Nicht alle Baumarten und ebenso nicht alle Bäume einer Art werfen ihr Laub vollständig ab. An Eschen, Ahornen, Erlen, Pappeln bleibt kein Blatt am Baume, während in den Kronen selbst alter Eichen und Hornbäume fast immer noch ein kleiner Theil derselben hängen bleibt. Besonders halten junge Eichen, Buchen und Hornbäume ihr todtes Laub über den Winter oft so fest, daß es erst im Frühjahre kurz vor dem Auf- brechen der Knospen abfällt und man kann dann belaubte Traubenkirschen, der sich am zeitigsten belaubende Baum, und mit dürrem Laub bedeckte Eichenstämmchen neben einander sehen.
Nicht zu verwechseln ist mit diesem vollständigen Verbleiben der todten Blätter an den Bäumen, die namentlich an Eichen vorkommende Erscheinung, daß vereinzelte dürre Blattbüschel, oft in Mehrzahl, über Winter am Baume bleiben. Dies sind die sogenannten großen Raupen- nester von dem Goldafter, Liparis chrysorrhoea, deren im Herbst noch unausgewachsene Raupen, Schwammraupen genannt, in solchen Blätterbüscheln überwintern, die sie dadurch vom Abfallen hindern, daß sie die Blattstiele an den Trieb fest spinnen. Eine ähnliche Erscheinung sind die von den Raupen des Baumweißlings, Pontia Crataegi, herrührenden und mehr aus einzelnen Blättern bestehenden kleinen Raupennester.
Die Lärche macht durch ihren regelmäßigen Nadelfall, worin sie den Laubhölzern gleich ist, den Uebergang von diesen zu den immergrünen Nadelhölzern. Die Nadeln derselben hinterlassen am Triebe eben solche genau umschriebene Narben, wie die Blattstielnarben der Laubhölzer sind.
Die Nadeln der übrigen wintergrünem Nadelhölzer sind übrigens auch nicht unbegrenzt bleibend, sondern fallen endlich auch ab, nur bei der einen Art früher als bei der andern und selbst nach dem Alter des Baumes findet hierin ein Unterschied statt. Bei der Leichtigkeit, das Alter der Triebe an einem Nadelholzbäumchen oder am Wipfel eines älteren Baumes abzulesen (S. 69) kann man leicht sehen, wie viele Jahre die Nadeln stehen, ehe sie abfallen.
Am längsten bleiben die Nadeln bei der Tanne stehen, indem man namentlich an der Hauptaxe, am Stamme, oft acht- ja zuweilen sogar neunjährige Nadeln sieht, deren weite Auseinanderstellung im Vergleich zu den jüngeren Trieben, zugleich lehrt, daß die Axenglieder auch
Nicht alle Baumarten und ebenſo nicht alle Bäume einer Art werfen ihr Laub vollſtändig ab. An Eſchen, Ahornen, Erlen, Pappeln bleibt kein Blatt am Baume, während in den Kronen ſelbſt alter Eichen und Hornbäume faſt immer noch ein kleiner Theil derſelben hängen bleibt. Beſonders halten junge Eichen, Buchen und Hornbäume ihr todtes Laub über den Winter oft ſo feſt, daß es erſt im Frühjahre kurz vor dem Auf- brechen der Knospen abfällt und man kann dann belaubte Traubenkirſchen, der ſich am zeitigſten belaubende Baum, und mit dürrem Laub bedeckte Eichenſtämmchen neben einander ſehen.
Nicht zu verwechſeln iſt mit dieſem vollſtändigen Verbleiben der todten Blätter an den Bäumen, die namentlich an Eichen vorkommende Erſcheinung, daß vereinzelte dürre Blattbüſchel, oft in Mehrzahl, über Winter am Baume bleiben. Dies ſind die ſogenannten großen Raupen- neſter von dem Goldafter, Liparis chrysorrhoea, deren im Herbſt noch unausgewachſene Raupen, Schwammraupen genannt, in ſolchen Blätterbüſcheln überwintern, die ſie dadurch vom Abfallen hindern, daß ſie die Blattſtiele an den Trieb feſt ſpinnen. Eine ähnliche Erſcheinung ſind die von den Raupen des Baumweißlings, Pontia Crataegi, herrührenden und mehr aus einzelnen Blättern beſtehenden kleinen Raupenneſter.
Die Lärche macht durch ihren regelmäßigen Nadelfall, worin ſie den Laubhölzern gleich iſt, den Uebergang von dieſen zu den immergrünen Nadelhölzern. Die Nadeln derſelben hinterlaſſen am Triebe eben ſolche genau umſchriebene Narben, wie die Blattſtielnarben der Laubhölzer ſind.
Die Nadeln der übrigen wintergrünem Nadelhölzer ſind übrigens auch nicht unbegrenzt bleibend, ſondern fallen endlich auch ab, nur bei der einen Art früher als bei der andern und ſelbſt nach dem Alter des Baumes findet hierin ein Unterſchied ſtatt. Bei der Leichtigkeit, das Alter der Triebe an einem Nadelholzbäumchen oder am Wipfel eines älteren Baumes abzuleſen (S. 69) kann man leicht ſehen, wie viele Jahre die Nadeln ſtehen, ehe ſie abfallen.
Am längſten bleiben die Nadeln bei der Tanne ſtehen, indem man namentlich an der Hauptaxe, am Stamme, oft acht- ja zuweilen ſogar neunjährige Nadeln ſieht, deren weite Auseinanderſtellung im Vergleich zu den jüngeren Trieben, zugleich lehrt, daß die Axenglieder auch
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Nicht alle Baumarten und ebenſo nicht alle Bäume einer Art werfen
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Hornbäume faſt immer noch ein kleiner Theil derſelben hängen bleibt.
Beſonders halten junge Eichen, Buchen und Hornbäume ihr todtes Laub
über den Winter oft ſo feſt, daß es erſt im Frühjahre kurz vor dem Auf-
brechen der Knospen abfällt und man kann dann belaubte Traubenkirſchen,
der ſich am zeitigſten belaubende Baum, und mit dürrem Laub bedeckte
Eichenſtämmchen neben einander ſehen.
Nicht zu verwechſeln iſt mit dieſem vollſtändigen Verbleiben der
todten Blätter an den Bäumen, die namentlich an Eichen vorkommende
Erſcheinung, daß vereinzelte dürre Blattbüſchel, oft in Mehrzahl, über
Winter am Baume bleiben. Dies ſind die ſogenannten großen Raupen-
neſter von dem Goldafter, Liparis chrysorrhoea, deren im Herbſt
noch unausgewachſene Raupen, Schwammraupen genannt, in ſolchen
Blätterbüſcheln überwintern, die ſie dadurch vom Abfallen hindern, daß
ſie die Blattſtiele an den Trieb feſt ſpinnen. Eine ähnliche Erſcheinung
ſind die von den Raupen des Baumweißlings, Pontia Crataegi,
herrührenden und mehr aus einzelnen Blättern beſtehenden kleinen
Raupenneſter.
Die Lärche macht durch ihren regelmäßigen Nadelfall, worin ſie
den Laubhölzern gleich iſt, den Uebergang von dieſen zu den immergrünen
Nadelhölzern. Die Nadeln derſelben hinterlaſſen am Triebe eben ſolche
genau umſchriebene Narben, wie die Blattſtielnarben der Laubhölzer ſind.
Die Nadeln der übrigen wintergrünem Nadelhölzer ſind übrigens
auch nicht unbegrenzt bleibend, ſondern fallen endlich auch ab, nur bei
der einen Art früher als bei der andern und ſelbſt nach dem Alter des
Baumes findet hierin ein Unterſchied ſtatt. Bei der Leichtigkeit, das
Alter der Triebe an einem Nadelholzbäumchen oder am Wipfel eines
älteren Baumes abzuleſen (S. 69) kann man leicht ſehen, wie viele Jahre
die Nadeln ſtehen, ehe ſie abfallen.
Am längſten bleiben die Nadeln bei der Tanne ſtehen, indem man
namentlich an der Hauptaxe, am Stamme, oft acht- ja zuweilen ſogar
neunjährige Nadeln ſieht, deren weite Auseinanderſtellung im Vergleich
zu den jüngeren Trieben, zugleich lehrt, daß die Axenglieder auch
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/212>, abgerufen am 22.12.2024.
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