ab und trocknet man dann den entblößten Holzring sorgfältig ab, so zeigt sich nach einem Jahre Folgendes:
Das entblößte Holz a b hat sich keineswegs mit neuer Rinde be- kleidet, sondern zeigt sich vielmehr trocken und mißfarbig, wie abgestorben, was es bis auf einige Tiefe auch wirklich ist; es hat sich nicht nur keine neue Jahreslage gebildet, sondern wenn wir nach dem Abschälen den Durchmesser der entblößten Stelle genau gemessen hätten, so würden wir nun dieselbe durch oberflächliche Vertrocknung sogar etwas schwächer finden. Oberhalb und unterhalb der geschälten Stelle hat sich in der Zeit ganz Verschiedenes ergeben. Ueber a hat sich nicht nur eine merkliche Wulst gebildet, sondern der ganze Zweig hat im Umfang etwas zugenommen, ebenso wie man an der nicht mit abgebildeten Zweigspitze die hinzuge- kommenen Jahrestriebe normal finden würde. Namentlich aber die Wulst a zeigt deutlich, daß hier ein Saftandrang stattgefunden hat, welcher hier nicht weiter konnte und die Wulst bildete. Ganz anders sieht es unter der geschälten Stelle von b an abwärts aus. Eine Strecke weit, bis an die schräge Grenzlinie c d ist die Rinde verschrumpft und ganz fest auf- getrocknet. Von dieser Linie an abwärts, wo links bei e ein Zweig ab- geht, ist die Rinde aber wieder frisch und prall und der Zweig zeigt auch Dickenzunahme. Alle diese Erscheinungen beweisen für den abwärts ge- richteten Strom des Bildungssaftes, so wie dafür, daß dieser in der Rinde statthat, daß sich die Rinde auf einer geschälten Stelle nicht wieder erzeugt, und daß das Holz aus sich ohne Beihülfe der Rinde keine neue Holzschicht erzeugen kann.
Da wir die assimilirende Lebensaufgabe der Blätter und die des Holz- körpers bereits kennen, so ist uns nun alles das, was hier geschehen ist, leicht erklärlich. Als wir etwa Ende April den Rindenring abschälten, war der oberhalb desselben liegende Theil des Zweiges und der bei c ab- gehende Seitenzweig mit jungen Blättern versehen. Zu ihnen strömte im Holzkörper der rohe Nahrungssaft empor, die Blätter bereiteten aus ihm den Bildungssaft, den nachher die Rinde abwärts leitete. Weiter als bis a konnte er nicht, da hier der Rindenweg unterbrochen war, er war genöthigt, sich hier zu gestalten, wovon die Wulst und die Dickenzu- nahme die Folge ist, vielleicht auch -- unsere Figur zeigt uns das nicht -- Adventivknospen zu treiben und vorhandene Seitentriebe sich be-
ab und trocknet man dann den entblößten Holzring ſorgfältig ab, ſo zeigt ſich nach einem Jahre Folgendes:
Das entblößte Holz a b hat ſich keineswegs mit neuer Rinde be- kleidet, ſondern zeigt ſich vielmehr trocken und mißfarbig, wie abgeſtorben, was es bis auf einige Tiefe auch wirklich iſt; es hat ſich nicht nur keine neue Jahreslage gebildet, ſondern wenn wir nach dem Abſchälen den Durchmeſſer der entblößten Stelle genau gemeſſen hätten, ſo würden wir nun dieſelbe durch oberflächliche Vertrocknung ſogar etwas ſchwächer finden. Oberhalb und unterhalb der geſchälten Stelle hat ſich in der Zeit ganz Verſchiedenes ergeben. Ueber a hat ſich nicht nur eine merkliche Wulſt gebildet, ſondern der ganze Zweig hat im Umfang etwas zugenommen, ebenſo wie man an der nicht mit abgebildeten Zweigſpitze die hinzuge- kommenen Jahrestriebe normal finden würde. Namentlich aber die Wulſt a zeigt deutlich, daß hier ein Saftandrang ſtattgefunden hat, welcher hier nicht weiter konnte und die Wulſt bildete. Ganz anders ſieht es unter der geſchälten Stelle von b an abwärts aus. Eine Strecke weit, bis an die ſchräge Grenzlinie c d iſt die Rinde verſchrumpft und ganz feſt auf- getrocknet. Von dieſer Linie an abwärts, wo links bei e ein Zweig ab- geht, iſt die Rinde aber wieder friſch und prall und der Zweig zeigt auch Dickenzunahme. Alle dieſe Erſcheinungen beweiſen für den abwärts ge- richteten Strom des Bildungsſaftes, ſo wie dafür, daß dieſer in der Rinde ſtatthat, daß ſich die Rinde auf einer geſchälten Stelle nicht wieder erzeugt, und daß das Holz aus ſich ohne Beihülfe der Rinde keine neue Holzſchicht erzeugen kann.
Da wir die aſſimilirende Lebensaufgabe der Blätter und die des Holz- körpers bereits kennen, ſo iſt uns nun alles das, was hier geſchehen iſt, leicht erklärlich. Als wir etwa Ende April den Rindenring abſchälten, war der oberhalb deſſelben liegende Theil des Zweiges und der bei c ab- gehende Seitenzweig mit jungen Blättern verſehen. Zu ihnen ſtrömte im Holzkörper der rohe Nahrungsſaft empor, die Blätter bereiteten aus ihm den Bildungsſaft, den nachher die Rinde abwärts leitete. Weiter als bis a konnte er nicht, da hier der Rindenweg unterbrochen war, er war genöthigt, ſich hier zu geſtalten, wovon die Wulſt und die Dickenzu- nahme die Folge iſt, vielleicht auch — unſere Figur zeigt uns das nicht — Adventivknospen zu treiben und vorhandene Seitentriebe ſich be-
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ab und trocknet man dann den entblößten Holzring ſorgfältig ab, ſo zeigt
ſich nach einem Jahre Folgendes:
Das entblößte Holz a b hat ſich keineswegs mit neuer Rinde be-
kleidet, ſondern zeigt ſich vielmehr trocken und mißfarbig, wie abgeſtorben,
was es bis auf einige Tiefe auch wirklich iſt; es hat ſich nicht nur keine
neue Jahreslage gebildet, ſondern wenn wir nach dem Abſchälen den
Durchmeſſer der entblößten Stelle genau gemeſſen hätten, ſo würden wir
nun dieſelbe durch oberflächliche Vertrocknung ſogar etwas ſchwächer finden.
Oberhalb und unterhalb der geſchälten Stelle hat ſich in der Zeit ganz
Verſchiedenes ergeben. Ueber a hat ſich nicht nur eine merkliche Wulſt
gebildet, ſondern der ganze Zweig hat im Umfang etwas zugenommen,
ebenſo wie man an der nicht mit abgebildeten Zweigſpitze die hinzuge-
kommenen Jahrestriebe normal finden würde. Namentlich aber die Wulſt
a zeigt deutlich, daß hier ein Saftandrang ſtattgefunden hat, welcher hier
nicht weiter konnte und die Wulſt bildete. Ganz anders ſieht es unter
der geſchälten Stelle von b an abwärts aus. Eine Strecke weit, bis an
die ſchräge Grenzlinie c d iſt die Rinde verſchrumpft und ganz feſt auf-
getrocknet. Von dieſer Linie an abwärts, wo links bei e ein Zweig ab-
geht, iſt die Rinde aber wieder friſch und prall und der Zweig zeigt auch
Dickenzunahme. Alle dieſe Erſcheinungen beweiſen für den abwärts ge-
richteten Strom des Bildungsſaftes, ſo wie dafür, daß dieſer in der Rinde
ſtatthat, daß ſich die Rinde auf einer geſchälten Stelle nicht wieder erzeugt,
und daß das Holz aus ſich ohne Beihülfe der Rinde keine neue Holzſchicht
erzeugen kann.
Da wir die aſſimilirende Lebensaufgabe der Blätter und die des Holz-
körpers bereits kennen, ſo iſt uns nun alles das, was hier geſchehen
iſt, leicht erklärlich. Als wir etwa Ende April den Rindenring abſchälten,
war der oberhalb deſſelben liegende Theil des Zweiges und der bei c ab-
gehende Seitenzweig mit jungen Blättern verſehen. Zu ihnen ſtrömte
im Holzkörper der rohe Nahrungsſaft empor, die Blätter bereiteten aus
ihm den Bildungsſaft, den nachher die Rinde abwärts leitete. Weiter als
bis a konnte er nicht, da hier der Rindenweg unterbrochen war, er war
genöthigt, ſich hier zu geſtalten, wovon die Wulſt und die Dickenzu-
nahme die Folge iſt, vielleicht auch — unſere Figur zeigt uns das
nicht — Adventivknospen zu treiben und vorhandene Seitentriebe ſich be-
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/197>, abgerufen am 22.12.2024.
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