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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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Der Wurzelstock der Tanne hat eine ziemlich tiefgehende Pfahlwurzel
und sich in der Oberfläche des Bodens verbreitende zahlreiche Seitenwurzeln.
Die Tanne steht also fester als die Fichte. Das Tannenholz ist sehr
weiß ohne Unterschied von Kern und Splint, sehr gradspaltig und (mit
dem Taxusholze) von den übrigen ächten Nadelholzarten dadurch sehr be-
stimmt zu unterscheiden, daß es durchaus keine Harzporen hat.

Abarten von der Tanne giebt es nicht, indem selbst nach der Stand-
ortsverschiedenheit individuelle Abänderungen kaum vorkommen, die wir
bei der Fichte und bei der Kiefer kennen gelernt haben. Wohl aber zeigt
die Tanne sehr häufig krüppelhafte Gestalten, namentlich sind die frei-
stehenden alten Bäume einander selten sehr ähnlich und überhaupt zeigt
die Tanne viel mehr als die Fichte das Bedürfniß der Individualisirung.
Unterdrücktstehende jungscheinende, in der That aber oft schon ziemlich
alte Tannen zeigen die merkwürdige Erscheinung, daß an den jährlich
einander folgenden Quirlen immer bloß ein Trieb, dies aber auch um
destomehr sich zu einem Zweige verlängert und daß diese entwickelungsfähigen
Triebe der dicht übereinander stehenden Quirle in der Weise abwechseln,
daß eine Schraubenlinie fertig wird.

Vergleichen wir in ästhetischer Auffassung eine alte Fichte und eine
alte Tanne, diese in unbegreiflicher Weise so oft verkannten und verwechselten
Bäume, so kann man jene das Bild der feierlichen Würde, diese das
der trotzigen Kraft nennen.

Was den natürlichen Standort der Tanne betrifft, so scheint sie
nicht sehr an bestimmte Gesteinsbeschaffenheit des Bodens gebunden zu
sein, doch besonders einen frischen Lehmboden zu lieben. Ihre Ver-
breitung
ist viel beschränkter als die der Kiefer und Fichte und die Linie

Wipfelbruch oder sonst verstümmelt worden waren, bis 60 solcher Nebenwipfel, welche
jedoch nicht durch Aufstreben der Aeste sondern dadurch hervorgebracht waren, daß auf
den horizontal sich ausstreckenden Aesten sich einzelne Triebe zu förmlichen selbstständigen
Bäumen entwickeln. Besonders bemerkenswerth ist es, daß diese Tanne ein außer-
ordentliches Ausschlagsvermögen hat, welches, wie wir wissen, den Nadelhölzern sonst
beinahe gänzlich abgeht. Da diese Tanne in Arkadien nie unter 2000 F. Seehöhe
wächst, so ist zu vermuthen, daß sie in unserem Klima gut gedeihen werde. Die griechische
Regierung hat im vorigen Jahre (1861) dieser Tanne wegen eine besondere Expedition
in die arkadischen Gebirge geschickt und dieser auch einen Photographen beigegeben,
welcher hoffentlich auch uns mit den abenteuerlichen Gestalten dieses Baumes bekannt
machen wird.

Der Wurzelſtock der Tanne hat eine ziemlich tiefgehende Pfahlwurzel
und ſich in der Oberfläche des Bodens verbreitende zahlreiche Seitenwurzeln.
Die Tanne ſteht alſo feſter als die Fichte. Das Tannenholz iſt ſehr
weiß ohne Unterſchied von Kern und Splint, ſehr gradſpaltig und (mit
dem Taxusholze) von den übrigen ächten Nadelholzarten dadurch ſehr be-
ſtimmt zu unterſcheiden, daß es durchaus keine Harzporen hat.

Abarten von der Tanne giebt es nicht, indem ſelbſt nach der Stand-
ortsverſchiedenheit individuelle Abänderungen kaum vorkommen, die wir
bei der Fichte und bei der Kiefer kennen gelernt haben. Wohl aber zeigt
die Tanne ſehr häufig krüppelhafte Geſtalten, namentlich ſind die frei-
ſtehenden alten Bäume einander ſelten ſehr ähnlich und überhaupt zeigt
die Tanne viel mehr als die Fichte das Bedürfniß der Individualiſirung.
Unterdrücktſtehende jungſcheinende, in der That aber oft ſchon ziemlich
alte Tannen zeigen die merkwürdige Erſcheinung, daß an den jährlich
einander folgenden Quirlen immer bloß ein Trieb, dies aber auch um
deſtomehr ſich zu einem Zweige verlängert und daß dieſe entwickelungsfähigen
Triebe der dicht übereinander ſtehenden Quirle in der Weiſe abwechſeln,
daß eine Schraubenlinie fertig wird.

Vergleichen wir in äſthetiſcher Auffaſſung eine alte Fichte und eine
alte Tanne, dieſe in unbegreiflicher Weiſe ſo oft verkannten und verwechſelten
Bäume, ſo kann man jene das Bild der feierlichen Würde, dieſe das
der trotzigen Kraft nennen.

Was den natürlichen Standort der Tanne betrifft, ſo ſcheint ſie
nicht ſehr an beſtimmte Geſteinsbeſchaffenheit des Bodens gebunden zu
ſein, doch beſonders einen friſchen Lehmboden zu lieben. Ihre Ver-
breitung
iſt viel beſchränkter als die der Kiefer und Fichte und die Linie

Wipfelbruch oder ſonſt verſtümmelt worden waren, bis 60 ſolcher Nebenwipfel, welche
jedoch nicht durch Aufſtreben der Aeſte ſondern dadurch hervorgebracht waren, daß auf
den horizontal ſich ausſtreckenden Aeſten ſich einzelne Triebe zu förmlichen ſelbſtſtändigen
Bäumen entwickeln. Beſonders bemerkenswerth iſt es, daß dieſe Tanne ein außer-
ordentliches Ausſchlagsvermögen hat, welches, wie wir wiſſen, den Nadelhölzern ſonſt
beinahe gänzlich abgeht. Da dieſe Tanne in Arkadien nie unter 2000 F. Seehöhe
wächſt, ſo iſt zu vermuthen, daß ſie in unſerem Klima gut gedeihen werde. Die griechiſche
Regierung hat im vorigen Jahre (1861) dieſer Tanne wegen eine beſondere Expedition
in die arkadiſchen Gebirge geſchickt und dieſer auch einen Photographen beigegeben,
welcher hoffentlich auch uns mit den abenteuerlichen Geſtalten dieſes Baumes bekannt
machen wird.
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[331/0363] Der Wurzelſtock der Tanne hat eine ziemlich tiefgehende Pfahlwurzel und ſich in der Oberfläche des Bodens verbreitende zahlreiche Seitenwurzeln. Die Tanne ſteht alſo feſter als die Fichte. Das Tannenholz iſt ſehr weiß ohne Unterſchied von Kern und Splint, ſehr gradſpaltig und (mit dem Taxusholze) von den übrigen ächten Nadelholzarten dadurch ſehr be- ſtimmt zu unterſcheiden, daß es durchaus keine Harzporen hat. Abarten von der Tanne giebt es nicht, indem ſelbſt nach der Stand- ortsverſchiedenheit individuelle Abänderungen kaum vorkommen, die wir bei der Fichte und bei der Kiefer kennen gelernt haben. Wohl aber zeigt die Tanne ſehr häufig krüppelhafte Geſtalten, namentlich ſind die frei- ſtehenden alten Bäume einander ſelten ſehr ähnlich und überhaupt zeigt die Tanne viel mehr als die Fichte das Bedürfniß der Individualiſirung. Unterdrücktſtehende jungſcheinende, in der That aber oft ſchon ziemlich alte Tannen zeigen die merkwürdige Erſcheinung, daß an den jährlich einander folgenden Quirlen immer bloß ein Trieb, dies aber auch um deſtomehr ſich zu einem Zweige verlängert und daß dieſe entwickelungsfähigen Triebe der dicht übereinander ſtehenden Quirle in der Weiſe abwechſeln, daß eine Schraubenlinie fertig wird. Vergleichen wir in äſthetiſcher Auffaſſung eine alte Fichte und eine alte Tanne, dieſe in unbegreiflicher Weiſe ſo oft verkannten und verwechſelten Bäume, ſo kann man jene das Bild der feierlichen Würde, dieſe das der trotzigen Kraft nennen. Was den natürlichen Standort der Tanne betrifft, ſo ſcheint ſie nicht ſehr an beſtimmte Geſteinsbeſchaffenheit des Bodens gebunden zu ſein, doch beſonders einen friſchen Lehmboden zu lieben. Ihre Ver- breitung iſt viel beſchränkter als die der Kiefer und Fichte und die Linie *) *) Wipfelbruch oder ſonſt verſtümmelt worden waren, bis 60 ſolcher Nebenwipfel, welche jedoch nicht durch Aufſtreben der Aeſte ſondern dadurch hervorgebracht waren, daß auf den horizontal ſich ausſtreckenden Aeſten ſich einzelne Triebe zu förmlichen ſelbſtſtändigen Bäumen entwickeln. Beſonders bemerkenswerth iſt es, daß dieſe Tanne ein außer- ordentliches Ausſchlagsvermögen hat, welches, wie wir wiſſen, den Nadelhölzern ſonſt beinahe gänzlich abgeht. Da dieſe Tanne in Arkadien nie unter 2000 F. Seehöhe wächſt, ſo iſt zu vermuthen, daß ſie in unſerem Klima gut gedeihen werde. Die griechiſche Regierung hat im vorigen Jahre (1861) dieſer Tanne wegen eine beſondere Expedition in die arkadiſchen Gebirge geſchickt und dieſer auch einen Photographen beigegeben, welcher hoffentlich auch uns mit den abenteuerlichen Geſtalten dieſes Baumes bekannt machen wird.

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/363>, abgerufen am 23.12.2024.