eine Adventivknospe, immer aber an einer anderen Stelle. Der reproducirte Salamanderschwanz ist gewissermaßen derselbe wie der verlorene, das reproducirte Blatt ist ein anderes. Jener ist der repro- ducirte Theil, dieses ist ein nicht reproducirtes, sondern einfach ein producirtes neues Individuum; ja eine eigentliche Reproduktion kommt im Pflanzenreiche vielleicht gar nicht oder nur sehr beschränkt vor. Die Ausheilung einer Stammwunde durch Ueberwallung der Stelle, wo wir einen Zweig abgeschnitten hatten, ist keine echte Rinden- und Holz-Repro- dutkion; sie ist nichts weiter als die Benutzung der sich darbietenden neuen Fläche für den in der Rinde herabkommenden Bildungssaft und hat mit dem abgeschnittenen Zweige gar nichts zu thun. Wenn wir einem noch in kräftiger Entwicklung stehenden Blatte, einem pflanzlichen Indi- viduum, ein Stück abschneiden, so wird dieses niemals reproducirt.
Indem wir nach dieser Vergleichung zwischen Thier und Pflanze nochmals zu der Bedeutung der Blätter für das Pflanzenleben zurück- kehren, so ist hier noch hervorzuheben, daß bei einigen unserer Waldbäume, wie überhaupt bei vielen Pflanzen, die Blätter wenigstens für das Blühen im engern Sinne, d. h. für die Ernährung der Blüthen bis zu dem Zeit- punkte, wo sich meist nach dem Absterben der Kronenblätter und der Staubgefäße die Samen ausbilden, nichts beitragen. Dies ist bei den vor dem Ausbruch des Laubes blühenden Arten der Fall, z. B. Schwarz- oder Schlehdorn, Pappeln, Esche, Rüster, Erle, Hasel und einigen Weiden- arten, denn bei diesen sind eben die Blätter gar nicht da und kommen sogar bei manchen ziemlich spät nach den Blüthen und nachdem die Be- fruchtung in diesen längst stattgefunden hat, so daß z. B. die männlichen Kätzchen der Espe längst abgefallen sind, wenn die Laubknospen erst sich öffnen. Dagegen ist die Ausbildung der Früchte und das Reifen der Samen, so daß diese auch keimfähig sind, ohne Ernährung durch die Blätter unmöglich.
Die Buche, die wir jetzt zunächst immer im Auge haben, ist einer von den mit dem Laube blühenden Bäumen, worin ihr der Hornbaum, die Eiche, die Birke, unsere drei Ahorn-, viele Weidenarten gleich sind. Nur wenige Bäume blühen nach den Blättern, so daß zwischen dem Ab- schluß der vollkommenen Belaubung und der Entwicklung der Blüthen eine Zeit des Stillstands mitten innen liegt. Dies ist eigentlich blos bei
eine Adventivknospe, immer aber an einer anderen Stelle. Der reproducirte Salamanderſchwanz iſt gewiſſermaßen derſelbe wie der verlorene, das reproducirte Blatt iſt ein anderes. Jener iſt der repro- ducirte Theil, dieſes iſt ein nicht reproducirtes, ſondern einfach ein producirtes neues Individuum; ja eine eigentliche Reproduktion kommt im Pflanzenreiche vielleicht gar nicht oder nur ſehr beſchränkt vor. Die Ausheilung einer Stammwunde durch Ueberwallung der Stelle, wo wir einen Zweig abgeſchnitten hatten, iſt keine echte Rinden- und Holz-Repro- dutkion; ſie iſt nichts weiter als die Benutzung der ſich darbietenden neuen Fläche für den in der Rinde herabkommenden Bildungsſaft und hat mit dem abgeſchnittenen Zweige gar nichts zu thun. Wenn wir einem noch in kräftiger Entwicklung ſtehenden Blatte, einem pflanzlichen Indi- viduum, ein Stück abſchneiden, ſo wird dieſes niemals reproducirt.
Indem wir nach dieſer Vergleichung zwiſchen Thier und Pflanze nochmals zu der Bedeutung der Blätter für das Pflanzenleben zurück- kehren, ſo iſt hier noch hervorzuheben, daß bei einigen unſerer Waldbäume, wie überhaupt bei vielen Pflanzen, die Blätter wenigſtens für das Blühen im engern Sinne, d. h. für die Ernährung der Blüthen bis zu dem Zeit- punkte, wo ſich meiſt nach dem Abſterben der Kronenblätter und der Staubgefäße die Samen ausbilden, nichts beitragen. Dies iſt bei den vor dem Ausbruch des Laubes blühenden Arten der Fall, z. B. Schwarz- oder Schlehdorn, Pappeln, Eſche, Rüſter, Erle, Haſel und einigen Weiden- arten, denn bei dieſen ſind eben die Blätter gar nicht da und kommen ſogar bei manchen ziemlich ſpät nach den Blüthen und nachdem die Be- fruchtung in dieſen längſt ſtattgefunden hat, ſo daß z. B. die männlichen Kätzchen der Espe längſt abgefallen ſind, wenn die Laubknospen erſt ſich öffnen. Dagegen iſt die Ausbildung der Früchte und das Reifen der Samen, ſo daß dieſe auch keimfähig ſind, ohne Ernährung durch die Blätter unmöglich.
Die Buche, die wir jetzt zunächſt immer im Auge haben, iſt einer von den mit dem Laube blühenden Bäumen, worin ihr der Hornbaum, die Eiche, die Birke, unſere drei Ahorn-, viele Weidenarten gleich ſind. Nur wenige Bäume blühen nach den Blättern, ſo daß zwiſchen dem Ab- ſchluß der vollkommenen Belaubung und der Entwicklung der Blüthen eine Zeit des Stillſtands mitten innen liegt. Dies iſt eigentlich blos bei
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eine Adventivknospe, immer aber an einer anderen Stelle. Der
reproducirte Salamanderſchwanz iſt gewiſſermaßen derſelbe wie der
verlorene, das reproducirte Blatt iſt ein anderes. Jener iſt der repro-
ducirte Theil, dieſes iſt ein nicht reproducirtes, ſondern einfach ein
producirtes neues Individuum; ja eine eigentliche Reproduktion kommt
im Pflanzenreiche vielleicht gar nicht oder nur ſehr beſchränkt vor. Die
Ausheilung einer Stammwunde durch Ueberwallung der Stelle, wo wir
einen Zweig abgeſchnitten hatten, iſt keine echte Rinden- und Holz-Repro-
dutkion; ſie iſt nichts weiter als die Benutzung der ſich darbietenden
neuen Fläche für den in der Rinde herabkommenden Bildungsſaft und
hat mit dem abgeſchnittenen Zweige gar nichts zu thun. Wenn wir einem
noch in kräftiger Entwicklung ſtehenden Blatte, einem pflanzlichen Indi-
viduum, ein Stück abſchneiden, ſo wird dieſes niemals reproducirt.
Indem wir nach dieſer Vergleichung zwiſchen Thier und Pflanze
nochmals zu der Bedeutung der Blätter für das Pflanzenleben zurück-
kehren, ſo iſt hier noch hervorzuheben, daß bei einigen unſerer Waldbäume,
wie überhaupt bei vielen Pflanzen, die Blätter wenigſtens für das Blühen
im engern Sinne, d. h. für die Ernährung der Blüthen bis zu dem Zeit-
punkte, wo ſich meiſt nach dem Abſterben der Kronenblätter und der
Staubgefäße die Samen ausbilden, nichts beitragen. Dies iſt bei den vor
dem Ausbruch des Laubes blühenden Arten der Fall, z. B. Schwarz-
oder Schlehdorn, Pappeln, Eſche, Rüſter, Erle, Haſel und einigen Weiden-
arten, denn bei dieſen ſind eben die Blätter gar nicht da und kommen
ſogar bei manchen ziemlich ſpät nach den Blüthen und nachdem die Be-
fruchtung in dieſen längſt ſtattgefunden hat, ſo daß z. B. die männlichen
Kätzchen der Espe längſt abgefallen ſind, wenn die Laubknospen erſt ſich
öffnen. Dagegen iſt die Ausbildung der Früchte und das Reifen der
Samen, ſo daß dieſe auch keimfähig ſind, ohne Ernährung durch die
Blätter unmöglich.
Die Buche, die wir jetzt zunächſt immer im Auge haben, iſt einer
von den mit dem Laube blühenden Bäumen, worin ihr der Hornbaum,
die Eiche, die Birke, unſere drei Ahorn-, viele Weidenarten gleich ſind.
Nur wenige Bäume blühen nach den Blättern, ſo daß zwiſchen dem Ab-
ſchluß der vollkommenen Belaubung und der Entwicklung der Blüthen
eine Zeit des Stillſtands mitten innen liegt. Dies iſt eigentlich blos bei
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/206>, abgerufen am 22.12.2024.
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