Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.des Nächsten. er nur sich selbst liebet, sich für eine gar zu wichtigePerson hält, und sich selbst zum Abgott macht. Hätte er Liebe gegen andere Menschen, so würde er denken: Ich will denen, die mich beleidigen gerne verzeihen, weil ich doch auch Fehler an mir habe, die andern vielleicht beschwerlich sind. Ich will es nicht so hoch aufnehmen, wenn mir iemand nicht mit der Achtung begegnet, die ich verlange; denn ich bin ia doch nur ein fehlerhafter, sündenvoller Mensch, und Gott, der Allervollkommenste und Untadelhafteste dultet so viel an mir, der ich gegen ihn nur Staub und Asche bin. Ich will meine Hitze zu dämpfen suchen, damit ich nicht ferner Unschuldige kränke, und dienige, für welche Chri- stus gestorben ist, betrübe, an statt sie zu erfreuen. Sie trachtet nicht nach Schaden, oder viel- wie N 5
des Nächſten. er nur ſich ſelbſt liebet, ſich für eine gar zu wichtigePerſon hält, und ſich ſelbſt zum Abgott macht. Hätte er Liebe gegen andere Menſchen, ſo würde er denken: Ich will denen, die mich beleidigen gerne verzeihen, weil ich doch auch Fehler an mir habe, die andern vielleicht beſchwerlich ſind. Ich will es nicht ſo hoch aufnehmen, wenn mir iemand nicht mit der Achtung begegnet, die ich verlange; denn ich bin ia doch nur ein fehlerhafter, ſündenvoller Menſch, und Gott, der Allervollkommenſte und Untadelhafteſte dultet ſo viel an mir, der ich gegen ihn nur Staub und Aſche bin. Ich will meine Hitze zu dämpfen ſuchen, damit ich nicht ferner Unſchuldige kränke, und dienige, für welche Chri- ſtus geſtorben iſt, betrübe, an ſtatt ſie zu erfreuen. Sie trachtet nicht nach Schaden, oder viel- wie N 5
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des Nächſten.
er nur ſich ſelbſt liebet, ſich für eine gar zu wichtige
Perſon hält, und ſich ſelbſt zum Abgott macht.
Hätte er Liebe gegen andere Menſchen, ſo würde er
denken: Ich will denen, die mich beleidigen gerne
verzeihen, weil ich doch auch Fehler an mir habe,
die andern vielleicht beſchwerlich ſind. Ich will es
nicht ſo hoch aufnehmen, wenn mir iemand nicht
mit der Achtung begegnet, die ich verlange; denn
ich bin ia doch nur ein fehlerhafter, ſündenvoller
Menſch, und Gott, der Allervollkommenſte und
Untadelhafteſte dultet ſo viel an mir, der ich gegen
ihn nur Staub und Aſche bin. Ich will meine
Hitze zu dämpfen ſuchen, damit ich nicht ferner
Unſchuldige kränke, und dienige, für welche Chri-
ſtus geſtorben iſt, betrübe, an ſtatt ſie zu erfreuen.
Sie trachtet nicht nach Schaden, oder viel-
mehr; Sie denket nichts Böſes, beurtheilt nicht al-
les auf das Gehäßigſte. Argwöhniſche Menſchen
ſehen alles auf der ſchlimmſten Seite an. Die
unſchuldigſte Mine, das unſchuldigſte Wort, die
unſchuldigſte Handlung iſt ihnen verdächtig. Sie
entdecken böſe Abſichten, wo keine ſind; ſprechen
von Bosheit und Beleidigung, wo niemand nur
mit einem Gedanken zu beleidigen geſonnen war.
Das halten ſie für ganz ausnehmende Klugheit,
und bedenken nicht, daß Stolz, Eigenliebe, und
Thorheit die Quellen ihrer vermeinten Scharfſich-
tigkeit ſind; und daß ſie hiemit ihre eigene boshaf-
te Gemüthsart verrathen; denn wenn ſie nicht ſelbſt
gewohnt wären, unter manchen gleichgültig ſchei-
nenden Handlungen böſe Abſichten zu verſtecken,
wie
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