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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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fache der vorhergehenden Jahre erreicht. Dieses verschiedene Verhalten
zeigt auch dem Unkundigen deutlich, wenn er eine Fichtenkultur überblickt,
ob sie das Nachkränkeln der Verpflanzung bereits überwunden hat oder
nicht. Später im Stangenholzalter tritt eine lange Periode langsamen
Wuchses ein, und erst nach dem 20. bis 30. Jahre folgt ein rascheres
Wachsthum.

Die Eigenschaft der Fichte, welche sie mit der Tanne und Lärche
vor der Kiefer voraus hat, außer den Endknospen an den Spitzen der
Triebe auch Seitenknospen zu haben, welche aus den Achseln der
Nadeln entspringen, bringt es mit sich, daß in gutem Schlusse stehende
Fichtenorte sehr dicht sind und selbst im Dickicht- und Stangenholzalter
nicht die steife Regelmäßigkeit der Zweigstellung haben wie jene. Ist
auch die Fichte sehr abhängig von der Beschaffenheit ihres Standortes,
welche Abhängigkeit sich fast immer durch ihr äußeres Aussehen zu er-
kennen giebt, so kommen doch auch sehr viele Fälle vor, wo man bei
anscheinend gleichen Standortsverhältnissen Leben und Gedeihen der
Fichte von ganz entgegengesetztem Verhalten findet. In den Alpen findet
man sie auf derselben Höhenstufe an dem einen Orte von ungewöhnlich
gutem Gedeihen und von besonders schlankschaftigem Wuchs, während sie
an einem anderen krüppelhaft und kümmerlich ist. Ganz besonders
scheinen stetige Luftströmungen einen nachtheiligen Einfluß auf sie aus-
zuüben und ihr eine besondere bestimmte Richtung ihrer Zweige zu geben,
ohne daß jedoch dadurch, wie es bei den Laubhölzern der Fall ist, die
senkrechte Haltung des Stammes beeinträchtigt wird. Sendtner erzählt,
daß in den bayrischen Gebirgen, ohne Zweifel in Folge der herrschenden
westlichen Luftströmung, die Zweige der Fichte alle nach Osten gerichtet
sind. Das große Widerstandsvermögen, welches im Ganzen der Fichte
dennoch eigen zu sein scheint, spricht sich unter Anderm dadurch aus,
daß selbst diejenigen Fichten, die bis hart an die Region des Knieholzes
und der Arve herauf reichen, meist noch einen ganz normalen Wuchs
zeigen. Nur in sehr zugigen Alpengassen, wie z. B. im Oberhaslithale
von der Handeck an aufwärts, zeigen die Fichten durch Verkrüppelung
und Verletzung der Wipfel und Astarmuth die Folgen der Alpenstürme.

Hier sind die sogenannten "Wettertannen" zu erwähnen, welche
auf höheren Alpenstufen meist einzeln stehende Fichten sind, von einem

fache der vorhergehenden Jahre erreicht. Dieſes verſchiedene Verhalten
zeigt auch dem Unkundigen deutlich, wenn er eine Fichtenkultur überblickt,
ob ſie das Nachkränkeln der Verpflanzung bereits überwunden hat oder
nicht. Später im Stangenholzalter tritt eine lange Periode langſamen
Wuchſes ein, und erſt nach dem 20. bis 30. Jahre folgt ein raſcheres
Wachsthum.

Die Eigenſchaft der Fichte, welche ſie mit der Tanne und Lärche
vor der Kiefer voraus hat, außer den Endknospen an den Spitzen der
Triebe auch Seitenknospen zu haben, welche aus den Achſeln der
Nadeln entſpringen, bringt es mit ſich, daß in gutem Schluſſe ſtehende
Fichtenorte ſehr dicht ſind und ſelbſt im Dickicht- und Stangenholzalter
nicht die ſteife Regelmäßigkeit der Zweigſtellung haben wie jene. Iſt
auch die Fichte ſehr abhängig von der Beſchaffenheit ihres Standortes,
welche Abhängigkeit ſich faſt immer durch ihr äußeres Ausſehen zu er-
kennen giebt, ſo kommen doch auch ſehr viele Fälle vor, wo man bei
anſcheinend gleichen Standortsverhältniſſen Leben und Gedeihen der
Fichte von ganz entgegengeſetztem Verhalten findet. In den Alpen findet
man ſie auf derſelben Höhenſtufe an dem einen Orte von ungewöhnlich
gutem Gedeihen und von beſonders ſchlankſchaftigem Wuchs, während ſie
an einem anderen krüppelhaft und kümmerlich iſt. Ganz beſonders
ſcheinen ſtetige Luftſtrömungen einen nachtheiligen Einfluß auf ſie aus-
zuüben und ihr eine beſondere beſtimmte Richtung ihrer Zweige zu geben,
ohne daß jedoch dadurch, wie es bei den Laubhölzern der Fall iſt, die
ſenkrechte Haltung des Stammes beeinträchtigt wird. Sendtner erzählt,
daß in den bayriſchen Gebirgen, ohne Zweifel in Folge der herrſchenden
weſtlichen Luftſtrömung, die Zweige der Fichte alle nach Oſten gerichtet
ſind. Das große Widerſtandsvermögen, welches im Ganzen der Fichte
dennoch eigen zu ſein ſcheint, ſpricht ſich unter Anderm dadurch aus,
daß ſelbſt diejenigen Fichten, die bis hart an die Region des Knieholzes
und der Arve herauf reichen, meiſt noch einen ganz normalen Wuchs
zeigen. Nur in ſehr zugigen Alpengaſſen, wie z. B. im Oberhaslithale
von der Handeck an aufwärts, zeigen die Fichten durch Verkrüppelung
und Verletzung der Wipfel und Aſtarmuth die Folgen der Alpenſtürme.

Hier ſind die ſogenannten „Wettertannen“ zu erwähnen, welche
auf höheren Alpenſtufen meiſt einzeln ſtehende Fichten ſind, von einem

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[310/0338] fache der vorhergehenden Jahre erreicht. Dieſes verſchiedene Verhalten zeigt auch dem Unkundigen deutlich, wenn er eine Fichtenkultur überblickt, ob ſie das Nachkränkeln der Verpflanzung bereits überwunden hat oder nicht. Später im Stangenholzalter tritt eine lange Periode langſamen Wuchſes ein, und erſt nach dem 20. bis 30. Jahre folgt ein raſcheres Wachsthum. Die Eigenſchaft der Fichte, welche ſie mit der Tanne und Lärche vor der Kiefer voraus hat, außer den Endknospen an den Spitzen der Triebe auch Seitenknospen zu haben, welche aus den Achſeln der Nadeln entſpringen, bringt es mit ſich, daß in gutem Schluſſe ſtehende Fichtenorte ſehr dicht ſind und ſelbſt im Dickicht- und Stangenholzalter nicht die ſteife Regelmäßigkeit der Zweigſtellung haben wie jene. Iſt auch die Fichte ſehr abhängig von der Beſchaffenheit ihres Standortes, welche Abhängigkeit ſich faſt immer durch ihr äußeres Ausſehen zu er- kennen giebt, ſo kommen doch auch ſehr viele Fälle vor, wo man bei anſcheinend gleichen Standortsverhältniſſen Leben und Gedeihen der Fichte von ganz entgegengeſetztem Verhalten findet. In den Alpen findet man ſie auf derſelben Höhenſtufe an dem einen Orte von ungewöhnlich gutem Gedeihen und von beſonders ſchlankſchaftigem Wuchs, während ſie an einem anderen krüppelhaft und kümmerlich iſt. Ganz beſonders ſcheinen ſtetige Luftſtrömungen einen nachtheiligen Einfluß auf ſie aus- zuüben und ihr eine beſondere beſtimmte Richtung ihrer Zweige zu geben, ohne daß jedoch dadurch, wie es bei den Laubhölzern der Fall iſt, die ſenkrechte Haltung des Stammes beeinträchtigt wird. Sendtner erzählt, daß in den bayriſchen Gebirgen, ohne Zweifel in Folge der herrſchenden weſtlichen Luftſtrömung, die Zweige der Fichte alle nach Oſten gerichtet ſind. Das große Widerſtandsvermögen, welches im Ganzen der Fichte dennoch eigen zu ſein ſcheint, ſpricht ſich unter Anderm dadurch aus, daß ſelbſt diejenigen Fichten, die bis hart an die Region des Knieholzes und der Arve herauf reichen, meiſt noch einen ganz normalen Wuchs zeigen. Nur in ſehr zugigen Alpengaſſen, wie z. B. im Oberhaslithale von der Handeck an aufwärts, zeigen die Fichten durch Verkrüppelung und Verletzung der Wipfel und Aſtarmuth die Folgen der Alpenſtürme. Hier ſind die ſogenannten „Wettertannen“ zu erwähnen, welche auf höheren Alpenſtufen meiſt einzeln ſtehende Fichten ſind, von einem

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/338>, abgerufen am 17.07.2024.