Kronenabwölbung eine Baumart zu erkennen; wenn ſchon nicht behauptet werden ſoll, daß man dabei niemals irren ſollte. Hier kommt nun aber das noch hinzu, was wir in dem Abſchnitt über die Architektur der Bäume kennen gelernt haben (S. 210). Wollen wir hier die Frage aufwerfen, ob den Laub- oder ob den Nadelbäumen ein höheres Alter zu erreichen vergönnt ſei, ſo iſt hier zunächſt hervorzuheben, daß man mit einiger Sicherheit keinen Laub- holzbaum nachweiſen kann, der das Alter des Braburnſchen Taxus (S. 351) hätte. Aber dennoch ſcheint dies nur eine Ausnahme, und im Ganzen die Lebensdauer der Laubhölzer eine längere zu ſein. Meiſt aber wird das Alter der Laubbäume von Unkundigen überſchätzt. Eine alte majeſtätiſche Eiche macht einen ſo gewaltigen Eindruck auf den empfindſamen Beſchauer, daß er gleich an ein Jahrtauſend denkt, „was über ihren Scheitel dahin gezogen iſt“. Die weit und breit berühmte „Königseiche“ auf dem Ehrenberger Stadtrevier bei Leipzig iſt bei 4 Ellen Stammdurchmeſſer ſchwerlich über 400 Jahre alt, denn ſie iſt auf fruchtbarem Auenboden erwachſen. Die „ſchöne Buche“ auf Lange- brücker Revier bei Dresden, 3 Ellen im Durchmeſſer, bei der Buche ſchon eine außerordentliche Stärke, wird nur auf 150 Jahre geſchätzt. Wie ganz anders müſſen die Wachsthumsverhältniſſe eines Buchsbaumes ſein, von dem mir eine Stammſcheibe von nur 9 par. Zoll Durchmeſſer vorliegt, die aber nicht weniger als 333 Jahrringe zählt! Das höchſte Alter unter unſeren deutſchen Laubbäumen ſcheint die Linde erreichen zu können wie aus mehreren geſchichtlich denkwürdigen Linden hervorgeht, deren es übrigens viel mehr als berühmter Eichen giebt, was jedenfalls

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/397>, abgerufen am 23.12.2024.