Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Vierzehnte Betr. Von der nothwend.
schied muß man wohl kennen, damit man über sich
selbst ein richtiges Urtheil fällen könne, ob man
unter die Zahl der wahren Christen gehöre oder
nicht.

Damit man dieses deutlicher einsehen könne,
so bemerke man die Beschreibung, welche Paulus
Röm. 7. von einem Menschen macht, der noch nicht
durch die Lehre Christi gebeßert ist; denn der Apo-
stel beschreibet in dem gedachten Kapitel keineswe-
ges seinen eigenen Zustand, in welchem er sich et-
wa damahls, als Christ befunden hätte; (dieß
würde dem Vorhergehenden und Nachfolgenden
dieses Kapitels offenbar widersprechen:) sondern
er redet in der Person eines Heyden dem vorher das
Gesetz Gottes unbekannt gewesen, (v. 9.) der es
aber nunmehr kennen lerne. Er zeigt, daß das
Gesetz Gottes, und die Erkenntnis deßelben allein
nicht im Stande sey, das Herz des Menschen zu
beßern, woferne nicht die kräftige Lehre Christi ei-
ne glückliche Veränderung in dem Gemüth hervorge-
bracht habe. Ein solcher Mensch ist ein Sclave
seiner unordentlichen Begierden und Leidenschaften.
Wenn ihm auch das gesagt wird, was recht oder
unrecht ist, so ist er so gar nicht vermögend, sein
Verhalten darnach einzurichten, daß vielmehr die
Sünde
alsdann erst recht lebendig wird. Denn
wenn einem Menschen, der seinen verkehrten Nei-
gungen blindlings zu folgen gewohnt ist, gesagt
wird, daß er dieß und ienes meiden müße, so be-
kommt er nur desto mehr Lust dasienige zu thun,
was man ihm untersagt. Er ist fleischlich, un-
ter die Sünde verkauft,
(v. 14.) er läßet sich

blos

Vierzehnte Betr. Von der nothwend.
ſchied muß man wohl kennen, damit man über ſich
ſelbſt ein richtiges Urtheil fällen könne, ob man
unter die Zahl der wahren Chriſten gehöre oder
nicht.

Damit man dieſes deutlicher einſehen könne,
ſo bemerke man die Beſchreibung, welche Paulus
Röm. 7. von einem Menſchen macht, der noch nicht
durch die Lehre Chriſti gebeßert iſt; denn der Apo-
ſtel beſchreibet in dem gedachten Kapitel keineswe-
ges ſeinen eigenen Zuſtand, in welchem er ſich et-
wa damahls, als Chriſt befunden hätte; (dieß
würde dem Vorhergehenden und Nachfolgenden
dieſes Kapitels offenbar widerſprechen:) ſondern
er redet in der Perſon eines Heyden dem vorher das
Geſetz Gottes unbekannt geweſen, (v. 9.) der es
aber nunmehr kennen lerne. Er zeigt, daß das
Geſetz Gottes, und die Erkenntnis deßelben allein
nicht im Stande ſey, das Herz des Menſchen zu
beßern, woferne nicht die kräftige Lehre Chriſti ei-
ne glückliche Veränderung in dem Gemüth hervorge-
bracht habe. Ein ſolcher Menſch iſt ein Sclave
ſeiner unordentlichen Begierden und Leidenſchaften.
Wenn ihm auch das geſagt wird, was recht oder
unrecht iſt, ſo iſt er ſo gar nicht vermögend, ſein
Verhalten darnach einzurichten, daß vielmehr die
Sünde
alsdann erſt recht lebendig wird. Denn
wenn einem Menſchen, der ſeinen verkehrten Nei-
gungen blindlings zu folgen gewohnt iſt, geſagt
wird, daß er dieß und ienes meiden müße, ſo be-
kommt er nur deſto mehr Luſt dasienige zu thun,
was man ihm unterſagt. Er iſt fleiſchlich, un-
ter die Sünde verkauft,
(v. 14.) er läßet ſich

blos
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0220" n="208"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Vierzehnte Betr. Von der nothwend.</hi></fw><lb/>
&#x017F;chied muß man wohl kennen, damit man über &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t ein richtiges Urtheil fällen könne, ob man<lb/>
unter die Zahl der wahren Chri&#x017F;ten gehöre oder<lb/>
nicht.</p><lb/>
        <p>Damit man die&#x017F;es deutlicher ein&#x017F;ehen könne,<lb/>
&#x017F;o bemerke man die Be&#x017F;chreibung, welche Paulus<lb/>
Röm. 7. von einem Men&#x017F;chen macht, der noch nicht<lb/>
durch die Lehre Chri&#x017F;ti gebeßert i&#x017F;t; denn der Apo-<lb/>
&#x017F;tel be&#x017F;chreibet in dem gedachten Kapitel keineswe-<lb/>
ges &#x017F;einen eigenen Zu&#x017F;tand, in welchem er &#x017F;ich et-<lb/>
wa damahls, als Chri&#x017F;t befunden hätte; (dieß<lb/>
würde dem Vorhergehenden und Nachfolgenden<lb/>
die&#x017F;es Kapitels offenbar wider&#x017F;prechen:) &#x017F;ondern<lb/>
er redet in der Per&#x017F;on eines Heyden dem vorher das<lb/>
Ge&#x017F;etz Gottes unbekannt gewe&#x017F;en, (v. 9.) der es<lb/>
aber nunmehr kennen lerne. Er zeigt, daß das<lb/>
Ge&#x017F;etz Gottes, und die Erkenntnis deßelben allein<lb/>
nicht im Stande &#x017F;ey, das Herz des Men&#x017F;chen zu<lb/>
beßern, woferne nicht die kräftige Lehre Chri&#x017F;ti ei-<lb/>
ne glückliche Veränderung in dem Gemüth hervorge-<lb/>
bracht habe. Ein &#x017F;olcher Men&#x017F;ch i&#x017F;t ein Sclave<lb/>
&#x017F;einer unordentlichen Begierden und Leiden&#x017F;chaften.<lb/>
Wenn ihm auch das ge&#x017F;agt wird, was recht oder<lb/>
unrecht i&#x017F;t, &#x017F;o i&#x017F;t er &#x017F;o gar nicht vermögend, &#x017F;ein<lb/>
Verhalten darnach einzurichten, daß vielmehr <hi rendition="#fr">die<lb/>
Sünde</hi> alsdann er&#x017F;t <hi rendition="#fr">recht lebendig wird.</hi> Denn<lb/>
wenn einem Men&#x017F;chen, der &#x017F;einen verkehrten Nei-<lb/>
gungen blindlings zu folgen gewohnt i&#x017F;t, ge&#x017F;agt<lb/>
wird, daß er dieß und ienes meiden müße, &#x017F;o be-<lb/>
kommt er nur de&#x017F;to mehr Lu&#x017F;t dasienige zu thun,<lb/>
was man ihm unter&#x017F;agt. <hi rendition="#fr">Er i&#x017F;t flei&#x017F;chlich, un-<lb/>
ter die Sünde verkauft,</hi> (v. 14.) er läßet &#x017F;ich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">blos</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208/0220] Vierzehnte Betr. Von der nothwend. ſchied muß man wohl kennen, damit man über ſich ſelbſt ein richtiges Urtheil fällen könne, ob man unter die Zahl der wahren Chriſten gehöre oder nicht. Damit man dieſes deutlicher einſehen könne, ſo bemerke man die Beſchreibung, welche Paulus Röm. 7. von einem Menſchen macht, der noch nicht durch die Lehre Chriſti gebeßert iſt; denn der Apo- ſtel beſchreibet in dem gedachten Kapitel keineswe- ges ſeinen eigenen Zuſtand, in welchem er ſich et- wa damahls, als Chriſt befunden hätte; (dieß würde dem Vorhergehenden und Nachfolgenden dieſes Kapitels offenbar widerſprechen:) ſondern er redet in der Perſon eines Heyden dem vorher das Geſetz Gottes unbekannt geweſen, (v. 9.) der es aber nunmehr kennen lerne. Er zeigt, daß das Geſetz Gottes, und die Erkenntnis deßelben allein nicht im Stande ſey, das Herz des Menſchen zu beßern, woferne nicht die kräftige Lehre Chriſti ei- ne glückliche Veränderung in dem Gemüth hervorge- bracht habe. Ein ſolcher Menſch iſt ein Sclave ſeiner unordentlichen Begierden und Leidenſchaften. Wenn ihm auch das geſagt wird, was recht oder unrecht iſt, ſo iſt er ſo gar nicht vermögend, ſein Verhalten darnach einzurichten, daß vielmehr die Sünde alsdann erſt recht lebendig wird. Denn wenn einem Menſchen, der ſeinen verkehrten Nei- gungen blindlings zu folgen gewohnt iſt, geſagt wird, daß er dieß und ienes meiden müße, ſo be- kommt er nur deſto mehr Luſt dasienige zu thun, was man ihm unterſagt. Er iſt fleiſchlich, un- ter die Sünde verkauft, (v. 14.) er läßet ſich blos

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/220
Zitationshilfe: Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/220>, abgerufen am 24.11.2024.