Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite
Zehnte Betr. Vom seeligmachenden

Aber werden wir wohl bey einem solchen Glau-
ben ganz kalt, fühllos und unthätig bleiben kön-
nen? Werden wir die Wirklichkeit deßelben nicht
in unserm Herzen empfinden, nicht an unsern Ge-
sinnungen und Thaten wahrnehmen? Das hieße
eben so viel, als wenn ein Elender sagte, er glau-
be ganz gewiß, daß die Zeit seiner Rettung da sey,
und daß er durch die Gnade eines ihm wohlbekann-
ten Menschenfreundes nun bald einer der glücklich-
sten Menschen auf Erden seyn werde, aber er em-
pfinde darüber nicht das geringste Vergnügen, fin-
de in seinem Herzen nicht den geringsten Trieb zur
Dankbarkeit gegen seinen Wohlthäter. Eben so
viel wäre es, als wenn ein Kranker sagte, er glau-
be zwar ganz gewiß, daß ihm diese Speise schäd-
lich, und iene Arzney dienlich sey, er wolle aber
lieber in seinem ganzen Leben elend seyn, oder sich
einer augenscheinlichen Todesgefahr aussetzen, als
die ihm schädlichen Speisen meiden, und die ihm
dienlichen Arzneyen einnehmen. So wenig dieß
ordentlicher Weise von verständigen Leuten gesche-
hen kan; eben so wenig, und noch weit weniger ist
es möglich, daß ein Mensch bey dem wahren Glau-
ben an Christum fühllos und unthätig bleiben
könne.

Paulus giebt Hebr. 11, 1. vom Glauben
überhaupt eine Beschreibung, welche wohl erwo-
gen zu werden verdient. Der Glaube ist eine
gewiße Zuversicht deß, das man hoffet, und
nicht zweifelt an dem, was man nicht siehet;

oder deutlicher: Eine zuversichtliche Erwartung deß,
was man hoffet, und eine völlige gewiße Ueberzeu-

gung,
Zehnte Betr. Vom ſeeligmachenden

Aber werden wir wohl bey einem ſolchen Glau-
ben ganz kalt, fühllos und unthätig bleiben kön-
nen? Werden wir die Wirklichkeit deßelben nicht
in unſerm Herzen empfinden, nicht an unſern Ge-
ſinnungen und Thaten wahrnehmen? Das hieße
eben ſo viel, als wenn ein Elender ſagte, er glau-
be ganz gewiß, daß die Zeit ſeiner Rettung da ſey,
und daß er durch die Gnade eines ihm wohlbekann-
ten Menſchenfreundes nun bald einer der glücklich-
ſten Menſchen auf Erden ſeyn werde, aber er em-
pfinde darüber nicht das geringſte Vergnügen, fin-
de in ſeinem Herzen nicht den geringſten Trieb zur
Dankbarkeit gegen ſeinen Wohlthäter. Eben ſo
viel wäre es, als wenn ein Kranker ſagte, er glau-
be zwar ganz gewiß, daß ihm dieſe Speiſe ſchäd-
lich, und iene Arzney dienlich ſey, er wolle aber
lieber in ſeinem ganzen Leben elend ſeyn, oder ſich
einer augenſcheinlichen Todesgefahr ausſetzen, als
die ihm ſchädlichen Speiſen meiden, und die ihm
dienlichen Arzneyen einnehmen. So wenig dieß
ordentlicher Weiſe von verſtändigen Leuten geſche-
hen kan; eben ſo wenig, und noch weit weniger iſt
es möglich, daß ein Menſch bey dem wahren Glau-
ben an Chriſtum fühllos und unthätig bleiben
könne.

Paulus giebt Hebr. 11, 1. vom Glauben
überhaupt eine Beſchreibung, welche wohl erwo-
gen zu werden verdient. Der Glaube iſt eine
gewiße Zuverſicht deß, das man hoffet, und
nicht zweifelt an dem, was man nicht ſiehet;

oder deutlicher: Eine zuverſichtliche Erwartung deß,
was man hoffet, und eine völlige gewiße Ueberzeu-

gung,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0158" n="146"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Zehnte Betr. Vom &#x017F;eeligmachenden</hi> </fw><lb/>
        <p>Aber werden wir wohl bey einem &#x017F;olchen Glau-<lb/>
ben ganz kalt, fühllos und unthätig bleiben kön-<lb/>
nen? Werden wir die Wirklichkeit deßelben nicht<lb/>
in un&#x017F;erm Herzen empfinden, nicht an un&#x017F;ern Ge-<lb/>
&#x017F;innungen und Thaten wahrnehmen? Das hieße<lb/>
eben &#x017F;o viel, als wenn ein Elender &#x017F;agte, er glau-<lb/>
be ganz gewiß, daß die Zeit &#x017F;einer Rettung da &#x017F;ey,<lb/>
und daß er durch die Gnade eines ihm wohlbekann-<lb/>
ten Men&#x017F;chenfreundes nun bald einer der glücklich-<lb/>
&#x017F;ten Men&#x017F;chen auf Erden &#x017F;eyn werde, aber er em-<lb/>
pfinde darüber nicht das gering&#x017F;te Vergnügen, fin-<lb/>
de in &#x017F;einem Herzen nicht den gering&#x017F;ten Trieb zur<lb/>
Dankbarkeit gegen &#x017F;einen Wohlthäter. Eben &#x017F;o<lb/>
viel wäre es, als wenn ein Kranker &#x017F;agte, er glau-<lb/>
be zwar ganz gewiß, daß ihm die&#x017F;e Spei&#x017F;e &#x017F;chäd-<lb/>
lich, und iene Arzney dienlich &#x017F;ey, er wolle aber<lb/>
lieber in &#x017F;einem ganzen Leben elend &#x017F;eyn, oder &#x017F;ich<lb/>
einer augen&#x017F;cheinlichen Todesgefahr aus&#x017F;etzen, als<lb/>
die ihm &#x017F;chädlichen Spei&#x017F;en meiden, und die ihm<lb/>
dienlichen Arzneyen einnehmen. So wenig dieß<lb/>
ordentlicher Wei&#x017F;e von ver&#x017F;tändigen Leuten ge&#x017F;che-<lb/>
hen kan; eben &#x017F;o wenig, und noch weit weniger i&#x017F;t<lb/>
es möglich, daß ein Men&#x017F;ch bey dem wahren Glau-<lb/>
ben an Chri&#x017F;tum fühllos und unthätig bleiben<lb/>
könne.</p><lb/>
        <p>Paulus giebt Hebr. 11, 1. vom Glauben<lb/>
überhaupt eine Be&#x017F;chreibung, welche wohl erwo-<lb/>
gen zu werden verdient. <hi rendition="#fr">Der Glaube i&#x017F;t eine<lb/>
gewiße Zuver&#x017F;icht deß, das man hoffet, und<lb/>
nicht zweifelt an dem, was man nicht &#x017F;iehet;</hi><lb/>
oder deutlicher: Eine zuver&#x017F;ichtliche Erwartung deß,<lb/>
was man hoffet, und eine völlige gewiße Ueberzeu-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gung,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[146/0158] Zehnte Betr. Vom ſeeligmachenden Aber werden wir wohl bey einem ſolchen Glau- ben ganz kalt, fühllos und unthätig bleiben kön- nen? Werden wir die Wirklichkeit deßelben nicht in unſerm Herzen empfinden, nicht an unſern Ge- ſinnungen und Thaten wahrnehmen? Das hieße eben ſo viel, als wenn ein Elender ſagte, er glau- be ganz gewiß, daß die Zeit ſeiner Rettung da ſey, und daß er durch die Gnade eines ihm wohlbekann- ten Menſchenfreundes nun bald einer der glücklich- ſten Menſchen auf Erden ſeyn werde, aber er em- pfinde darüber nicht das geringſte Vergnügen, fin- de in ſeinem Herzen nicht den geringſten Trieb zur Dankbarkeit gegen ſeinen Wohlthäter. Eben ſo viel wäre es, als wenn ein Kranker ſagte, er glau- be zwar ganz gewiß, daß ihm dieſe Speiſe ſchäd- lich, und iene Arzney dienlich ſey, er wolle aber lieber in ſeinem ganzen Leben elend ſeyn, oder ſich einer augenſcheinlichen Todesgefahr ausſetzen, als die ihm ſchädlichen Speiſen meiden, und die ihm dienlichen Arzneyen einnehmen. So wenig dieß ordentlicher Weiſe von verſtändigen Leuten geſche- hen kan; eben ſo wenig, und noch weit weniger iſt es möglich, daß ein Menſch bey dem wahren Glau- ben an Chriſtum fühllos und unthätig bleiben könne. Paulus giebt Hebr. 11, 1. vom Glauben überhaupt eine Beſchreibung, welche wohl erwo- gen zu werden verdient. Der Glaube iſt eine gewiße Zuverſicht deß, das man hoffet, und nicht zweifelt an dem, was man nicht ſiehet; oder deutlicher: Eine zuverſichtliche Erwartung deß, was man hoffet, und eine völlige gewiße Ueberzeu- gung,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/158
Zitationshilfe: Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/158>, abgerufen am 23.11.2024.