müssen ziemlich viele Triebe unentnadelt geblieben sein, wenn der Baum sich wieder erholen soll.
Man kann sich schwer eine Vorstellung von einer Kiefernspinner- Verwüstung auf ihrem Höhenpunkte machen. Die von Baum zu Baum wandernden Raupen kommen Einem in den am meisten befallenen Be- ständen fast bei jedem Schritte unter die Füße und von dem fallenden Raupenkoth, mit dem man alle Pfade bedeckt findet, glaubt man einen rieselnden Regen zu hören; das Auge irrt schmerzhaft berührt durch die grauen entnadelten Kronen. Ein Beispiel, welches Ratzeburg mittheilt, wird am besten unserer Vorstellungskraft zu Hülfe kommen. Nach den Beobachtungen desselben verzehrt eine Raupe bis zum Augenblicke ihrer Verpuppung zusammen ungefähr 1000 Nadeln und um in einem Walde täglich ein Pfund Nadeln zu verzehren, sind je nach der Wärme, welche die Freßlust der Raupen steigert, 2218 bis 4754 Raupen erforderlich; wie groß muß also die Raupenmenge gewesen sein, in dem von Ratze- burg erzählten Falle, wo nach dreijähriger Dauer eines Raupenfraßes 109,352 Klaftern raupenfräßiges Holz geschlagen werden mußte, wodurch ein Flächenraum von 9372 preußischen Morgen völlig entwaldet wurde. --
Wir sehen nach dieser Thatsache, deren selbst die neuesten Annalen unserer Waldgeschichte leider ziemlich viele aufzuweisen haben, die neben- stehend abgebildeten drei Verfolger der großen Kiefernraupe mit um so mehr Interesse an, wenn auch deren Verdienst um die Bändigung des furcht- baren Kiefernfeindes nicht so groß sein sollte, als man lange Zeit ge- glaubt hat.
Die nebenstehenden Figuren (XXXIV.) stellen uns den unermüd- lichsten Verfolger des Kiefernspinners dar: Anomalon circumflexum (1.). Zunächst ist die im Innern der Spinnerraupe lebende Larve frei (2. 3.), dann befindet sie sich in einer eiförmigen Blase eingeschlossen (4. 5.) und zuletzt nimmt sie die Form und Größe von 6. u. 7. an, aber erst im Puppenzustande des Kiefernspinners, in welchen dieser wunderbarer Weise den in seinem Innern nagenden Wurm mit hinüber nimmt. Zuletzt verwandelt sich die Anomalon-Larve im Innern der dabei steif und unbeweglich werdenden Spinnerpuppe in die Anomalon-Puppe.
Wir dürfen diese höchst auffallende Erscheinung nicht ohne besondere Aufmerksamkeit darauf an uns vorübergehen lassen. Denken wir uns
müſſen ziemlich viele Triebe unentnadelt geblieben ſein, wenn der Baum ſich wieder erholen ſoll.
Man kann ſich ſchwer eine Vorſtellung von einer Kiefernſpinner- Verwüſtung auf ihrem Höhenpunkte machen. Die von Baum zu Baum wandernden Raupen kommen Einem in den am meiſten befallenen Be- ſtänden faſt bei jedem Schritte unter die Füße und von dem fallenden Raupenkoth, mit dem man alle Pfade bedeckt findet, glaubt man einen rieſelnden Regen zu hören; das Auge irrt ſchmerzhaft berührt durch die grauen entnadelten Kronen. Ein Beiſpiel, welches Ratzeburg mittheilt, wird am beſten unſerer Vorſtellungskraft zu Hülfe kommen. Nach den Beobachtungen deſſelben verzehrt eine Raupe bis zum Augenblicke ihrer Verpuppung zuſammen ungefähr 1000 Nadeln und um in einem Walde täglich ein Pfund Nadeln zu verzehren, ſind je nach der Wärme, welche die Freßluſt der Raupen ſteigert, 2218 bis 4754 Raupen erforderlich; wie groß muß alſo die Raupenmenge geweſen ſein, in dem von Ratze- burg erzählten Falle, wo nach dreijähriger Dauer eines Raupenfraßes 109,352 Klaftern raupenfräßiges Holz geſchlagen werden mußte, wodurch ein Flächenraum von 9372 preußiſchen Morgen völlig entwaldet wurde. —
Wir ſehen nach dieſer Thatſache, deren ſelbſt die neueſten Annalen unſerer Waldgeſchichte leider ziemlich viele aufzuweiſen haben, die neben- ſtehend abgebildeten drei Verfolger der großen Kiefernraupe mit um ſo mehr Intereſſe an, wenn auch deren Verdienſt um die Bändigung des furcht- baren Kiefernfeindes nicht ſo groß ſein ſollte, als man lange Zeit ge- glaubt hat.
Die nebenſtehenden Figuren (XXXIV.) ſtellen uns den unermüd- lichſten Verfolger des Kiefernſpinners dar: Anomalon circumflexum (1.). Zunächſt iſt die im Innern der Spinnerraupe lebende Larve frei (2. 3.), dann befindet ſie ſich in einer eiförmigen Blaſe eingeſchloſſen (4. 5.) und zuletzt nimmt ſie die Form und Größe von 6. u. 7. an, aber erſt im Puppenzuſtande des Kiefernſpinners, in welchen dieſer wunderbarer Weiſe den in ſeinem Innern nagenden Wurm mit hinüber nimmt. Zuletzt verwandelt ſich die Anomalon-Larve im Innern der dabei ſteif und unbeweglich werdenden Spinnerpuppe in die Anomalon-Puppe.
Wir dürfen dieſe höchſt auffallende Erſcheinung nicht ohne beſondere Aufmerkſamkeit darauf an uns vorübergehen laſſen. Denken wir uns
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müſſen ziemlich viele Triebe unentnadelt geblieben ſein, wenn der Baum
ſich wieder erholen ſoll.
Man kann ſich ſchwer eine Vorſtellung von einer Kiefernſpinner-
Verwüſtung auf ihrem Höhenpunkte machen. Die von Baum zu Baum
wandernden Raupen kommen Einem in den am meiſten befallenen Be-
ſtänden faſt bei jedem Schritte unter die Füße und von dem fallenden
Raupenkoth, mit dem man alle Pfade bedeckt findet, glaubt man einen
rieſelnden Regen zu hören; das Auge irrt ſchmerzhaft berührt durch die
grauen entnadelten Kronen. Ein Beiſpiel, welches Ratzeburg mittheilt,
wird am beſten unſerer Vorſtellungskraft zu Hülfe kommen. Nach den
Beobachtungen deſſelben verzehrt eine Raupe bis zum Augenblicke ihrer
Verpuppung zuſammen ungefähr 1000 Nadeln und um in einem Walde
täglich ein Pfund Nadeln zu verzehren, ſind je nach der Wärme, welche
die Freßluſt der Raupen ſteigert, 2218 bis 4754 Raupen erforderlich;
wie groß muß alſo die Raupenmenge geweſen ſein, in dem von Ratze-
burg erzählten Falle, wo nach dreijähriger Dauer eines Raupenfraßes
109,352 Klaftern raupenfräßiges Holz geſchlagen werden mußte, wodurch
ein Flächenraum von 9372 preußiſchen Morgen völlig entwaldet wurde. —
Wir ſehen nach dieſer Thatſache, deren ſelbſt die neueſten Annalen
unſerer Waldgeſchichte leider ziemlich viele aufzuweiſen haben, die neben-
ſtehend abgebildeten drei Verfolger der großen Kiefernraupe mit um ſo mehr
Intereſſe an, wenn auch deren Verdienſt um die Bändigung des furcht-
baren Kiefernfeindes nicht ſo groß ſein ſollte, als man lange Zeit ge-
glaubt hat.
Die nebenſtehenden Figuren (XXXIV.) ſtellen uns den unermüd-
lichſten Verfolger des Kiefernſpinners dar: Anomalon circumflexum (1.).
Zunächſt iſt die im Innern der Spinnerraupe lebende Larve frei (2. 3.),
dann befindet ſie ſich in einer eiförmigen Blaſe eingeſchloſſen (4. 5.) und
zuletzt nimmt ſie die Form und Größe von 6. u. 7. an, aber erſt im
Puppenzuſtande des Kiefernſpinners, in welchen dieſer wunderbarer Weiſe
den in ſeinem Innern nagenden Wurm mit hinüber nimmt. Zuletzt
verwandelt ſich die Anomalon-Larve im Innern der dabei ſteif und
unbeweglich werdenden Spinnerpuppe in die Anomalon-Puppe.
Wir dürfen dieſe höchſt auffallende Erſcheinung nicht ohne beſondere
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/302>, abgerufen am 23.12.2024.
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