los; seine Rozinante ist ein sehr incorrectes Streitroß; sein Urbild, die ideale Ritterlichkeit, verwandelt sich gerade durch die praktische Nullität ihrer Methode in ihr Zerrbild und zugleich hat Cervantes die große Kunst verstanden, in dem phantastischen Ritter und seinem verständigen Begleiter ewige Richtungen der Menschennatur überhaupt zu schildern; er hat die Kunst verstanden, diese Verzerrung, in welche die edelsten Gefühle und die nobelste Gesinnung umschlagen, zu einer Kritik der Mängel der bürgerlichen Gesellschaft zu machen -- und nicht blos der Spanischen, in deren Mitte der lie¬ benswürdige Don lebt. Wir müssen dem Dichter eingestehen, daß trotz des Staates, trotz der Polizei, trotz der Auf¬ klärung, das freiwillige Eingreifen einer kraftvollen, hoch¬ herzigen Persönlichkeit oft eine Wohlthat für die faulen Zustände sein würde. So groß, so vielseitig, so bedeutungs¬ voll kann eine Caricatur -- durch das Genie -- werden!
los; ſeine Rozinante iſt ein ſehr incorrectes Streitroß; ſein Urbild, die ideale Ritterlichkeit, verwandelt ſich gerade durch die praktiſche Nullität ihrer Methode in ihr Zerrbild und zugleich hat Cervantes die große Kunſt verſtanden, in dem phantaſtiſchen Ritter und ſeinem verſtändigen Begleiter ewige Richtungen der Menſchennatur überhaupt zu ſchildern; er hat die Kunſt verſtanden, dieſe Verzerrung, in welche die edelſten Gefühle und die nobelſte Geſinnung umſchlagen, zu einer Kritik der Mängel der bürgerlichen Geſellſchaft zu machen — und nicht blos der Spaniſchen, in deren Mitte der lie¬ benswürdige Don lebt. Wir müſſen dem Dichter eingeſtehen, daß trotz des Staates, trotz der Polizei, trotz der Auf¬ klärung, das freiwillige Eingreifen einer kraftvollen, hoch¬ herzigen Perſönlichkeit oft eine Wohlthat für die faulen Zuſtände ſein würde. So groß, ſo vielſeitig, ſo bedeutungs¬ voll kann eine Caricatur — durch das Genie — werden!
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Urbild, die ideale Ritterlichkeit, verwandelt ſich gerade durch
die praktiſche Nullität ihrer Methode in ihr Zerrbild und
zugleich hat Cervantes die große Kunſt verſtanden, in dem
phantaſtiſchen Ritter und ſeinem verſtändigen Begleiter ewige
Richtungen der Menſchennatur überhaupt zu ſchildern; er
hat die Kunſt verſtanden, dieſe Verzerrung, in welche die edelſten
Gefühle und die nobelſte Geſinnung umſchlagen, zu einer
Kritik der Mängel der bürgerlichen Geſellſchaft zu machen
— und nicht blos der Spaniſchen, in deren Mitte der lie¬
benswürdige Don lebt. Wir müſſen dem Dichter eingeſtehen,
daß trotz des Staates, trotz der Polizei, trotz der Auf¬
klärung, das freiwillige Eingreifen einer kraftvollen, hoch¬
herzigen Perſönlichkeit oft eine Wohlthat für die faulen
Zuſtände ſein würde. So groß, ſo vielſeitig, ſo bedeutungs¬
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/88>, abgerufen am 27.11.2024.
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