Es versteht sich von selbst, daß ein Stamm um so mehr einer der beiden genannten mathematischen Grundformen gleicht, je vollständiger er das Reinigungsgeschäft an sich vollzogen hat. Indem dieses im hohen Grade bei der Buche stattfindet, so gewinnt dadurch ein alter, im guten Schluß stehender Buchenhochwald den imposanten säulenhallenartigen Charakter, was einen durchaus andern Eindruck auf unsere Phantasie macht, als ein in allen übrigen Beziehungen gleicher Eichenwald, in welchem die Stämme, abgesehen davon, daß sie nicht so schlankschaftig sind, fast immer stehen gebliebene Aststummel zeigen.
Indem wir zur Betrachtung der Krone übergehen, so zeigen in dieser Hinsicht unsere deutschen Laubholzarten keine große Manchfaltigkeit, ob- gleich darin doch nicht eine so vollständige Uebereinstimmung herrscht, daß dadurch ein Laubwald langweilig würde.
Es gewährt für das fein blickende, künstlerisch gebildete Auge eine angenehme Unterhaltung und würzt die Spaziergänge im Walde, wenn man sich bei der Betrachtung der Baumkronen der feinen Unterschiede bewußt zu werden versteht, welche durch die Art der Gliederung derselben bedingt sind. Wir haben zunächst die Gesammtformen der Kronen in's Auge zu fassen. Wenn auch in dieser Hinsicht bei manchen Baumarten ein stark ausgesprochener Charakter bemerkbar ist, so übt dennoch die Benachbarung und Stellung des Baumes hierauf einen nicht unwesent- lichen Einfluß aus. Ob eine Buche z. B. im Schlusse oder frei steht, ob sie am Rande oder in der Mitte eines Bestandes, ob dicht neben ihr, kaum einen Fuß weit getrennt eine andere Buche steht, ob sie nach der Eigenthümlichkeit des Bodens eine starke Bewurzelung hat oder nicht, alles dies übt einen bedeutenden Einfluß auf die Gestaltung der Krone aus. Dieser Einfluß kann so mächtig sein, daß zwei Bäume derselben Art einander in der Kronengestaltung nicht im Mindesten gleichen. Dies zeigt sich in auffallender Weise, wenn ein geschlossener Hochwaldbestand abgetrieben wird und man nur einzelne Bäume stehen läßt (überhält) um durch sie die Besamung der abgetriebenen Fläche bewirken zu lassen. Solche "Samenbäume" sehen meist ganz anders aus, als frei erwachsene.
Hiernächst müssen wir uns auch daran erinnern, daß die Kronen je nach dem Alter des Baumes wesentliche Verschiedenheiten erkennen lassen.
Es verſteht ſich von ſelbſt, daß ein Stamm um ſo mehr einer der beiden genannten mathematiſchen Grundformen gleicht, je vollſtändiger er das Reinigungsgeſchäft an ſich vollzogen hat. Indem dieſes im hohen Grade bei der Buche ſtattfindet, ſo gewinnt dadurch ein alter, im guten Schluß ſtehender Buchenhochwald den impoſanten ſäulenhallenartigen Charakter, was einen durchaus andern Eindruck auf unſere Phantaſie macht, als ein in allen übrigen Beziehungen gleicher Eichenwald, in welchem die Stämme, abgeſehen davon, daß ſie nicht ſo ſchlankſchaftig ſind, faſt immer ſtehen gebliebene Aſtſtummel zeigen.
Indem wir zur Betrachtung der Krone übergehen, ſo zeigen in dieſer Hinſicht unſere deutſchen Laubholzarten keine große Manchfaltigkeit, ob- gleich darin doch nicht eine ſo vollſtändige Uebereinſtimmung herrſcht, daß dadurch ein Laubwald langweilig würde.
Es gewährt für das fein blickende, künſtleriſch gebildete Auge eine angenehme Unterhaltung und würzt die Spaziergänge im Walde, wenn man ſich bei der Betrachtung der Baumkronen der feinen Unterſchiede bewußt zu werden verſteht, welche durch die Art der Gliederung derſelben bedingt ſind. Wir haben zunächſt die Geſammtformen der Kronen in’s Auge zu faſſen. Wenn auch in dieſer Hinſicht bei manchen Baumarten ein ſtark ausgeſprochener Charakter bemerkbar iſt, ſo übt dennoch die Benachbarung und Stellung des Baumes hierauf einen nicht unweſent- lichen Einfluß aus. Ob eine Buche z. B. im Schluſſe oder frei ſteht, ob ſie am Rande oder in der Mitte eines Beſtandes, ob dicht neben ihr, kaum einen Fuß weit getrennt eine andere Buche ſteht, ob ſie nach der Eigenthümlichkeit des Bodens eine ſtarke Bewurzelung hat oder nicht, alles dies übt einen bedeutenden Einfluß auf die Geſtaltung der Krone aus. Dieſer Einfluß kann ſo mächtig ſein, daß zwei Bäume derſelben Art einander in der Kronengeſtaltung nicht im Mindeſten gleichen. Dies zeigt ſich in auffallender Weiſe, wenn ein geſchloſſener Hochwaldbeſtand abgetrieben wird und man nur einzelne Bäume ſtehen läßt (überhält) um durch ſie die Beſamung der abgetriebenen Fläche bewirken zu laſſen. Solche „Samenbäume“ ſehen meiſt ganz anders aus, als frei erwachſene.
Hiernächſt müſſen wir uns auch daran erinnern, daß die Kronen je nach dem Alter des Baumes weſentliche Verſchiedenheiten erkennen laſſen.
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Es verſteht ſich von ſelbſt, daß ein Stamm um ſo mehr einer der
beiden genannten mathematiſchen Grundformen gleicht, je vollſtändiger er
das Reinigungsgeſchäft an ſich vollzogen hat. Indem dieſes im hohen
Grade bei der Buche ſtattfindet, ſo gewinnt dadurch ein alter, im guten
Schluß ſtehender Buchenhochwald den impoſanten ſäulenhallenartigen
Charakter, was einen durchaus andern Eindruck auf unſere Phantaſie
macht, als ein in allen übrigen Beziehungen gleicher Eichenwald, in
welchem die Stämme, abgeſehen davon, daß ſie nicht ſo ſchlankſchaftig
ſind, faſt immer ſtehen gebliebene Aſtſtummel zeigen.
Indem wir zur Betrachtung der Krone übergehen, ſo zeigen in dieſer
Hinſicht unſere deutſchen Laubholzarten keine große Manchfaltigkeit, ob-
gleich darin doch nicht eine ſo vollſtändige Uebereinſtimmung herrſcht, daß
dadurch ein Laubwald langweilig würde.
Es gewährt für das fein blickende, künſtleriſch gebildete Auge eine
angenehme Unterhaltung und würzt die Spaziergänge im Walde, wenn
man ſich bei der Betrachtung der Baumkronen der feinen Unterſchiede
bewußt zu werden verſteht, welche durch die Art der Gliederung derſelben
bedingt ſind. Wir haben zunächſt die Geſammtformen der Kronen in’s
Auge zu faſſen. Wenn auch in dieſer Hinſicht bei manchen Baumarten
ein ſtark ausgeſprochener Charakter bemerkbar iſt, ſo übt dennoch die
Benachbarung und Stellung des Baumes hierauf einen nicht unweſent-
lichen Einfluß aus. Ob eine Buche z. B. im Schluſſe oder frei ſteht,
ob ſie am Rande oder in der Mitte eines Beſtandes, ob dicht neben ihr,
kaum einen Fuß weit getrennt eine andere Buche ſteht, ob ſie nach der
Eigenthümlichkeit des Bodens eine ſtarke Bewurzelung hat oder nicht,
alles dies übt einen bedeutenden Einfluß auf die Geſtaltung der Krone
aus. Dieſer Einfluß kann ſo mächtig ſein, daß zwei Bäume derſelben
Art einander in der Kronengeſtaltung nicht im Mindeſten gleichen. Dies
zeigt ſich in auffallender Weiſe, wenn ein geſchloſſener Hochwaldbeſtand
abgetrieben wird und man nur einzelne Bäume ſtehen läßt (überhält)
um durch ſie die Beſamung der abgetriebenen Fläche bewirken zu
laſſen. Solche „Samenbäume“ ſehen meiſt ganz anders aus, als frei
erwachſene.
Hiernächſt müſſen wir uns auch daran erinnern, daß die Kronen je
nach dem Alter des Baumes weſentliche Verſchiedenheiten erkennen laſſen.
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/245>, abgerufen am 22.12.2024.
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