Aber werden wir wohl bey einem solchen Glau- ben ganz kalt, fühllos und unthätig bleiben kön- nen? Werden wir die Wirklichkeit deßelben nicht in unserm Herzen empfinden, nicht an unsern Ge- sinnungen und Thaten wahrnehmen? Das hieße eben so viel, als wenn ein Elender sagte, er glau- be ganz gewiß, daß die Zeit seiner Rettung da sey, und daß er durch die Gnade eines ihm wohlbekann- ten Menschenfreundes nun bald einer der glücklich- sten Menschen auf Erden seyn werde, aber er em- pfinde darüber nicht das geringste Vergnügen, fin- de in seinem Herzen nicht den geringsten Trieb zur Dankbarkeit gegen seinen Wohlthäter. Eben so viel wäre es, als wenn ein Kranker sagte, er glau- be zwar ganz gewiß, daß ihm diese Speise schäd- lich, und iene Arzney dienlich sey, er wolle aber lieber in seinem ganzen Leben elend seyn, oder sich einer augenscheinlichen Todesgefahr aussetzen, als die ihm schädlichen Speisen meiden, und die ihm dienlichen Arzneyen einnehmen. So wenig dieß ordentlicher Weise von verständigen Leuten gesche- hen kan; eben so wenig, und noch weit weniger ist es möglich, daß ein Mensch bey dem wahren Glau- ben an Christum fühllos und unthätig bleiben könne.
Paulus giebt Hebr. 11, 1. vom Glauben überhaupt eine Beschreibung, welche wohl erwo- gen zu werden verdient. Der Glaube ist eine gewiße Zuversicht deß, das man hoffet, und nicht zweifelt an dem, was man nicht siehet; oder deutlicher: Eine zuversichtliche Erwartung deß, was man hoffet, und eine völlige gewiße Ueberzeu-
gung,
Zehnte Betr. Vom ſeeligmachenden
Aber werden wir wohl bey einem ſolchen Glau- ben ganz kalt, fühllos und unthätig bleiben kön- nen? Werden wir die Wirklichkeit deßelben nicht in unſerm Herzen empfinden, nicht an unſern Ge- ſinnungen und Thaten wahrnehmen? Das hieße eben ſo viel, als wenn ein Elender ſagte, er glau- be ganz gewiß, daß die Zeit ſeiner Rettung da ſey, und daß er durch die Gnade eines ihm wohlbekann- ten Menſchenfreundes nun bald einer der glücklich- ſten Menſchen auf Erden ſeyn werde, aber er em- pfinde darüber nicht das geringſte Vergnügen, fin- de in ſeinem Herzen nicht den geringſten Trieb zur Dankbarkeit gegen ſeinen Wohlthäter. Eben ſo viel wäre es, als wenn ein Kranker ſagte, er glau- be zwar ganz gewiß, daß ihm dieſe Speiſe ſchäd- lich, und iene Arzney dienlich ſey, er wolle aber lieber in ſeinem ganzen Leben elend ſeyn, oder ſich einer augenſcheinlichen Todesgefahr ausſetzen, als die ihm ſchädlichen Speiſen meiden, und die ihm dienlichen Arzneyen einnehmen. So wenig dieß ordentlicher Weiſe von verſtändigen Leuten geſche- hen kan; eben ſo wenig, und noch weit weniger iſt es möglich, daß ein Menſch bey dem wahren Glau- ben an Chriſtum fühllos und unthätig bleiben könne.
Paulus giebt Hebr. 11, 1. vom Glauben überhaupt eine Beſchreibung, welche wohl erwo- gen zu werden verdient. Der Glaube iſt eine gewiße Zuverſicht deß, das man hoffet, und nicht zweifelt an dem, was man nicht ſiehet; oder deutlicher: Eine zuverſichtliche Erwartung deß, was man hoffet, und eine völlige gewiße Ueberzeu-
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Zehnte Betr. Vom ſeeligmachenden
Aber werden wir wohl bey einem ſolchen Glau-
ben ganz kalt, fühllos und unthätig bleiben kön-
nen? Werden wir die Wirklichkeit deßelben nicht
in unſerm Herzen empfinden, nicht an unſern Ge-
ſinnungen und Thaten wahrnehmen? Das hieße
eben ſo viel, als wenn ein Elender ſagte, er glau-
be ganz gewiß, daß die Zeit ſeiner Rettung da ſey,
und daß er durch die Gnade eines ihm wohlbekann-
ten Menſchenfreundes nun bald einer der glücklich-
ſten Menſchen auf Erden ſeyn werde, aber er em-
pfinde darüber nicht das geringſte Vergnügen, fin-
de in ſeinem Herzen nicht den geringſten Trieb zur
Dankbarkeit gegen ſeinen Wohlthäter. Eben ſo
viel wäre es, als wenn ein Kranker ſagte, er glau-
be zwar ganz gewiß, daß ihm dieſe Speiſe ſchäd-
lich, und iene Arzney dienlich ſey, er wolle aber
lieber in ſeinem ganzen Leben elend ſeyn, oder ſich
einer augenſcheinlichen Todesgefahr ausſetzen, als
die ihm ſchädlichen Speiſen meiden, und die ihm
dienlichen Arzneyen einnehmen. So wenig dieß
ordentlicher Weiſe von verſtändigen Leuten geſche-
hen kan; eben ſo wenig, und noch weit weniger iſt
es möglich, daß ein Menſch bey dem wahren Glau-
ben an Chriſtum fühllos und unthätig bleiben
könne.
Paulus giebt Hebr. 11, 1. vom Glauben
überhaupt eine Beſchreibung, welche wohl erwo-
gen zu werden verdient. Der Glaube iſt eine
gewiße Zuverſicht deß, das man hoffet, und
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Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/158>, abgerufen am 18.07.2024.
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