Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Gottes zu begnadigen.
Gleichnißes, welches wir zu betrachten angefangen
haben. Der gute Vater, der über die Entfernung
seines Sohnes bisher betrübt gewesen war, freute
sich, so bald er ihn nur wieder von Ferne erblickte.
Er hatte Mitleiden mit seinem unglücklichen Zustan-
de, lief ihm entgegen, und umarmte ihn auf das
liebreichste und zärtlichste. Ein Bild der zärtlichen
Vaterliebe Gottes gegen verirrte Sünder! So
bald sie sich nur zu ihm wenden, und anfangen
sich eines beßern zu besinnen, so weit sie sich auch
vorher von ihm und seinen gütigen Vorschriften
sollten entfernt haben, so bald ist er auch bereit zur
Verzeihung. Er kommt ihnen gleichsam mit sei-
ner Gnade zuvor, und nimmt sie mit der zärtlich-
sten Liebe zu seinen Kindern an.

Diese Wahrheit ist allerdings so ausnehmend
tröstlich und erfreulich, daß sie einer genauern Be-
trachtung würdig ist, indem auch den unglücklich-
sten Sündern dadurch ein Muth gemacht werden
kan, ihre Zuflucht zur Barmherzigkeit Gottes zu
nehmen, und sich auf seine Gnade Rechnung zu
machen. Da aber diese tröstliche Lehre von so gar
vielen Menschen auf eine schreckliche Weise gemiß-
braucht wird, so müßen wir auch zeigen, unter
was für Bedingnißen Gott die Sünder zu begna-
digen bereit ist. Denn es ist leicht zu denken, daß
dieienigen Menschen, die in ihren gewohnten La-
stern und Bosheiten verharren, keinen gegründe-
ten Anspruch auf die Gnade und Barmherzigkeit
Gottes machen können. Gott ist ein heiliges, rei-
nes Wesen, und kan vermöge seiner Natur un-
möglich an Unordnungen und Sünden ein Wohlge-

fallen
D 3

Gottes zu begnadigen.
Gleichnißes, welches wir zu betrachten angefangen
haben. Der gute Vater, der über die Entfernung
ſeines Sohnes bisher betrübt geweſen war, freute
ſich, ſo bald er ihn nur wieder von Ferne erblickte.
Er hatte Mitleiden mit ſeinem unglücklichen Zuſtan-
de, lief ihm entgegen, und umarmte ihn auf das
liebreichſte und zärtlichſte. Ein Bild der zärtlichen
Vaterliebe Gottes gegen verirrte Sünder! So
bald ſie ſich nur zu ihm wenden, und anfangen
ſich eines beßern zu beſinnen, ſo weit ſie ſich auch
vorher von ihm und ſeinen gütigen Vorſchriften
ſollten entfernt haben, ſo bald iſt er auch bereit zur
Verzeihung. Er kommt ihnen gleichſam mit ſei-
ner Gnade zuvor, und nimmt ſie mit der zärtlich-
ſten Liebe zu ſeinen Kindern an.

Dieſe Wahrheit iſt allerdings ſo ausnehmend
tröſtlich und erfreulich, daß ſie einer genauern Be-
trachtung würdig iſt, indem auch den unglücklich-
ſten Sündern dadurch ein Muth gemacht werden
kan, ihre Zuflucht zur Barmherzigkeit Gottes zu
nehmen, und ſich auf ſeine Gnade Rechnung zu
machen. Da aber dieſe tröſtliche Lehre von ſo gar
vielen Menſchen auf eine ſchreckliche Weiſe gemiß-
braucht wird, ſo müßen wir auch zeigen, unter
was für Bedingnißen Gott die Sünder zu begna-
digen bereit iſt. Denn es iſt leicht zu denken, daß
dieienigen Menſchen, die in ihren gewohnten La-
ſtern und Bosheiten verharren, keinen gegründe-
ten Anſpruch auf die Gnade und Barmherzigkeit
Gottes machen können. Gott iſt ein heiliges, rei-
nes Weſen, und kan vermöge ſeiner Natur un-
möglich an Unordnungen und Sünden ein Wohlge-

fallen
D 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0065" n="53"/><fw place="top" type="header">Gottes zu begnadigen.</fw><lb/>
Gleichnißes, welches wir zu betrachten angefangen<lb/>
haben. Der gute Vater, der über die Entfernung<lb/>
&#x017F;eines Sohnes bisher betrübt gewe&#x017F;en war, freute<lb/>
&#x017F;ich, &#x017F;o bald er ihn nur wieder von Ferne erblickte.<lb/>
Er hatte Mitleiden mit &#x017F;einem unglücklichen Zu&#x017F;tan-<lb/>
de, lief ihm entgegen, und umarmte ihn auf das<lb/>
liebreich&#x017F;te und zärtlich&#x017F;te. Ein Bild der zärtlichen<lb/>
Vaterliebe Gottes gegen verirrte Sünder! So<lb/>
bald &#x017F;ie &#x017F;ich nur zu ihm wenden, und anfangen<lb/>
&#x017F;ich eines beßern zu be&#x017F;innen, &#x017F;o weit &#x017F;ie &#x017F;ich auch<lb/>
vorher von ihm und &#x017F;einen gütigen Vor&#x017F;chriften<lb/>
&#x017F;ollten entfernt haben, &#x017F;o bald i&#x017F;t er auch bereit zur<lb/>
Verzeihung. Er kommt ihnen gleich&#x017F;am mit &#x017F;ei-<lb/>
ner Gnade zuvor, und nimmt &#x017F;ie mit der zärtlich-<lb/>
&#x017F;ten Liebe zu &#x017F;einen Kindern an.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e Wahrheit i&#x017F;t allerdings &#x017F;o ausnehmend<lb/>
trö&#x017F;tlich und erfreulich, daß &#x017F;ie einer genauern Be-<lb/>
trachtung würdig i&#x017F;t, indem auch den unglücklich-<lb/>
&#x017F;ten Sündern dadurch ein Muth gemacht werden<lb/>
kan, ihre Zuflucht zur Barmherzigkeit Gottes zu<lb/>
nehmen, und &#x017F;ich auf &#x017F;eine Gnade Rechnung zu<lb/>
machen. Da aber die&#x017F;e trö&#x017F;tliche Lehre von &#x017F;o gar<lb/>
vielen Men&#x017F;chen auf eine &#x017F;chreckliche Wei&#x017F;e gemiß-<lb/>
braucht wird, &#x017F;o müßen wir auch zeigen, unter<lb/>
was für Bedingnißen Gott die Sünder zu begna-<lb/>
digen bereit i&#x017F;t. Denn es i&#x017F;t leicht zu denken, daß<lb/>
dieienigen Men&#x017F;chen, die in ihren gewohnten La-<lb/>
&#x017F;tern und Bosheiten verharren, keinen gegründe-<lb/>
ten An&#x017F;pruch auf die Gnade und Barmherzigkeit<lb/>
Gottes machen können. Gott i&#x017F;t ein heiliges, rei-<lb/>
nes We&#x017F;en, und kan vermöge &#x017F;einer Natur un-<lb/>
möglich an Unordnungen und Sünden ein Wohlge-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D 3</fw><fw place="bottom" type="catch">fallen</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[53/0065] Gottes zu begnadigen. Gleichnißes, welches wir zu betrachten angefangen haben. Der gute Vater, der über die Entfernung ſeines Sohnes bisher betrübt geweſen war, freute ſich, ſo bald er ihn nur wieder von Ferne erblickte. Er hatte Mitleiden mit ſeinem unglücklichen Zuſtan- de, lief ihm entgegen, und umarmte ihn auf das liebreichſte und zärtlichſte. Ein Bild der zärtlichen Vaterliebe Gottes gegen verirrte Sünder! So bald ſie ſich nur zu ihm wenden, und anfangen ſich eines beßern zu beſinnen, ſo weit ſie ſich auch vorher von ihm und ſeinen gütigen Vorſchriften ſollten entfernt haben, ſo bald iſt er auch bereit zur Verzeihung. Er kommt ihnen gleichſam mit ſei- ner Gnade zuvor, und nimmt ſie mit der zärtlich- ſten Liebe zu ſeinen Kindern an. Dieſe Wahrheit iſt allerdings ſo ausnehmend tröſtlich und erfreulich, daß ſie einer genauern Be- trachtung würdig iſt, indem auch den unglücklich- ſten Sündern dadurch ein Muth gemacht werden kan, ihre Zuflucht zur Barmherzigkeit Gottes zu nehmen, und ſich auf ſeine Gnade Rechnung zu machen. Da aber dieſe tröſtliche Lehre von ſo gar vielen Menſchen auf eine ſchreckliche Weiſe gemiß- braucht wird, ſo müßen wir auch zeigen, unter was für Bedingnißen Gott die Sünder zu begna- digen bereit iſt. Denn es iſt leicht zu denken, daß dieienigen Menſchen, die in ihren gewohnten La- ſtern und Bosheiten verharren, keinen gegründe- ten Anſpruch auf die Gnade und Barmherzigkeit Gottes machen können. Gott iſt ein heiliges, rei- nes Weſen, und kan vermöge ſeiner Natur un- möglich an Unordnungen und Sünden ein Wohlge- fallen D 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/65
Zitationshilfe: Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/65>, abgerufen am 24.11.2024.