Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.des Nächsten. len, Dürftige erquicken, oder andern Menscheneigentliche Wohlthaten erweisen. Was würde sonst aus denen werden, die wegen ihrer Armuth nicht im Stande sind, ihren Mitbrüdern ihre Noth zu erleichtern, und die wohl selbst von den Wohl- thaten anderer leben müßen? Die Pflicht der Lie- be ist von ungemein weitem Umfange. Ein ieder Mensch übt sie aus, wenn er in seinem Stand und Beruf, nach seinem Vermögen, seinem Nächsten zu dienen bemühet ist -- Der Regent, der Gelehrte, der Künstler, der Handwerksmann, der Herr und der Knecht -- ein ieder hat seine Pflichten; und wenn er diese in der Absicht ausübet, seinem Ne- benmenschen nützlich zu werden, so ist er ein Men- schenfreund, werth in den Augen Gottes und aller Rechtschaffenen. Aber der Apostel gedenkt noch einiger besondern Eigenschaften der wahren Men- schenliebe. Die Liebe ist langmüthig und freund- lich. Langmüthig. In einem jeden Stande, Beruf und Lebensart haben wir Gelegenheit diese Pflicht auszuüben. Wir sind immer mit Leuten umgeben, die theils offenbar gottlos und boshaft sind, theils ihre Schwachheiten an sich haben. Jene müßen wir nicht gleich als verworfene Men- schen mit der grösten Härte behandeln, sondern oft warnen und ermahnen, ehe wir zu schärfern Mit- teln greifen; und auch da muß unsere Absicht seyn, sie zu beßern. Mit den Schwachheiten anderer müßen wir Gedult haben, und manchen Fehler verzeihen, der uns beschwerlich ist. Der Argwöh- nische, Auffahrende und Rachsüchtige wird alle Au- genblicke Zank und Zwietracht erregen; das Leben wird N 3
des Nächſten. len, Dürftige erquicken, oder andern Menſcheneigentliche Wohlthaten erweiſen. Was würde ſonſt aus denen werden, die wegen ihrer Armuth nicht im Stande ſind, ihren Mitbrüdern ihre Noth zu erleichtern, und die wohl ſelbſt von den Wohl- thaten anderer leben müßen? Die Pflicht der Lie- be iſt von ungemein weitem Umfange. Ein ieder Menſch übt ſie aus, wenn er in ſeinem Stand und Beruf, nach ſeinem Vermögen, ſeinem Nächſten zu dienen bemühet iſt — Der Regent, der Gelehrte, der Künſtler, der Handwerksmann, der Herr und der Knecht — ein ieder hat ſeine Pflichten; und wenn er dieſe in der Abſicht ausübet, ſeinem Ne- benmenſchen nützlich zu werden, ſo iſt er ein Men- ſchenfreund, werth in den Augen Gottes und aller Rechtſchaffenen. Aber der Apoſtel gedenkt noch einiger beſondern Eigenſchaften der wahren Men- ſchenliebe. Die Liebe iſt langmüthig und freund- lich. Langmüthig. In einem jeden Stande, Beruf und Lebensart haben wir Gelegenheit dieſe Pflicht auszuüben. Wir ſind immer mit Leuten umgeben, die theils offenbar gottlos und boshaft ſind, theils ihre Schwachheiten an ſich haben. Jene müßen wir nicht gleich als verworfene Men- ſchen mit der gröſten Härte behandeln, ſondern oft warnen und ermahnen, ehe wir zu ſchärfern Mit- teln greifen; und auch da muß unſere Abſicht ſeyn, ſie zu beßern. Mit den Schwachheiten anderer müßen wir Gedult haben, und manchen Fehler verzeihen, der uns beſchwerlich iſt. Der Argwöh- niſche, Auffahrende und Rachſüchtige wird alle Au- genblicke Zank und Zwietracht erregen; das Leben wird N 3
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des Nächſten.
len, Dürftige erquicken, oder andern Menſchen
eigentliche Wohlthaten erweiſen. Was würde
ſonſt aus denen werden, die wegen ihrer Armuth
nicht im Stande ſind, ihren Mitbrüdern ihre Noth
zu erleichtern, und die wohl ſelbſt von den Wohl-
thaten anderer leben müßen? Die Pflicht der Lie-
be iſt von ungemein weitem Umfange. Ein ieder
Menſch übt ſie aus, wenn er in ſeinem Stand und
Beruf, nach ſeinem Vermögen, ſeinem Nächſten zu
dienen bemühet iſt — Der Regent, der Gelehrte,
der Künſtler, der Handwerksmann, der Herr und
der Knecht — ein ieder hat ſeine Pflichten; und
wenn er dieſe in der Abſicht ausübet, ſeinem Ne-
benmenſchen nützlich zu werden, ſo iſt er ein Men-
ſchenfreund, werth in den Augen Gottes und aller
Rechtſchaffenen. Aber der Apoſtel gedenkt noch
einiger beſondern Eigenſchaften der wahren Men-
ſchenliebe. Die Liebe iſt langmüthig und freund-
lich. Langmüthig. In einem jeden Stande,
Beruf und Lebensart haben wir Gelegenheit dieſe
Pflicht auszuüben. Wir ſind immer mit Leuten
umgeben, die theils offenbar gottlos und boshaft
ſind, theils ihre Schwachheiten an ſich haben.
Jene müßen wir nicht gleich als verworfene Men-
ſchen mit der gröſten Härte behandeln, ſondern oft
warnen und ermahnen, ehe wir zu ſchärfern Mit-
teln greifen; und auch da muß unſere Abſicht ſeyn,
ſie zu beßern. Mit den Schwachheiten anderer
müßen wir Gedult haben, und manchen Fehler
verzeihen, der uns beſchwerlich iſt. Der Argwöh-
niſche, Auffahrende und Rachſüchtige wird alle Au-
genblicke Zank und Zwietracht erregen; das Leben
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