Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Funfzehnte Betr. Von der
seyn. Denn auch Finsternis nicht finster ist bey
dir, und die Nacht leuchtet wie der Tag;
Finsternis ist wie das Licht.
Auch die dikste Fin-
sternis kann mich deinem durchdringendem Blicke
nicht entziehen. Licht und Dunkelheit, Tag und
Nacht ist dir einerley. In der schwärzesten Nacht
erkennest du mich eben so genau, als ob ich von al-
len Seiten mit dem hellesten Tag umgeben wäre.
Die göttliche Erkenntnis erstreckt sich also über die
ganze Welt. Von den höchsten Himmeln bis zu
den tiefsten Abgründen, von einem Ende der Er-
den bis zum andern übersieht er alles mit einem
Blick. In der ganzen Schöpfung ist kein Punkt,
wo ihm etwas verborgen seyn könnte.

Hieraus folgt von selbst, daß Gott auch alle
einzelne Geschöpfe, von dem Wurm bis zum En-
gel auf das genaueste kennen muß. Er kennt also
auch ieden Menschen -- auch mich -- alle meine
Gedanken, meine Absichten, die keinem vernünfti-
gen Wesen in der ganzen Schöpfung bekannt
sind -- Denn da ein Künstler sein Werk noth-
wendig kennen muß, sollte mein Schöpfer mich
nicht kennen? Nothwendig muß er mich beßer
kennen, als ich mich selbst kennen kann -- Herr
du erforschest mich und kennest mich
-- Bis
auf die verborgensten Umstände erkennest du mich.
Ich sitze oder stehe auf, so weißest du es; du
verstehest meine Gedanken von ferne, ich gehe
oder liege, so bist du um mich, und siehest
alle meine Wege. Denn siehe, es ist kein Wort
auf meiner Zunge, das du, Herr, nicht alles

wißest.

Funfzehnte Betr. Von der
ſeyn. Denn auch Finſternis nicht finſter iſt bey
dir, und die Nacht leuchtet wie der Tag;
Finſternis iſt wie das Licht.
Auch die dikſte Fin-
ſternis kann mich deinem durchdringendem Blicke
nicht entziehen. Licht und Dunkelheit, Tag und
Nacht iſt dir einerley. In der ſchwärzeſten Nacht
erkenneſt du mich eben ſo genau, als ob ich von al-
len Seiten mit dem helleſten Tag umgeben wäre.
Die göttliche Erkenntnis erſtreckt ſich alſo über die
ganze Welt. Von den höchſten Himmeln bis zu
den tiefſten Abgründen, von einem Ende der Er-
den bis zum andern überſieht er alles mit einem
Blick. In der ganzen Schöpfung iſt kein Punkt,
wo ihm etwas verborgen ſeyn könnte.

Hieraus folgt von ſelbſt, daß Gott auch alle
einzelne Geſchöpfe, von dem Wurm bis zum En-
gel auf das genaueſte kennen muß. Er kennt alſo
auch ieden Menſchen — auch mich — alle meine
Gedanken, meine Abſichten, die keinem vernünfti-
gen Weſen in der ganzen Schöpfung bekannt
ſind — Denn da ein Künſtler ſein Werk noth-
wendig kennen muß, ſollte mein Schöpfer mich
nicht kennen? Nothwendig muß er mich beßer
kennen, als ich mich ſelbſt kennen kann — Herr
du erforſcheſt mich und kenneſt mich
— Bis
auf die verborgenſten Umſtände erkenneſt du mich.
Ich ſitze oder ſtehe auf, ſo weißeſt du es; du
verſteheſt meine Gedanken von ferne, ich gehe
oder liege, ſo biſt du um mich, und ſieheſt
alle meine Wege. Denn ſiehe, es iſt kein Wort
auf meiner Zunge, das du, Herr, nicht alles

wißeſt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0238" n="226"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Funfzehnte Betr. Von der</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">&#x017F;eyn. Denn auch Fin&#x017F;ternis nicht fin&#x017F;ter i&#x017F;t bey<lb/>
dir, und die Nacht leuchtet wie der Tag;<lb/>
Fin&#x017F;ternis i&#x017F;t wie das Licht.</hi> Auch die dik&#x017F;te Fin-<lb/>
&#x017F;ternis kann mich deinem durchdringendem Blicke<lb/>
nicht entziehen. Licht und Dunkelheit, Tag und<lb/>
Nacht i&#x017F;t dir einerley. In der &#x017F;chwärze&#x017F;ten Nacht<lb/>
erkenne&#x017F;t du mich eben &#x017F;o genau, als ob ich von al-<lb/>
len Seiten mit dem helle&#x017F;ten Tag umgeben wäre.<lb/>
Die göttliche Erkenntnis er&#x017F;treckt &#x017F;ich al&#x017F;o über die<lb/>
ganze Welt. Von den höch&#x017F;ten Himmeln bis zu<lb/>
den tief&#x017F;ten Abgründen, von einem Ende der Er-<lb/>
den bis zum andern über&#x017F;ieht er alles mit einem<lb/>
Blick. In der ganzen Schöpfung i&#x017F;t kein Punkt,<lb/>
wo ihm etwas verborgen &#x017F;eyn könnte.</p><lb/>
        <p>Hieraus folgt von &#x017F;elb&#x017F;t, daß Gott auch alle<lb/>
einzelne Ge&#x017F;chöpfe, von dem Wurm bis zum En-<lb/>
gel auf das genaue&#x017F;te kennen muß. Er kennt al&#x017F;o<lb/>
auch ieden Men&#x017F;chen &#x2014; auch mich &#x2014; alle meine<lb/>
Gedanken, meine Ab&#x017F;ichten, die keinem vernünfti-<lb/>
gen We&#x017F;en in der ganzen Schöpfung bekannt<lb/>
&#x017F;ind &#x2014; Denn da ein Kün&#x017F;tler &#x017F;ein Werk noth-<lb/>
wendig kennen muß, &#x017F;ollte mein Schöpfer mich<lb/>
nicht kennen? Nothwendig muß er mich beßer<lb/>
kennen, als ich mich &#x017F;elb&#x017F;t kennen kann &#x2014; <hi rendition="#fr">Herr<lb/>
du erfor&#x017F;che&#x017F;t mich und kenne&#x017F;t mich</hi> &#x2014; Bis<lb/>
auf die verborgen&#x017F;ten Um&#x017F;tände erkenne&#x017F;t du mich.<lb/><hi rendition="#fr">Ich &#x017F;itze oder &#x017F;tehe auf, &#x017F;o weiße&#x017F;t du es; du<lb/>
ver&#x017F;tehe&#x017F;t meine Gedanken von ferne, ich gehe<lb/>
oder liege, &#x017F;o bi&#x017F;t du um mich, und &#x017F;iehe&#x017F;t<lb/>
alle meine Wege. Denn &#x017F;iehe, es i&#x017F;t kein Wort<lb/>
auf meiner Zunge, das du, Herr, nicht alles</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">wiße&#x017F;t.</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[226/0238] Funfzehnte Betr. Von der ſeyn. Denn auch Finſternis nicht finſter iſt bey dir, und die Nacht leuchtet wie der Tag; Finſternis iſt wie das Licht. Auch die dikſte Fin- ſternis kann mich deinem durchdringendem Blicke nicht entziehen. Licht und Dunkelheit, Tag und Nacht iſt dir einerley. In der ſchwärzeſten Nacht erkenneſt du mich eben ſo genau, als ob ich von al- len Seiten mit dem helleſten Tag umgeben wäre. Die göttliche Erkenntnis erſtreckt ſich alſo über die ganze Welt. Von den höchſten Himmeln bis zu den tiefſten Abgründen, von einem Ende der Er- den bis zum andern überſieht er alles mit einem Blick. In der ganzen Schöpfung iſt kein Punkt, wo ihm etwas verborgen ſeyn könnte. Hieraus folgt von ſelbſt, daß Gott auch alle einzelne Geſchöpfe, von dem Wurm bis zum En- gel auf das genaueſte kennen muß. Er kennt alſo auch ieden Menſchen — auch mich — alle meine Gedanken, meine Abſichten, die keinem vernünfti- gen Weſen in der ganzen Schöpfung bekannt ſind — Denn da ein Künſtler ſein Werk noth- wendig kennen muß, ſollte mein Schöpfer mich nicht kennen? Nothwendig muß er mich beßer kennen, als ich mich ſelbſt kennen kann — Herr du erforſcheſt mich und kenneſt mich — Bis auf die verborgenſten Umſtände erkenneſt du mich. Ich ſitze oder ſtehe auf, ſo weißeſt du es; du verſteheſt meine Gedanken von ferne, ich gehe oder liege, ſo biſt du um mich, und ſieheſt alle meine Wege. Denn ſiehe, es iſt kein Wort auf meiner Zunge, das du, Herr, nicht alles wißeſt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/238
Zitationshilfe: Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/238>, abgerufen am 24.11.2024.