daß wir sehr häufig an den obersten Triebspitzen einer alten Fichte die- jenige leicht herausfinden, welche das jeweilige Ende des Stammes ist. In diesem Falle bilden die unter sich meist ziemlich übereinstimmenden Aeste nur eine Umkleidung des Stammes und stehen hinsichtlich ihres Durchmessers dem des letzteren bedeutend nach.
Am entschiedensten ist dies bei der Lärche und Fichte der Fall, am wenigstens bei den Kiefern; die Tanne steht zwischen beiden.
Vergleichen wir eine junge Kiefer mit einer jungen Fichte, Tanne oder Lärche und thun wir dasselbe bis in das Stangenholzalter (S. 156), so sollte eigentlich das Gegentheil stattfinden: der gänzliche Mangel zu regelmäßiger Entwickelung kommender Blattachselknospen bei den Kiefern, welche im Gegentheil nur End- oder Quirlknospen haben, müßte eigentlich die Kiefernarchitektur zu einer rein pyramidalen machen, während die zwar ebenfalls pyramidal angelegten andern Nadelhölzer deswegen am meisten angethan sein müßten, diese Anlage zu verlassen, weil sie eine Menge unregelmäßig gestellter Blattachselknospen besitzen. Gleichwohl ist es umgekehrt: nehmen gerade die Kiefern im Alter, wenn sie nicht ganz im dichten Schlusse stehen, eine weitästige, die Durchführung des Stammes aufgebende Architektonik an, so daß man aus der Ferne den Rand eines alten Kiefernbestandes leicht für Laubholz nehmen könnte, wenn dem nicht die dunkle Farbe der Benadelung und die braungelbe Rinde der Aeste widerspräche.
Wodurch dieses Aufgeben der ursprünglichen pyramidal angelegten Architektonik der Kiefern bedingt sei, werden wir später kennen lernen.
Die Tanne ist zwar, wie angedeutet, geneigt es den Kiefern gleich zu thun, aber es gelingt ihr niemals, die strenge Durchführung des senk- rechten Stammes los zu werden; wenigstens die senkrechte Richtung des- selben nicht, denn wenn auch zuweilen der Stamm sich theilt, so streben doch unabänderlich die Theile in senkrechter Richtung nach oben. Da die Tanne unter allen Nadelhölzern die größte Lebensfähigkeit und das größte Vermögen besitzt, Verletzungen auszuheilen und zu überwinden, so liegt auch hierin ein Grund zu mancherlei oft bizarren Abweichungen von dem pyramidalen Bau.
Wenn auch alle Nadelhölzer, wenigstens bis zu einem gewissen Alter, den verlorenen, den Stamm fortsetzenden Herztrieb dadurch ersetzen können,
daß wir ſehr häufig an den oberſten Triebſpitzen einer alten Fichte die- jenige leicht herausfinden, welche das jeweilige Ende des Stammes iſt. In dieſem Falle bilden die unter ſich meiſt ziemlich übereinſtimmenden Aeſte nur eine Umkleidung des Stammes und ſtehen hinſichtlich ihres Durchmeſſers dem des letzteren bedeutend nach.
Am entſchiedenſten iſt dies bei der Lärche und Fichte der Fall, am wenigſtens bei den Kiefern; die Tanne ſteht zwiſchen beiden.
Vergleichen wir eine junge Kiefer mit einer jungen Fichte, Tanne oder Lärche und thun wir daſſelbe bis in das Stangenholzalter (S. 156), ſo ſollte eigentlich das Gegentheil ſtattfinden: der gänzliche Mangel zu regelmäßiger Entwickelung kommender Blattachſelknospen bei den Kiefern, welche im Gegentheil nur End- oder Quirlknospen haben, müßte eigentlich die Kiefernarchitektur zu einer rein pyramidalen machen, während die zwar ebenfalls pyramidal angelegten andern Nadelhölzer deswegen am meiſten angethan ſein müßten, dieſe Anlage zu verlaſſen, weil ſie eine Menge unregelmäßig geſtellter Blattachſelknospen beſitzen. Gleichwohl iſt es umgekehrt: nehmen gerade die Kiefern im Alter, wenn ſie nicht ganz im dichten Schluſſe ſtehen, eine weitäſtige, die Durchführung des Stammes aufgebende Architektonik an, ſo daß man aus der Ferne den Rand eines alten Kiefernbeſtandes leicht für Laubholz nehmen könnte, wenn dem nicht die dunkle Farbe der Benadelung und die braungelbe Rinde der Aeſte widerſpräche.
Wodurch dieſes Aufgeben der urſprünglichen pyramidal angelegten Architektonik der Kiefern bedingt ſei, werden wir ſpäter kennen lernen.
Die Tanne iſt zwar, wie angedeutet, geneigt es den Kiefern gleich zu thun, aber es gelingt ihr niemals, die ſtrenge Durchführung des ſenk- rechten Stammes los zu werden; wenigſtens die ſenkrechte Richtung des- ſelben nicht, denn wenn auch zuweilen der Stamm ſich theilt, ſo ſtreben doch unabänderlich die Theile in ſenkrechter Richtung nach oben. Da die Tanne unter allen Nadelhölzern die größte Lebensfähigkeit und das größte Vermögen beſitzt, Verletzungen auszuheilen und zu überwinden, ſo liegt auch hierin ein Grund zu mancherlei oft bizarren Abweichungen von dem pyramidalen Bau.
Wenn auch alle Nadelhölzer, wenigſtens bis zu einem gewiſſen Alter, den verlorenen, den Stamm fortſetzenden Herztrieb dadurch erſetzen können,
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daß wir ſehr häufig an den oberſten Triebſpitzen einer alten Fichte die-
jenige leicht herausfinden, welche das jeweilige Ende des Stammes iſt.
In dieſem Falle bilden die unter ſich meiſt ziemlich übereinſtimmenden
Aeſte nur eine Umkleidung des Stammes und ſtehen hinſichtlich ihres
Durchmeſſers dem des letzteren bedeutend nach.
Am entſchiedenſten iſt dies bei der Lärche und Fichte der Fall, am
wenigſtens bei den Kiefern; die Tanne ſteht zwiſchen beiden.
Vergleichen wir eine junge Kiefer mit einer jungen Fichte, Tanne
oder Lärche und thun wir daſſelbe bis in das Stangenholzalter (S. 156),
ſo ſollte eigentlich das Gegentheil ſtattfinden: der gänzliche Mangel zu
regelmäßiger Entwickelung kommender Blattachſelknospen bei den Kiefern,
welche im Gegentheil nur End- oder Quirlknospen haben, müßte eigentlich
die Kiefernarchitektur zu einer rein pyramidalen machen, während die
zwar ebenfalls pyramidal angelegten andern Nadelhölzer deswegen am
meiſten angethan ſein müßten, dieſe Anlage zu verlaſſen, weil ſie eine
Menge unregelmäßig geſtellter Blattachſelknospen beſitzen. Gleichwohl iſt
es umgekehrt: nehmen gerade die Kiefern im Alter, wenn ſie nicht ganz
im dichten Schluſſe ſtehen, eine weitäſtige, die Durchführung des Stammes
aufgebende Architektonik an, ſo daß man aus der Ferne den Rand eines
alten Kiefernbeſtandes leicht für Laubholz nehmen könnte, wenn dem nicht
die dunkle Farbe der Benadelung und die braungelbe Rinde der Aeſte
widerſpräche.
Wodurch dieſes Aufgeben der urſprünglichen pyramidal angelegten
Architektonik der Kiefern bedingt ſei, werden wir ſpäter kennen lernen.
Die Tanne iſt zwar, wie angedeutet, geneigt es den Kiefern gleich zu
thun, aber es gelingt ihr niemals, die ſtrenge Durchführung des ſenk-
rechten Stammes los zu werden; wenigſtens die ſenkrechte Richtung des-
ſelben nicht, denn wenn auch zuweilen der Stamm ſich theilt, ſo ſtreben
doch unabänderlich die Theile in ſenkrechter Richtung nach oben. Da die
Tanne unter allen Nadelhölzern die größte Lebensfähigkeit und das größte
Vermögen beſitzt, Verletzungen auszuheilen und zu überwinden, ſo liegt
auch hierin ein Grund zu mancherlei oft bizarren Abweichungen von dem
pyramidalen Bau.
Wenn auch alle Nadelhölzer, wenigſtens bis zu einem gewiſſen Alter,
den verlorenen, den Stamm fortſetzenden Herztrieb dadurch erſetzen können,
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/237>, abgerufen am 22.12.2024.
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