Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.Dreyzehnte Betr. Von der Liebe Endlich: Die Liebe verträget alles; sie sten
Dreyzehnte Betr. Von der Liebe Endlich: Die Liebe verträget alles; ſie ſten
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Dreyzehnte Betr. Von der Liebe
Endlich: Die Liebe verträget alles; ſie
glaubet alles; ſie hoffet alles; ſie dultet alles.
Sie verträget alles, oder vielmehr, ſie beurthei-
let alles auf das gelindeſte, und ſiehet es ſehr ger-
ne, wenn die Fehler anderer Menſchen mit gutem
Grunde entſchuldiget werden können. Freylich iſt
dieſes, ſo wie das Folgende unter gewißen Ein-
ſchränkungen zu verſtehen. Bisweilen iſt es ganz
offenbar, daß ſich unſer Nebenmenſch vergangen
hat, daß er boshaft und gottlos iſt, und uns nur
zu kränken ſucht. Ihn auch da noch entſchuldigen
wollen, wo ſeine Bosheit offenbar am Tage liegt,
würde Einfalt und Unverſtand ſeyn. Aber das
werden wir thun, wenn wir unſern Nächſten auf-
richtig lieben: Wir werden recht ſehr wünſchen, daß
ſein Fehler geringer ſeyn möchte, als er uns von
andern vorgeſtellt worden, und wir ihn ſelbſt uns vor-
geſtellt hatten. Wir werden alles das, was zu
ſeiner Vertheidigung und Ehrenrettung geſagt wer-
den kan, ſorgfältig aufſuchen, und überlegen, und
uns freuen, wenn wir finden, daß er entweder
ganz unſchuldig, oder doch ſein Fehler mehr aus
Uebereilung, und Schwachheit des Verſtandes,
als aus Bosheit des Herzens herrührte. Wir
werden immer geneigter ſeyn, das Gute zu glau-
ben, welches wir von ihm hören, als das Böſe,
welches ihm nachgeſagt wird. Sollten wir uns
auch bisweilen in unſerer guten Meinung betriegen,
und von iemanden, dem wir zu viel Gutes zuge-
trauet, hintergangen werden, ſo iſt es doch immer
beßer, wir leiden Unrecht, als daß wir uns den
quälenden Vorwurf machen müßen, unſerm Näch-
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