Wenn wir also den Pflanzensamen lebendig nennen wollen, so müßten wir seinetwegen eine andere Begriffsbestimmung des Lebens aufsuchen, welche der Stoffbewegung und des Stoffumsatzes (was Beides in der Hauptsache Eins ist) nicht bedürfte.
Daß wir aber für Ein Ding nicht zwei verschiedene Definitionen aufstellen dürfen, liegt auf der Hand.
Demnach wäre also wohl der Pflanzensame kein lebendiger Körper?
Leblos, in dem gangbaren Wortsinne, wie wir einen Stein leblos nennen, können wir ein Samenkorn nicht nennen.
Wir müssen zu der erwähnten bedingenden Wesenheit des Lebens: Umsatz und Bewegung der Stoffe, die Form als Bedingung hinzufügen.
Nachdem wir die Erbsen gemahlen haben, wobei ihre Stoff-Bestand- theile dieselben geblieben sind, hören sie auf keimfähig zu sein. Die Stoffe müssen also nach gewissen Formgesetzen angeordnet sein.
Aber demnach müßte ein eben getödtetes Thier auch noch ein leben- diges genannt werden, denn seine Form ist dieselbe geblieben, und auch der Stoffumsatz und die Stoffbewegung geht fort, nämlich in der Fäulniß. Also diese drei Bedingungen bilden das Leben noch nicht allein. Es muß noch ein Viertes hinzukommen, was sich freilich nur in seiner Erscheinung, nicht in seiner bedingten Nothwendigkeit auffassen läßt. Dieses liegt in einem gewissen Gleichgewicht des Umsatzes und der Bewegung der Stoffe, in einem gewissermaßen in sich abgeschlossenen Kreislaufe der- selben.
Bei einem neunzigjährigen Greise hat dieses Gleichgewicht, dieser Kreislauf neunzig Jahre lang bestanden, im Moment des Todes wird es aufgehoben und die Bewegung und der Umsatz der Stoffe tritt aus diesem geregelten Kreislaufe heraus. Wenn also auch im getödteten Thierkörper ein Stoffumsatz und eine Stoffbewegung noch stattfindet, so geschieht dies doch nicht mehr innerhalb des bisherigen Gleichgewichts, des bisherigen Kreislaufs -- es führt zur Bildung von Fäulnißprodukten.
Die Bewegung und der Umsatz der Stoffe, worein wir eine Wesenheit des Lebens setzten, ist aber dadurch von beiden, wie sie in den Fäulniß- processen stattfinden, verschieden, daß in dem lebenden Thier- und Pflanzen- leibe eine fortdauernde Erneuerung dieser Stoffe (durch die Ernährung) ein sogenannter Stoffwechsel, innerhalb der gegebenen Körpergestalt
Wenn wir alſo den Pflanzenſamen lebendig nennen wollen, ſo müßten wir ſeinetwegen eine andere Begriffsbeſtimmung des Lebens aufſuchen, welche der Stoffbewegung und des Stoffumſatzes (was Beides in der Hauptſache Eins iſt) nicht bedürfte.
Daß wir aber für Ein Ding nicht zwei verſchiedene Definitionen aufſtellen dürfen, liegt auf der Hand.
Demnach wäre alſo wohl der Pflanzenſame kein lebendiger Körper?
Leblos, in dem gangbaren Wortſinne, wie wir einen Stein leblos nennen, können wir ein Samenkorn nicht nennen.
Wir müſſen zu der erwähnten bedingenden Weſenheit des Lebens: Umſatz und Bewegung der Stoffe, die Form als Bedingung hinzufügen.
Nachdem wir die Erbſen gemahlen haben, wobei ihre Stoff-Beſtand- theile dieſelben geblieben ſind, hören ſie auf keimfähig zu ſein. Die Stoffe müſſen alſo nach gewiſſen Formgeſetzen angeordnet ſein.
Aber demnach müßte ein eben getödtetes Thier auch noch ein leben- diges genannt werden, denn ſeine Form iſt dieſelbe geblieben, und auch der Stoffumſatz und die Stoffbewegung geht fort, nämlich in der Fäulniß. Alſo dieſe drei Bedingungen bilden das Leben noch nicht allein. Es muß noch ein Viertes hinzukommen, was ſich freilich nur in ſeiner Erſcheinung, nicht in ſeiner bedingten Nothwendigkeit auffaſſen läßt. Dieſes liegt in einem gewiſſen Gleichgewicht des Umſatzes und der Bewegung der Stoffe, in einem gewiſſermaßen in ſich abgeſchloſſenen Kreislaufe der- ſelben.
Bei einem neunzigjährigen Greiſe hat dieſes Gleichgewicht, dieſer Kreislauf neunzig Jahre lang beſtanden, im Moment des Todes wird es aufgehoben und die Bewegung und der Umſatz der Stoffe tritt aus dieſem geregelten Kreislaufe heraus. Wenn alſo auch im getödteten Thierkörper ein Stoffumſatz und eine Stoffbewegung noch ſtattfindet, ſo geſchieht dies doch nicht mehr innerhalb des bisherigen Gleichgewichts, des bisherigen Kreislaufs — es führt zur Bildung von Fäulnißprodukten.
Die Bewegung und der Umſatz der Stoffe, worein wir eine Weſenheit des Lebens ſetzten, iſt aber dadurch von beiden, wie ſie in den Fäulniß- proceſſen ſtattfinden, verſchieden, daß in dem lebenden Thier- und Pflanzen- leibe eine fortdauernde Erneuerung dieſer Stoffe (durch die Ernährung) ein ſogenannter Stoffwechſel, innerhalb der gegebenen Körpergeſtalt
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Wenn wir alſo den Pflanzenſamen lebendig nennen wollen, ſo müßten
wir ſeinetwegen eine andere Begriffsbeſtimmung des Lebens aufſuchen,
welche der Stoffbewegung und des Stoffumſatzes (was Beides in der
Hauptſache Eins iſt) nicht bedürfte.
Daß wir aber für Ein Ding nicht zwei verſchiedene Definitionen
aufſtellen dürfen, liegt auf der Hand.
Demnach wäre alſo wohl der Pflanzenſame kein lebendiger Körper?
Leblos, in dem gangbaren Wortſinne, wie wir einen Stein leblos
nennen, können wir ein Samenkorn nicht nennen.
Wir müſſen zu der erwähnten bedingenden Weſenheit des Lebens:
Umſatz und Bewegung der Stoffe, die Form als Bedingung hinzufügen.
Nachdem wir die Erbſen gemahlen haben, wobei ihre Stoff-Beſtand-
theile dieſelben geblieben ſind, hören ſie auf keimfähig zu ſein. Die Stoffe
müſſen alſo nach gewiſſen Formgeſetzen angeordnet ſein.
Aber demnach müßte ein eben getödtetes Thier auch noch ein leben-
diges genannt werden, denn ſeine Form iſt dieſelbe geblieben, und auch
der Stoffumſatz und die Stoffbewegung geht fort, nämlich in der Fäulniß.
Alſo dieſe drei Bedingungen bilden das Leben noch nicht allein. Es muß
noch ein Viertes hinzukommen, was ſich freilich nur in ſeiner Erſcheinung,
nicht in ſeiner bedingten Nothwendigkeit auffaſſen läßt. Dieſes liegt in
einem gewiſſen Gleichgewicht des Umſatzes und der Bewegung der
Stoffe, in einem gewiſſermaßen in ſich abgeſchloſſenen Kreislaufe der-
ſelben.
Bei einem neunzigjährigen Greiſe hat dieſes Gleichgewicht, dieſer
Kreislauf neunzig Jahre lang beſtanden, im Moment des Todes wird es
aufgehoben und die Bewegung und der Umſatz der Stoffe tritt aus dieſem
geregelten Kreislaufe heraus. Wenn alſo auch im getödteten Thierkörper
ein Stoffumſatz und eine Stoffbewegung noch ſtattfindet, ſo geſchieht dies
doch nicht mehr innerhalb des bisherigen Gleichgewichts, des bisherigen
Kreislaufs — es führt zur Bildung von Fäulnißprodukten.
Die Bewegung und der Umſatz der Stoffe, worein wir eine Weſenheit
des Lebens ſetzten, iſt aber dadurch von beiden, wie ſie in den Fäulniß-
proceſſen ſtattfinden, verſchieden, daß in dem lebenden Thier- und Pflanzen-
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/165>, abgerufen am 22.12.2024.
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