Was ist's, das mich im stillen Nadelwalde So ernst und gleich zu seiner Stille stimmt, So daß ich kaum die Welt im Sinn behalte, Die Welt, die draußen mich gefangen nimmt?
Es ist der stille Ruf aus frühen Zeiten, Der aus den Tannen an das Herz mir dringt; Das ferne Einst kann sich vom Jetzt nicht scheiden, Das in dem Nadelwalde in einander klingt.
Ja, der besondere Reiz, den der Nadelwald vor dem Laubwalde voraus hat und der eine ganz besondere Macht auf Gemüth und Phantasie ausübt, er gewinnt für den, der die Erdgeschichte wenigstens in ihren Hauptzügen kennt, eine ahnungsvolle Färbung.
Der Nadelwald ist wie ein uraltes Geschlecht, das seine Ahnen in ungetrennter Reihe bis in ferne Jahrhunderte zurückzählen kann, ein fortlebender Ueberrest der Pflanzenwelt grauer Vergangenheit. Wie die verkohlten Papyrusrollen aus dem vulkanischen Schutte Pompeji's uns ein mühselig zu lesendes Archiv sind, so sind es die Steinkohlenlager, welche uns Kunde geben von den Gestalten, welche Flora vor Millionen von Jahren aus dem jungfräulichen Boden der Erde hervorsprießen ließ.
Die neuere Zeit hat gelernt, in diesem Archive der Urzeit zu lesen, wir finden in ihm Schilderungen vom Walde wie er einst war, während wir hier es versuchen, ihn zu schildern wie er jetzt ist. Wir begegnen in seiner Schilderung vertrauten und fremdartigen Formen, wenn wir diese Worte mit der Gegenwart unserer Pflanzenwelt zusammenhalten.
Wo wir jetzt aus großer Tiefe die Steinkohle heraufholen, die Grundsäule unseres mächtigen Gewerbfleißes, da standen einst schattige Wälder, halb verwandt, halb unverwandt den unsrigen; unverwandt namentlich auch darin, daß sie nicht durchtönt waren vom Morgengesang
8. Die Nadelbäume.
Was iſt’s, das mich im ſtillen Nadelwalde So ernſt und gleich zu ſeiner Stille ſtimmt, So daß ich kaum die Welt im Sinn behalte, Die Welt, die draußen mich gefangen nimmt?
Es iſt der ſtille Ruf aus frühen Zeiten, Der aus den Tannen an das Herz mir dringt; Das ferne Einſt kann ſich vom Jetzt nicht ſcheiden, Das in dem Nadelwalde in einander klingt.
Ja, der beſondere Reiz, den der Nadelwald vor dem Laubwalde voraus hat und der eine ganz beſondere Macht auf Gemüth und Phantaſie ausübt, er gewinnt für den, der die Erdgeſchichte wenigſtens in ihren Hauptzügen kennt, eine ahnungsvolle Färbung.
Der Nadelwald iſt wie ein uraltes Geſchlecht, das ſeine Ahnen in ungetrennter Reihe bis in ferne Jahrhunderte zurückzählen kann, ein fortlebender Ueberreſt der Pflanzenwelt grauer Vergangenheit. Wie die verkohlten Papyrusrollen aus dem vulkaniſchen Schutte Pompeji’s uns ein mühſelig zu leſendes Archiv ſind, ſo ſind es die Steinkohlenlager, welche uns Kunde geben von den Geſtalten, welche Flora vor Millionen von Jahren aus dem jungfräulichen Boden der Erde hervorſprießen ließ.
Die neuere Zeit hat gelernt, in dieſem Archive der Urzeit zu leſen, wir finden in ihm Schilderungen vom Walde wie er einſt war, während wir hier es verſuchen, ihn zu ſchildern wie er jetzt iſt. Wir begegnen in ſeiner Schilderung vertrauten und fremdartigen Formen, wenn wir dieſe Worte mit der Gegenwart unſerer Pflanzenwelt zuſammenhalten.
Wo wir jetzt aus großer Tiefe die Steinkohle heraufholen, die Grundſäule unſeres mächtigen Gewerbfleißes, da ſtanden einſt ſchattige Wälder, halb verwandt, halb unverwandt den unſrigen; unverwandt namentlich auch darin, daß ſie nicht durchtönt waren vom Morgengeſang
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8.
Die Nadelbäume.
Was iſt’s, das mich im ſtillen Nadelwalde
So ernſt und gleich zu ſeiner Stille ſtimmt,
So daß ich kaum die Welt im Sinn behalte,
Die Welt, die draußen mich gefangen nimmt?
Es iſt der ſtille Ruf aus frühen Zeiten,
Der aus den Tannen an das Herz mir dringt;
Das ferne Einſt kann ſich vom Jetzt nicht ſcheiden,
Das in dem Nadelwalde in einander klingt.
Ja, der beſondere Reiz, den der Nadelwald vor dem Laubwalde
voraus hat und der eine ganz beſondere Macht auf Gemüth und Phantaſie
ausübt, er gewinnt für den, der die Erdgeſchichte wenigſtens in ihren
Hauptzügen kennt, eine ahnungsvolle Färbung.
Der Nadelwald iſt wie ein uraltes Geſchlecht, das ſeine Ahnen in
ungetrennter Reihe bis in ferne Jahrhunderte zurückzählen kann, ein
fortlebender Ueberreſt der Pflanzenwelt grauer Vergangenheit. Wie die
verkohlten Papyrusrollen aus dem vulkaniſchen Schutte Pompeji’s uns ein
mühſelig zu leſendes Archiv ſind, ſo ſind es die Steinkohlenlager, welche
uns Kunde geben von den Geſtalten, welche Flora vor Millionen von
Jahren aus dem jungfräulichen Boden der Erde hervorſprießen ließ.
Die neuere Zeit hat gelernt, in dieſem Archive der Urzeit zu leſen,
wir finden in ihm Schilderungen vom Walde wie er einſt war, während
wir hier es verſuchen, ihn zu ſchildern wie er jetzt iſt. Wir begegnen in
ſeiner Schilderung vertrauten und fremdartigen Formen, wenn wir dieſe
Worte mit der Gegenwart unſerer Pflanzenwelt zuſammenhalten.
Wo wir jetzt aus großer Tiefe die Steinkohle heraufholen, die
Grundſäule unſeres mächtigen Gewerbfleißes, da ſtanden einſt ſchattige
Wälder, halb verwandt, halb unverwandt den unſrigen; unverwandt
namentlich auch darin, daß ſie nicht durchtönt waren vom Morgengeſang
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. [239]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/263>, abgerufen am 21.11.2024.
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