schied muß man wohl kennen, damit man über sich selbst ein richtiges Urtheil fällen könne, ob man unter die Zahl der wahren Christen gehöre oder nicht.
Damit man dieses deutlicher einsehen könne, so bemerke man die Beschreibung, welche Paulus Röm. 7. von einem Menschen macht, der noch nicht durch die Lehre Christi gebeßert ist; denn der Apo- stel beschreibet in dem gedachten Kapitel keineswe- ges seinen eigenen Zustand, in welchem er sich et- wa damahls, als Christ befunden hätte; (dieß würde dem Vorhergehenden und Nachfolgenden dieses Kapitels offenbar widersprechen:) sondern er redet in der Person eines Heyden dem vorher das Gesetz Gottes unbekannt gewesen, (v. 9.) der es aber nunmehr kennen lerne. Er zeigt, daß das Gesetz Gottes, und die Erkenntnis deßelben allein nicht im Stande sey, das Herz des Menschen zu beßern, woferne nicht die kräftige Lehre Christi ei- ne glückliche Veränderung in dem Gemüth hervorge- bracht habe. Ein solcher Mensch ist ein Sclave seiner unordentlichen Begierden und Leidenschaften. Wenn ihm auch das gesagt wird, was recht oder unrecht ist, so ist er so gar nicht vermögend, sein Verhalten darnach einzurichten, daß vielmehr die Sünde alsdann erst recht lebendig wird. Denn wenn einem Menschen, der seinen verkehrten Nei- gungen blindlings zu folgen gewohnt ist, gesagt wird, daß er dieß und ienes meiden müße, so be- kommt er nur desto mehr Lust dasienige zu thun, was man ihm untersagt. Er ist fleischlich, un- ter die Sünde verkauft, (v. 14.) er läßet sich
blos
Vierzehnte Betr. Von der nothwend.
ſchied muß man wohl kennen, damit man über ſich ſelbſt ein richtiges Urtheil fällen könne, ob man unter die Zahl der wahren Chriſten gehöre oder nicht.
Damit man dieſes deutlicher einſehen könne, ſo bemerke man die Beſchreibung, welche Paulus Röm. 7. von einem Menſchen macht, der noch nicht durch die Lehre Chriſti gebeßert iſt; denn der Apo- ſtel beſchreibet in dem gedachten Kapitel keineswe- ges ſeinen eigenen Zuſtand, in welchem er ſich et- wa damahls, als Chriſt befunden hätte; (dieß würde dem Vorhergehenden und Nachfolgenden dieſes Kapitels offenbar widerſprechen:) ſondern er redet in der Perſon eines Heyden dem vorher das Geſetz Gottes unbekannt geweſen, (v. 9.) der es aber nunmehr kennen lerne. Er zeigt, daß das Geſetz Gottes, und die Erkenntnis deßelben allein nicht im Stande ſey, das Herz des Menſchen zu beßern, woferne nicht die kräftige Lehre Chriſti ei- ne glückliche Veränderung in dem Gemüth hervorge- bracht habe. Ein ſolcher Menſch iſt ein Sclave ſeiner unordentlichen Begierden und Leidenſchaften. Wenn ihm auch das geſagt wird, was recht oder unrecht iſt, ſo iſt er ſo gar nicht vermögend, ſein Verhalten darnach einzurichten, daß vielmehr die Sünde alsdann erſt recht lebendig wird. Denn wenn einem Menſchen, der ſeinen verkehrten Nei- gungen blindlings zu folgen gewohnt iſt, geſagt wird, daß er dieß und ienes meiden müße, ſo be- kommt er nur deſto mehr Luſt dasienige zu thun, was man ihm unterſagt. Er iſt fleiſchlich, un- ter die Sünde verkauft, (v. 14.) er läßet ſich
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Vierzehnte Betr. Von der nothwend.
ſchied muß man wohl kennen, damit man über ſich
ſelbſt ein richtiges Urtheil fällen könne, ob man
unter die Zahl der wahren Chriſten gehöre oder
nicht.
Damit man dieſes deutlicher einſehen könne,
ſo bemerke man die Beſchreibung, welche Paulus
Röm. 7. von einem Menſchen macht, der noch nicht
durch die Lehre Chriſti gebeßert iſt; denn der Apo-
ſtel beſchreibet in dem gedachten Kapitel keineswe-
ges ſeinen eigenen Zuſtand, in welchem er ſich et-
wa damahls, als Chriſt befunden hätte; (dieß
würde dem Vorhergehenden und Nachfolgenden
dieſes Kapitels offenbar widerſprechen:) ſondern
er redet in der Perſon eines Heyden dem vorher das
Geſetz Gottes unbekannt geweſen, (v. 9.) der es
aber nunmehr kennen lerne. Er zeigt, daß das
Geſetz Gottes, und die Erkenntnis deßelben allein
nicht im Stande ſey, das Herz des Menſchen zu
beßern, woferne nicht die kräftige Lehre Chriſti ei-
ne glückliche Veränderung in dem Gemüth hervorge-
bracht habe. Ein ſolcher Menſch iſt ein Sclave
ſeiner unordentlichen Begierden und Leidenſchaften.
Wenn ihm auch das geſagt wird, was recht oder
unrecht iſt, ſo iſt er ſo gar nicht vermögend, ſein
Verhalten darnach einzurichten, daß vielmehr die
Sünde alsdann erſt recht lebendig wird. Denn
wenn einem Menſchen, der ſeinen verkehrten Nei-
gungen blindlings zu folgen gewohnt iſt, geſagt
wird, daß er dieß und ienes meiden müße, ſo be-
kommt er nur deſto mehr Luſt dasienige zu thun,
was man ihm unterſagt. Er iſt fleiſchlich, un-
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Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/220>, abgerufen am 18.07.2024.
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