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Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.

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Leben eine Saat auf die Ewigkeit sey.
Schicksal in ienem Leben, und es kan sich schlech-
terdings niemand ein glückliches Loos in iener Ewig-
keit versprechen, wenn nicht sein Herz noch vor sei-
nem Ausgang aus diesem Leben gebeßert worden ist.
Und dieß stimmt mit der gesunden Vernunft, der
Natur des Menschen und der Erfahrung, die wir
schon iezt von den Folgen des Lasters haben, genau
überein. Denn woher kommt wohl so vieles Elend,
woher so vieler Jammer, worunter die Menschen
seufzen? Ist Gott nicht gütig genug gegen uns
Menschen? Bringt der Erdboden nicht so viel Gü-
ter hervor, als zu unserer Erhaltung und Bequem-
lichkeit nöthig sind? Wer kan dieses behaupten,
ohne den schändlichsten Undank zu verrathen?
Wenn ein ieder Mensch dem andern die Hülfe lei-
stete, die er ihm nach der Absicht Gottes leisten
könnte und sollte, so würde die Zahl der Unglück-
lichen ungemein gering in der Welt seyn. Aber
daran fehlt es eben am allermeisten. Die mehre-
sten Menschen sind so lieblos, daß sie nicht nur an-
dern die nöthige Hülfe entziehen, sondern auch
recht vorsetzlich andere zu kränken suchen. Der
Reiche und Wohlhabende verhärtet sein Herz gegen
den Dürftigen, und siehet es mit kaltem Blute an,
wenn er im Mangel verdirbt; der Arme hingegen
ist boshaft, neidisch, untreu, betriegerisch, und
gar oft selbst Schuld daran, daß der Wohlhaben-
de seine Hand von ihm abzieht. So kränkt das
Laster andere Menschen, und ist sich selbst eine
Strafe. Und ich möchte doch wißen, ob ein ver-
ständiger Mensch in der Welt sich getraue zu be-
haupten, daß Unordnung, Falschheit, Eigensinn,

Ver-
B

Leben eine Saat auf die Ewigkeit ſey.
Schickſal in ienem Leben, und es kan ſich ſchlech-
terdings niemand ein glückliches Loos in iener Ewig-
keit verſprechen, wenn nicht ſein Herz noch vor ſei-
nem Ausgang aus dieſem Leben gebeßert worden iſt.
Und dieß ſtimmt mit der geſunden Vernunft, der
Natur des Menſchen und der Erfahrung, die wir
ſchon iezt von den Folgen des Laſters haben, genau
überein. Denn woher kommt wohl ſo vieles Elend,
woher ſo vieler Jammer, worunter die Menſchen
ſeufzen? Iſt Gott nicht gütig genug gegen uns
Menſchen? Bringt der Erdboden nicht ſo viel Gü-
ter hervor, als zu unſerer Erhaltung und Bequem-
lichkeit nöthig ſind? Wer kan dieſes behaupten,
ohne den ſchändlichſten Undank zu verrathen?
Wenn ein ieder Menſch dem andern die Hülfe lei-
ſtete, die er ihm nach der Abſicht Gottes leiſten
könnte und ſollte, ſo würde die Zahl der Unglück-
lichen ungemein gering in der Welt ſeyn. Aber
daran fehlt es eben am allermeiſten. Die mehre-
ſten Menſchen ſind ſo lieblos, daß ſie nicht nur an-
dern die nöthige Hülfe entziehen, ſondern auch
recht vorſetzlich andere zu kränken ſuchen. Der
Reiche und Wohlhabende verhärtet ſein Herz gegen
den Dürftigen, und ſiehet es mit kaltem Blute an,
wenn er im Mangel verdirbt; der Arme hingegen
iſt boshaft, neidiſch, untreu, betriegeriſch, und
gar oft ſelbſt Schuld daran, daß der Wohlhaben-
de ſeine Hand von ihm abzieht. So kränkt das
Laſter andere Menſchen, und iſt ſich ſelbſt eine
Strafe. Und ich möchte doch wißen, ob ein ver-
ſtändiger Menſch in der Welt ſich getraue zu be-
haupten, daß Unordnung, Falſchheit, Eigenſinn,

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B
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[17/0029] Leben eine Saat auf die Ewigkeit ſey. Schickſal in ienem Leben, und es kan ſich ſchlech- terdings niemand ein glückliches Loos in iener Ewig- keit verſprechen, wenn nicht ſein Herz noch vor ſei- nem Ausgang aus dieſem Leben gebeßert worden iſt. Und dieß ſtimmt mit der geſunden Vernunft, der Natur des Menſchen und der Erfahrung, die wir ſchon iezt von den Folgen des Laſters haben, genau überein. Denn woher kommt wohl ſo vieles Elend, woher ſo vieler Jammer, worunter die Menſchen ſeufzen? Iſt Gott nicht gütig genug gegen uns Menſchen? Bringt der Erdboden nicht ſo viel Gü- ter hervor, als zu unſerer Erhaltung und Bequem- lichkeit nöthig ſind? Wer kan dieſes behaupten, ohne den ſchändlichſten Undank zu verrathen? Wenn ein ieder Menſch dem andern die Hülfe lei- ſtete, die er ihm nach der Abſicht Gottes leiſten könnte und ſollte, ſo würde die Zahl der Unglück- lichen ungemein gering in der Welt ſeyn. Aber daran fehlt es eben am allermeiſten. Die mehre- ſten Menſchen ſind ſo lieblos, daß ſie nicht nur an- dern die nöthige Hülfe entziehen, ſondern auch recht vorſetzlich andere zu kränken ſuchen. Der Reiche und Wohlhabende verhärtet ſein Herz gegen den Dürftigen, und ſiehet es mit kaltem Blute an, wenn er im Mangel verdirbt; der Arme hingegen iſt boshaft, neidiſch, untreu, betriegeriſch, und gar oft ſelbſt Schuld daran, daß der Wohlhaben- de ſeine Hand von ihm abzieht. So kränkt das Laſter andere Menſchen, und iſt ſich ſelbſt eine Strafe. Und ich möchte doch wißen, ob ein ver- ſtändiger Menſch in der Welt ſich getraue zu be- haupten, daß Unordnung, Falſchheit, Eigenſinn, Ver- B

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Zitationshilfe: Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/29>, abgerufen am 23.11.2024.