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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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aus die tödtende Wirkung einer Verwundung sich auf den ganzen Leib
fortpflanzt. Wir wissen ja eben, daß der Baum kein Individuum ist und
das erklärt uns alles. Je weiter er fortgeschritten ist in seinem Aufbau aus
zahlreichen um- und übereinander geschichteten und gethürmten Gebiets-
vergrößerungen für die sich ewig erneuenden Bewohner, die Blätter und
Blüthen, desto mehr ist das Baumleben einem auf einen Punkt gerichteten
Angriff entrückt, wenn wir ihn nicht durch Umhauen und Entwurzeln der
Möglichkeit berauben, sich ernähren zu können; und auch da ist es noch
möglich, daß der entwurzelt umstürzende Baum mit der Ecke eines Astes
in den weichen Boden dringt, und so der Zufall einen Senker oder
Steckling macht und in diesem Theile das Fortleben des Getödteten
ermöglicht. An Saatpflänzchen und selbst an kleinen Bäumchen in der
Pflanzschule sehen wir freilich durch Sonnenbrand oder durch Verlust der
Wurzel, die ein Engerling abnagte, plötzliche Tödtung; aber ein alter
Baum stirbt meist langsam und allmälig, sozusagen stückweise, bis endlich
nach jahre- ja jahrzehntelangem allmäligem Absterben auch der letzte
Zweig keine Blätter mehr treibt. Das Wort absterben, welches wir
nur vom Pflanzentode brauchen, während wir ein Thier sterben lassen,
drückt den Unterschied ganz richtig aus: am Baume trennt der Tod das
Leben der einzelnen Theile nach einander vom Gesammtleben ab.

Wir lernten aber trotz der tausendfältigen Gliederung des Baum-
lebens dennoch in dem Cambium (S. 174) gewissermaaßen einen, wenn
auch über das ganze Baumgebäude sich vertheilenden, Herd der Ver-
mittlung aller Neubildungen kennen, weshalb man es mit dem deutschen
Wort Bildungsgewebe bezeichnet. Wir wissen ferner, daß in nächster
nachbarlicher und physiologischer Verknüpfung damit die den Bildungs-
saft von den Blättern, den Läuterern desselben, herableitenden Bastzellen
stehen. Es muß also eine hier eingreifende Störung das Baumleben am
empfindlichsten treffen.

Wir sehen dies am augenfälligsten an einer von dem Borkenkäfer,
Bostrichus typographus, befallenen Fichte. Wenn dieser furchtbare
Feind der Fichtenwaldungen, wie es bei einer "Wurmtrockniß" vorkommt,
sich in Schwärmen über eine bisher verschonte Fichte stürzt und in der
Bastschicht der Rinde seine Bruten absetzt, wo dann in kurzer Zeit die
auskommenden Larven Tausende von Gängen nagen, so dauert es kaum

aus die tödtende Wirkung einer Verwundung ſich auf den ganzen Leib
fortpflanzt. Wir wiſſen ja eben, daß der Baum kein Individuum iſt und
das erklärt uns alles. Je weiter er fortgeſchritten iſt in ſeinem Aufbau aus
zahlreichen um- und übereinander geſchichteten und gethürmten Gebiets-
vergrößerungen für die ſich ewig erneuenden Bewohner, die Blätter und
Blüthen, deſto mehr iſt das Baumleben einem auf einen Punkt gerichteten
Angriff entrückt, wenn wir ihn nicht durch Umhauen und Entwurzeln der
Möglichkeit berauben, ſich ernähren zu können; und auch da iſt es noch
möglich, daß der entwurzelt umſtürzende Baum mit der Ecke eines Aſtes
in den weichen Boden dringt, und ſo der Zufall einen Senker oder
Steckling macht und in dieſem Theile das Fortleben des Getödteten
ermöglicht. An Saatpflänzchen und ſelbſt an kleinen Bäumchen in der
Pflanzſchule ſehen wir freilich durch Sonnenbrand oder durch Verluſt der
Wurzel, die ein Engerling abnagte, plötzliche Tödtung; aber ein alter
Baum ſtirbt meiſt langſam und allmälig, ſozuſagen ſtückweiſe, bis endlich
nach jahre- ja jahrzehntelangem allmäligem Abſterben auch der letzte
Zweig keine Blätter mehr treibt. Das Wort abſterben, welches wir
nur vom Pflanzentode brauchen, während wir ein Thier ſterben laſſen,
drückt den Unterſchied ganz richtig aus: am Baume trennt der Tod das
Leben der einzelnen Theile nach einander vom Geſammtleben ab.

Wir lernten aber trotz der tauſendfältigen Gliederung des Baum-
lebens dennoch in dem Cambium (S. 174) gewiſſermaaßen einen, wenn
auch über das ganze Baumgebäude ſich vertheilenden, Herd der Ver-
mittlung aller Neubildungen kennen, weshalb man es mit dem deutſchen
Wort Bildungsgewebe bezeichnet. Wir wiſſen ferner, daß in nächſter
nachbarlicher und phyſiologiſcher Verknüpfung damit die den Bildungs-
ſaft von den Blättern, den Läuterern deſſelben, herableitenden Baſtzellen
ſtehen. Es muß alſo eine hier eingreifende Störung das Baumleben am
empfindlichſten treffen.

Wir ſehen dies am augenfälligſten an einer von dem Borkenkäfer,
Bostrichus typographus, befallenen Fichte. Wenn dieſer furchtbare
Feind der Fichtenwaldungen, wie es bei einer „Wurmtrockniß“ vorkommt,
ſich in Schwärmen über eine bisher verſchonte Fichte ſtürzt und in der
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[201/0225] aus die tödtende Wirkung einer Verwundung ſich auf den ganzen Leib fortpflanzt. Wir wiſſen ja eben, daß der Baum kein Individuum iſt und das erklärt uns alles. Je weiter er fortgeſchritten iſt in ſeinem Aufbau aus zahlreichen um- und übereinander geſchichteten und gethürmten Gebiets- vergrößerungen für die ſich ewig erneuenden Bewohner, die Blätter und Blüthen, deſto mehr iſt das Baumleben einem auf einen Punkt gerichteten Angriff entrückt, wenn wir ihn nicht durch Umhauen und Entwurzeln der Möglichkeit berauben, ſich ernähren zu können; und auch da iſt es noch möglich, daß der entwurzelt umſtürzende Baum mit der Ecke eines Aſtes in den weichen Boden dringt, und ſo der Zufall einen Senker oder Steckling macht und in dieſem Theile das Fortleben des Getödteten ermöglicht. An Saatpflänzchen und ſelbſt an kleinen Bäumchen in der Pflanzſchule ſehen wir freilich durch Sonnenbrand oder durch Verluſt der Wurzel, die ein Engerling abnagte, plötzliche Tödtung; aber ein alter Baum ſtirbt meiſt langſam und allmälig, ſozuſagen ſtückweiſe, bis endlich nach jahre- ja jahrzehntelangem allmäligem Abſterben auch der letzte Zweig keine Blätter mehr treibt. Das Wort abſterben, welches wir nur vom Pflanzentode brauchen, während wir ein Thier ſterben laſſen, drückt den Unterſchied ganz richtig aus: am Baume trennt der Tod das Leben der einzelnen Theile nach einander vom Geſammtleben ab. Wir lernten aber trotz der tauſendfältigen Gliederung des Baum- lebens dennoch in dem Cambium (S. 174) gewiſſermaaßen einen, wenn auch über das ganze Baumgebäude ſich vertheilenden, Herd der Ver- mittlung aller Neubildungen kennen, weshalb man es mit dem deutſchen Wort Bildungsgewebe bezeichnet. Wir wiſſen ferner, daß in nächſter nachbarlicher und phyſiologiſcher Verknüpfung damit die den Bildungs- ſaft von den Blättern, den Läuterern deſſelben, herableitenden Baſtzellen ſtehen. Es muß alſo eine hier eingreifende Störung das Baumleben am empfindlichſten treffen. Wir ſehen dies am augenfälligſten an einer von dem Borkenkäfer, Bostrichus typographus, befallenen Fichte. Wenn dieſer furchtbare Feind der Fichtenwaldungen, wie es bei einer „Wurmtrockniß“ vorkommt, ſich in Schwärmen über eine bisher verſchonte Fichte ſtürzt und in der Baſtſchicht der Rinde ſeine Bruten abſetzt, wo dann in kurzer Zeit die auskommenden Larven Tauſende von Gängen nagen, ſo dauert es kaum

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/225>, abgerufen am 22.12.2024.