Du nennst die alte Ulme wird und kraus, Sie reckt, meinst Du, die Aeste hinaus Wie's grad' ihr einfällt, krumm oder eben. Du irrst, mein Freund! sei ihr nur gleich, Dann bist Du an innrer Ordnung reich.Das Krause hat ihr das Schicksal gegeben.
Es ist nicht blos ein sich tröstendes Hinnehmen, nicht blos ein sich Begnügen mit dem was uns nun einmal so und nicht anders beschieden ist, es ist nicht blos ein Urtheil des mit Nothwendigkeit an dem Immer- wiederkehrenden sich bildenden Geschmackes, wenn wir vom deutschen Walde rühmen, daß er schön und herrlich, daß der Wald vielleicht nirgends schöner und herrlicher sei als in Deutschland.
Wie unser Motto sagt, treu den Vorschriften einer inneren ordnungs- vollen Gesetzlichkeit, ist das deutsche Klima dazu geschaffen, den deutschen Baum herauszufordern, zum Kampfe mit ihm. Er geht aus diesem Kampfe hervor wie ein geläuterter Charakter, der treu den ewigen Vor- schriften der im Innern geschriebenen Ordnung das treue Spiegelbild dieses Kampfes und daher er selbst ist.
Wir erinnern uns an das, was wir im 5. Abschnitte über die ord- nungsvolle Bildung und Stellung der Knospen am Triebe, der Triebe am Zweige, kennen gelernt haben.
Wenn diese Ordnung, gewissermaßen das innere Gesetz des Baumes, sich unbeschränkt geltend machen könnte, so müßten unsere Bäume anders aussehen als es der Fall ist, es müßte namentlich das mathematische Geschlecht der Nadelhölzer, wie wir es nannten, einen hohen Grad von Regelmäßigkeit in der Gliederung der Krone zeigen, die vor dem ge- läutertem Geschmack nicht würde bestehen können, da dieser durchaus nicht überall Regelmäßigkeit duldet.
7. Architektur der Waldbäume.
Du nennſt die alte Ulme wird und kraus, Sie reckt, meinſt Du, die Aeſte hinaus Wie’s grad’ ihr einfällt, krumm oder eben. Du irrſt, mein Freund! ſei ihr nur gleich, Dann biſt Du an innrer Ordnung reich.Das Krauſe hat ihr das Schickſal gegeben.
Es iſt nicht blos ein ſich tröſtendes Hinnehmen, nicht blos ein ſich Begnügen mit dem was uns nun einmal ſo und nicht anders beſchieden iſt, es iſt nicht blos ein Urtheil des mit Nothwendigkeit an dem Immer- wiederkehrenden ſich bildenden Geſchmackes, wenn wir vom deutſchen Walde rühmen, daß er ſchön und herrlich, daß der Wald vielleicht nirgends ſchöner und herrlicher ſei als in Deutſchland.
Wie unſer Motto ſagt, treu den Vorſchriften einer inneren ordnungs- vollen Geſetzlichkeit, iſt das deutſche Klima dazu geſchaffen, den deutſchen Baum herauszufordern, zum Kampfe mit ihm. Er geht aus dieſem Kampfe hervor wie ein geläuterter Charakter, der treu den ewigen Vor- ſchriften der im Innern geſchriebenen Ordnung das treue Spiegelbild dieſes Kampfes und daher er ſelbſt iſt.
Wir erinnern uns an das, was wir im 5. Abſchnitte über die ord- nungsvolle Bildung und Stellung der Knospen am Triebe, der Triebe am Zweige, kennen gelernt haben.
Wenn dieſe Ordnung, gewiſſermaßen das innere Geſetz des Baumes, ſich unbeſchränkt geltend machen könnte, ſo müßten unſere Bäume anders ausſehen als es der Fall iſt, es müßte namentlich das mathematiſche Geſchlecht der Nadelhölzer, wie wir es nannten, einen hohen Grad von Regelmäßigkeit in der Gliederung der Krone zeigen, die vor dem ge- läutertem Geſchmack nicht würde beſtehen können, da dieſer durchaus nicht überall Regelmäßigkeit duldet.
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7.
Architektur der Waldbäume.
Du nennſt die alte Ulme wird und kraus,
Sie reckt, meinſt Du, die Aeſte hinaus
Wie’s grad’ ihr einfällt, krumm oder eben.
Du irrſt, mein Freund! ſei ihr nur gleich,
Dann biſt Du an innrer Ordnung reich. Das Krauſe hat ihr das Schickſal gegeben.
Es iſt nicht blos ein ſich tröſtendes Hinnehmen, nicht blos ein ſich
Begnügen mit dem was uns nun einmal ſo und nicht anders beſchieden
iſt, es iſt nicht blos ein Urtheil des mit Nothwendigkeit an dem Immer-
wiederkehrenden ſich bildenden Geſchmackes, wenn wir vom deutſchen Walde
rühmen, daß er ſchön und herrlich, daß der Wald vielleicht nirgends
ſchöner und herrlicher ſei als in Deutſchland.
Wie unſer Motto ſagt, treu den Vorſchriften einer inneren ordnungs-
vollen Geſetzlichkeit, iſt das deutſche Klima dazu geſchaffen, den deutſchen
Baum herauszufordern, zum Kampfe mit ihm. Er geht aus dieſem
Kampfe hervor wie ein geläuterter Charakter, der treu den ewigen Vor-
ſchriften der im Innern geſchriebenen Ordnung das treue Spiegelbild
dieſes Kampfes und daher er ſelbſt iſt.
Wir erinnern uns an das, was wir im 5. Abſchnitte über die ord-
nungsvolle Bildung und Stellung der Knospen am Triebe, der Triebe am
Zweige, kennen gelernt haben.
Wenn dieſe Ordnung, gewiſſermaßen das innere Geſetz des Baumes,
ſich unbeſchränkt geltend machen könnte, ſo müßten unſere Bäume anders
ausſehen als es der Fall iſt, es müßte namentlich das mathematiſche
Geſchlecht der Nadelhölzer, wie wir es nannten, einen hohen Grad von
Regelmäßigkeit in der Gliederung der Krone zeigen, die vor dem ge-
läutertem Geſchmack nicht würde beſtehen können, da dieſer durchaus nicht
überall Regelmäßigkeit duldet.
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. [210]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/234>, abgerufen am 22.12.2024.
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