schon solche auffallende Einflüsse auf seine Holzbildung erlebt haben zu können.
Diese bisher von vielen meiner Leser und Leserinnen gewiß mit Gleichgültigkeit angesehenen concentrischen Kreise an dem Querschnitte eines Stammes oder eines stehenden Stockes oder auch nur eines Balkens werden für dieselben durch diese Mittheilungen gewiß eine überraschende Bedeut- samkeit erhalten haben, und es ist nicht zu viel gesagt, indem ich ihnen einen sehr unterhaltenden Genuß verspreche, wenn sie auf das gegenseitige Verhalten der Jahresringe an einem Baumstamme achten wollen. Man kann daran die ganze Lebensgeschichte eines vor uns liegenden, seiner Wurzel und seiner Aeste und Krone beraubten Baumes lesen, so weit sich dieselbe an dem Holze ausspricht.
Hier liegen zwei Fichtenstämme vor einer Schneidemühle, um in Breter geschnitten zu werden. Sie sind beide gleich dick und tragen am Abschnitt den gleichen Stempel ihres Besitzers. Er hat vielleicht, ja wahrscheinlich, für beide den gleichen Preis gezahlt, denn bei gleicher Länge und gleichem Durchmesser haben beide denselben Gehalt an Holzmasse. Und doch sind die beiden Stämme sehr verschieden an Werth. Der eine der beiden Stämme hat viel schwammigeres weicheres Holz, denn er ist auf einem sehr üppigen fruchtbaren Boden erwachsen, viel schneller als der andere, der auf magerem Boden stand. Wir sehen das aus den Jahresringen. Der erste hat deren 15 weniger als der andere und ist doch ebenso dick. Er setzte eben auf seinem guten Standorte jährlich dickere Jahresringe an als der andere und war daher funfzehn Jahre früher ebenso dick als der andere; aber er wurde dies auf Kosten der Güte seines Holzes. Er ist grobjährig, während der andere feinjährig ist -- eine sonderbare Vertauschung des wenig mit grob und des viel mit fein.
Es gewährt dem Gebirgsbewohner -- wenn er darauf achten will -- eine angenehme Unterhaltung, vor der Schneidemühle am Gebirgsbache in seiner Nachbarschaft baumbiographische Studien zu machen. Er hat beobachtet, daß seit mehreren Tagen immer dieselben Gespanne Fichten- klötze angefahren bringen und vor der Schneidemühle zu einer hohen Schicht aufthürmen. Sie sind alle von gleicher Länge und durchschnittlich auch von ziemlich gleicher Stärke. Daß sie alle aus einem königlichen Forstrevier kommen, sieht er an dem Waldzeichen auf ihren Abschnitten
ſchon ſolche auffallende Einflüſſe auf ſeine Holzbildung erlebt haben zu können.
Dieſe bisher von vielen meiner Leſer und Leſerinnen gewiß mit Gleichgültigkeit angeſehenen concentriſchen Kreiſe an dem Querſchnitte eines Stammes oder eines ſtehenden Stockes oder auch nur eines Balkens werden für dieſelben durch dieſe Mittheilungen gewiß eine überraſchende Bedeut- ſamkeit erhalten haben, und es iſt nicht zu viel geſagt, indem ich ihnen einen ſehr unterhaltenden Genuß verſpreche, wenn ſie auf das gegenſeitige Verhalten der Jahresringe an einem Baumſtamme achten wollen. Man kann daran die ganze Lebensgeſchichte eines vor uns liegenden, ſeiner Wurzel und ſeiner Aeſte und Krone beraubten Baumes leſen, ſo weit ſich dieſelbe an dem Holze ausſpricht.
Hier liegen zwei Fichtenſtämme vor einer Schneidemühle, um in Breter geſchnitten zu werden. Sie ſind beide gleich dick und tragen am Abſchnitt den gleichen Stempel ihres Beſitzers. Er hat vielleicht, ja wahrſcheinlich, für beide den gleichen Preis gezahlt, denn bei gleicher Länge und gleichem Durchmeſſer haben beide denſelben Gehalt an Holzmaſſe. Und doch ſind die beiden Stämme ſehr verſchieden an Werth. Der eine der beiden Stämme hat viel ſchwammigeres weicheres Holz, denn er iſt auf einem ſehr üppigen fruchtbaren Boden erwachſen, viel ſchneller als der andere, der auf magerem Boden ſtand. Wir ſehen das aus den Jahresringen. Der erſte hat deren 15 weniger als der andere und iſt doch ebenſo dick. Er ſetzte eben auf ſeinem guten Standorte jährlich dickere Jahresringe an als der andere und war daher funfzehn Jahre früher ebenſo dick als der andere; aber er wurde dies auf Koſten der Güte ſeines Holzes. Er iſt grobjährig, während der andere feinjährig iſt — eine ſonderbare Vertauſchung des wenig mit grob und des viel mit fein.
Es gewährt dem Gebirgsbewohner — wenn er darauf achten will — eine angenehme Unterhaltung, vor der Schneidemühle am Gebirgsbache in ſeiner Nachbarſchaft baumbiographiſche Studien zu machen. Er hat beobachtet, daß ſeit mehreren Tagen immer dieſelben Geſpanne Fichten- klötze angefahren bringen und vor der Schneidemühle zu einer hohen Schicht aufthürmen. Sie ſind alle von gleicher Länge und durchſchnittlich auch von ziemlich gleicher Stärke. Daß ſie alle aus einem königlichen Forſtrevier kommen, ſieht er an dem Waldzeichen auf ihren Abſchnitten
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ſchon ſolche auffallende Einflüſſe auf ſeine Holzbildung erlebt haben zu
können.
Dieſe bisher von vielen meiner Leſer und Leſerinnen gewiß mit
Gleichgültigkeit angeſehenen concentriſchen Kreiſe an dem Querſchnitte eines
Stammes oder eines ſtehenden Stockes oder auch nur eines Balkens werden
für dieſelben durch dieſe Mittheilungen gewiß eine überraſchende Bedeut-
ſamkeit erhalten haben, und es iſt nicht zu viel geſagt, indem ich ihnen
einen ſehr unterhaltenden Genuß verſpreche, wenn ſie auf das gegenſeitige
Verhalten der Jahresringe an einem Baumſtamme achten wollen. Man
kann daran die ganze Lebensgeſchichte eines vor uns liegenden, ſeiner
Wurzel und ſeiner Aeſte und Krone beraubten Baumes leſen, ſo weit ſich
dieſelbe an dem Holze ausſpricht.
Hier liegen zwei Fichtenſtämme vor einer Schneidemühle, um in
Breter geſchnitten zu werden. Sie ſind beide gleich dick und tragen am
Abſchnitt den gleichen Stempel ihres Beſitzers. Er hat vielleicht, ja
wahrſcheinlich, für beide den gleichen Preis gezahlt, denn bei gleicher Länge
und gleichem Durchmeſſer haben beide denſelben Gehalt an Holzmaſſe.
Und doch ſind die beiden Stämme ſehr verſchieden an Werth. Der eine
der beiden Stämme hat viel ſchwammigeres weicheres Holz, denn er iſt
auf einem ſehr üppigen fruchtbaren Boden erwachſen, viel ſchneller als
der andere, der auf magerem Boden ſtand. Wir ſehen das aus den
Jahresringen. Der erſte hat deren 15 weniger als der andere und iſt
doch ebenſo dick. Er ſetzte eben auf ſeinem guten Standorte jährlich dickere
Jahresringe an als der andere und war daher funfzehn Jahre früher
ebenſo dick als der andere; aber er wurde dies auf Koſten der Güte ſeines
Holzes. Er iſt grobjährig, während der andere feinjährig iſt — eine
ſonderbare Vertauſchung des wenig mit grob und des viel mit fein.
Es gewährt dem Gebirgsbewohner — wenn er darauf achten will —
eine angenehme Unterhaltung, vor der Schneidemühle am Gebirgsbache in
ſeiner Nachbarſchaft baumbiographiſche Studien zu machen. Er hat
beobachtet, daß ſeit mehreren Tagen immer dieſelben Geſpanne Fichten-
klötze angefahren bringen und vor der Schneidemühle zu einer hohen
Schicht aufthürmen. Sie ſind alle von gleicher Länge und durchſchnittlich
auch von ziemlich gleicher Stärke. Daß ſie alle aus einem königlichen
Forſtrevier kommen, ſieht er an dem Waldzeichen auf ihren Abſchnitten
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/118>, abgerufen am 22.12.2024.
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