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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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Nur die Tanne kann an Stammhöhe, aber auch diese nur in einzelnen
bevorzugten Stämmen, an Höhe mit der Fichte wetteifern. Sie kann
bei 5 Fuß und darüber Durchmesser eine Höhe von 200 Fuß erreichen,
und es sind dann, wie leicht erklärlich, die Stämme um so mehr "aus-
haltend", d. h. nach oben hin nur langsam an Dicke abnehmend, je
geschlossner sie stehen. Jedoch wird sie hierin von der Tanne übertroffen
(siehe diese).

Ihr Alter kann die Fichte auf 300 Jahre bringen und sie wird
deshalb auf einen "hohen Umtrieb" gestellt, d. h. man läßt die Bestände
80--140 Jahre alt werden, ehe man sie abtreibt. Samentragend wird
sie erst im späteren Alter, selten unter 50 Jahren und dann haben in
reichen Samenjahren, die je nach den klimatischen und Bodenverhält-
nissen wiederkehren, in vielen Gegenden durchschnittlich je nach 5 Jahren,
die zapfentragenden Fichten durch die hellbraunen, nur im oberen Wipfel
an den Spitzen der kürzeren Triebe abwärtshängenden, langen Zapfen
einen sehr in die Augen fallenden Schmuck. Es kommt zuweilen, wie
vor 3 Jahren (1858) vor, daß die Wipfel die Last der Zapfen nicht
tragen können, und, wie es in jenem Jahre z. B. in altenburgischen
Forsten der Fall war, bedeutender Wipfelbruch eintritt. Um so weniger
kann man sich der sonderbaren teleologischen Ansicht anschließen, welche
vor kurzem noch unser berühmtester deutscher Forstmann aussprach, "daß
die Natur durch die sogenannten Fichtenabsprünge sich des Ueberflusses der
männlichen Blüthen entledigen wolle, um mehr Kräfte zur Ausbildung
der zahlreichen Zapfen zu haben". Diese Fichtenabsprünge sind etwa
fingerlange ganz frische Triebe, welche man während des Winters, meist
bei bevorstehenden Samenjahren, manchmal in großer Menge am Boden
unter den Bäumen liegen sieht. Die Ursache derselben ist lange ein
Gegenstand des Streites gewesen, bis man sich jetzt ziemlich allgemein
dahin geeinigt hat, sie den Vögeln, namentlich Kreuzschnäbeln und den
Eichhörnchen zuzuschreiben, welche, den männlichen Blüthenknospen nach-
strebend, die Triebe abbeißen. Ob, wie Derselbe behauptet, die Triebe,
die stets ganz gesund, frisch und vollsaftig sind, in den Anfügungsstellen
auch zuweilen von selbst abbrechen, steht wohl nach dahin.

Auf der Eigenschaft der Fichte als Schattenpflanze beruht es, daß
gleichaltrige Bestände sich in sehr dichtem Schlusse halten und unter allen

Nur die Tanne kann an Stammhöhe, aber auch dieſe nur in einzelnen
bevorzugten Stämmen, an Höhe mit der Fichte wetteifern. Sie kann
bei 5 Fuß und darüber Durchmeſſer eine Höhe von 200 Fuß erreichen,
und es ſind dann, wie leicht erklärlich, die Stämme um ſo mehr „aus-
haltend“, d. h. nach oben hin nur langſam an Dicke abnehmend, je
geſchloſſner ſie ſtehen. Jedoch wird ſie hierin von der Tanne übertroffen
(ſiehe dieſe).

Ihr Alter kann die Fichte auf 300 Jahre bringen und ſie wird
deshalb auf einen „hohen Umtrieb“ geſtellt, d. h. man läßt die Beſtände
80—140 Jahre alt werden, ehe man ſie abtreibt. Samentragend wird
ſie erſt im ſpäteren Alter, ſelten unter 50 Jahren und dann haben in
reichen Samenjahren, die je nach den klimatiſchen und Bodenverhält-
niſſen wiederkehren, in vielen Gegenden durchſchnittlich je nach 5 Jahren,
die zapfentragenden Fichten durch die hellbraunen, nur im oberen Wipfel
an den Spitzen der kürzeren Triebe abwärtshängenden, langen Zapfen
einen ſehr in die Augen fallenden Schmuck. Es kommt zuweilen, wie
vor 3 Jahren (1858) vor, daß die Wipfel die Laſt der Zapfen nicht
tragen können, und, wie es in jenem Jahre z. B. in altenburgiſchen
Forſten der Fall war, bedeutender Wipfelbruch eintritt. Um ſo weniger
kann man ſich der ſonderbaren teleologiſchen Anſicht anſchließen, welche
vor kurzem noch unſer berühmteſter deutſcher Forſtmann ausſprach, „daß
die Natur durch die ſogenannten Fichtenabſprünge ſich des Ueberfluſſes der
männlichen Blüthen entledigen wolle, um mehr Kräfte zur Ausbildung
der zahlreichen Zapfen zu haben“. Dieſe Fichtenabſprünge ſind etwa
fingerlange ganz friſche Triebe, welche man während des Winters, meiſt
bei bevorſtehenden Samenjahren, manchmal in großer Menge am Boden
unter den Bäumen liegen ſieht. Die Urſache derſelben iſt lange ein
Gegenſtand des Streites geweſen, bis man ſich jetzt ziemlich allgemein
dahin geeinigt hat, ſie den Vögeln, namentlich Kreuzſchnäbeln und den
Eichhörnchen zuzuſchreiben, welche, den männlichen Blüthenknospen nach-
ſtrebend, die Triebe abbeißen. Ob, wie Derſelbe behauptet, die Triebe,
die ſtets ganz geſund, friſch und vollſaftig ſind, in den Anfügungsſtellen
auch zuweilen von ſelbſt abbrechen, ſteht wohl nach dahin.

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gleichaltrige Beſtände ſich in ſehr dichtem Schluſſe halten und unter allen

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[312/0342] Nur die Tanne kann an Stammhöhe, aber auch dieſe nur in einzelnen bevorzugten Stämmen, an Höhe mit der Fichte wetteifern. Sie kann bei 5 Fuß und darüber Durchmeſſer eine Höhe von 200 Fuß erreichen, und es ſind dann, wie leicht erklärlich, die Stämme um ſo mehr „aus- haltend“, d. h. nach oben hin nur langſam an Dicke abnehmend, je geſchloſſner ſie ſtehen. Jedoch wird ſie hierin von der Tanne übertroffen (ſiehe dieſe). Ihr Alter kann die Fichte auf 300 Jahre bringen und ſie wird deshalb auf einen „hohen Umtrieb“ geſtellt, d. h. man läßt die Beſtände 80—140 Jahre alt werden, ehe man ſie abtreibt. Samentragend wird ſie erſt im ſpäteren Alter, ſelten unter 50 Jahren und dann haben in reichen Samenjahren, die je nach den klimatiſchen und Bodenverhält- niſſen wiederkehren, in vielen Gegenden durchſchnittlich je nach 5 Jahren, die zapfentragenden Fichten durch die hellbraunen, nur im oberen Wipfel an den Spitzen der kürzeren Triebe abwärtshängenden, langen Zapfen einen ſehr in die Augen fallenden Schmuck. Es kommt zuweilen, wie vor 3 Jahren (1858) vor, daß die Wipfel die Laſt der Zapfen nicht tragen können, und, wie es in jenem Jahre z. B. in altenburgiſchen Forſten der Fall war, bedeutender Wipfelbruch eintritt. Um ſo weniger kann man ſich der ſonderbaren teleologiſchen Anſicht anſchließen, welche vor kurzem noch unſer berühmteſter deutſcher Forſtmann ausſprach, „daß die Natur durch die ſogenannten Fichtenabſprünge ſich des Ueberfluſſes der männlichen Blüthen entledigen wolle, um mehr Kräfte zur Ausbildung der zahlreichen Zapfen zu haben“. Dieſe Fichtenabſprünge ſind etwa fingerlange ganz friſche Triebe, welche man während des Winters, meiſt bei bevorſtehenden Samenjahren, manchmal in großer Menge am Boden unter den Bäumen liegen ſieht. Die Urſache derſelben iſt lange ein Gegenſtand des Streites geweſen, bis man ſich jetzt ziemlich allgemein dahin geeinigt hat, ſie den Vögeln, namentlich Kreuzſchnäbeln und den Eichhörnchen zuzuſchreiben, welche, den männlichen Blüthenknospen nach- ſtrebend, die Triebe abbeißen. Ob, wie Derſelbe behauptet, die Triebe, die ſtets ganz geſund, friſch und vollſaftig ſind, in den Anfügungsſtellen auch zuweilen von ſelbſt abbrechen, ſteht wohl nach dahin. Auf der Eigenſchaft der Fichte als Schattenpflanze beruht es, daß gleichaltrige Beſtände ſich in ſehr dichtem Schluſſe halten und unter allen

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/342>, abgerufen am 23.12.2024.