zur Caricatur, weil sie die unvermeidliche Ohnmacht seines Benehmens um so mehr offenbar machen, je mehr er sich zur Rechtfertigung und Bekräftigung seines Verfahrens auf die glorreichen Vorbilder eines Amadis von Gallien, eines Lisuarte u. A. in ähnlichen Lagen beruft. Die reellen Vor¬ aussetzungen, unter welchen diese Blumen der Ritterschaft handelten, sind eben nicht mehr da und die Fiction ihrer Existenz verfälscht die Weltauffassung unseres Hidalgo bis zum Wahnsinn. Allein dieser Thor besitzt in seiner Phan¬ tasterei zugleich wirklich alle Eigenschaften eines ächten Ritters. Er ist tapfer, großmüthig, mitleidig, hülfbereit, ein Freund der Unterdrückten, verliebt, treu, wundergläubig, abenteuersüchtig. In seinen subjectiven Tugenden müssen wir ihn bewundern und die Poesie seiner Rede, wenn sie von philanthropischer Erhabenheit überströmt, mit Wohlgefal¬ len vernehmen. Im Mittelalter wäre er ein würdiger Ge¬ nosse an Königs Artus Tafelrunde, ein gefährlicher Rival aller "Irrenden" geworden. Gerade durch seine positiven Elemente wird er eine um so bedeutendere Caricatur, weil diese an sich herrlichen Eigenschaften bei ihm zu einer Ver¬ kehrtheit ausschlagen, die sich selbst vernichtet, die in trüber Begeisterung an eine Mühle als einen mächtigen Riesen ihre Tapferkeit verschwendet, die Galeerensträflinge als unschuldig Unterdrückte befreiet, die einen Löwen, weil er ein königliches Thier, aus dem Käfig losläßt, die ein Barbierbecken als den Helm des unsterblichen Mambrin verehrt u. s. w. An¬ gelangt auf diesen Punct der Selbstvernichtung der Erhaben¬ heit seines Pathos lachen wir dann über ihn; die Komik bricht aus der Caricatur hervor, die uns sonst wohl sogar zur Wehmuth bewegt. Don Quixote, armselig, hager, irrend, ist nie gemein oder widerwärtig, aber er wird form¬
Rosenkranz, Aesthetik des Häßlichen. 5
zur Caricatur, weil ſie die unvermeidliche Ohnmacht ſeines Benehmens um ſo mehr offenbar machen, je mehr er ſich zur Rechtfertigung und Bekräftigung ſeines Verfahrens auf die glorreichen Vorbilder eines Amadis von Gallien, eines Liſuarte u. A. in ähnlichen Lagen beruft. Die reellen Vor¬ ausſetzungen, unter welchen dieſe Blumen der Ritterſchaft handelten, ſind eben nicht mehr da und die Fiction ihrer Exiſtenz verfälſcht die Weltauffaſſung unſeres Hidalgo bis zum Wahnſinn. Allein dieſer Thor beſitzt in ſeiner Phan¬ taſterei zugleich wirklich alle Eigenſchaften eines ächten Ritters. Er iſt tapfer, großmüthig, mitleidig, hülfbereit, ein Freund der Unterdrückten, verliebt, treu, wundergläubig, abenteuerſüchtig. In ſeinen ſubjectiven Tugenden müſſen wir ihn bewundern und die Poeſie ſeiner Rede, wenn ſie von philanthropiſcher Erhabenheit überſtrömt, mit Wohlgefal¬ len vernehmen. Im Mittelalter wäre er ein würdiger Ge¬ noſſe an Königs Artus Tafelrunde, ein gefährlicher Rival aller „Irrenden“ geworden. Gerade durch ſeine poſitiven Elemente wird er eine um ſo bedeutendere Caricatur, weil dieſe an ſich herrlichen Eigenſchaften bei ihm zu einer Ver¬ kehrtheit ausſchlagen, die ſich ſelbſt vernichtet, die in trüber Begeiſterung an eine Mühle als einen mächtigen Rieſen ihre Tapferkeit verſchwendet, die Galeerenſträflinge als unſchuldig Unterdrückte befreiet, die einen Löwen, weil er ein königliches Thier, aus dem Käfig losläßt, die ein Barbierbecken als den Helm des unſterblichen Mambrin verehrt u. ſ. w. An¬ gelangt auf dieſen Punct der Selbſtvernichtung der Erhaben¬ heit ſeines Pathos lachen wir dann über ihn; die Komik bricht aus der Caricatur hervor, die uns ſonſt wohl ſogar zur Wehmuth bewegt. Don Quixote, armſelig, hager, irrend, iſt nie gemein oder widerwärtig, aber er wird form¬
Roſenkranz, Aeſthetik des Häßlichen. 5
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zur Caricatur, weil ſie die unvermeidliche Ohnmacht ſeines
Benehmens um ſo mehr offenbar machen, je mehr er ſich
zur Rechtfertigung und Bekräftigung ſeines Verfahrens auf
die glorreichen Vorbilder eines Amadis von Gallien, eines
Liſuarte u. A. in ähnlichen Lagen beruft. Die reellen Vor¬
ausſetzungen, unter welchen dieſe Blumen der Ritterſchaft
handelten, ſind eben nicht mehr da und die Fiction ihrer
Exiſtenz verfälſcht die Weltauffaſſung unſeres Hidalgo bis
zum Wahnſinn. Allein dieſer Thor beſitzt in ſeiner Phan¬
taſterei zugleich wirklich alle Eigenſchaften eines ächten
Ritters. Er iſt tapfer, großmüthig, mitleidig, hülfbereit, ein
Freund der Unterdrückten, verliebt, treu, wundergläubig,
abenteuerſüchtig. In ſeinen ſubjectiven Tugenden müſſen
wir ihn bewundern und die Poeſie ſeiner Rede, wenn ſie
von philanthropiſcher Erhabenheit überſtrömt, mit Wohlgefal¬
len vernehmen. Im Mittelalter wäre er ein würdiger Ge¬
noſſe an Königs Artus Tafelrunde, ein gefährlicher Rival
aller „Irrenden“ geworden. Gerade durch ſeine poſitiven
Elemente wird er eine um ſo bedeutendere Caricatur, weil
dieſe an ſich herrlichen Eigenſchaften bei ihm zu einer Ver¬
kehrtheit ausſchlagen, die ſich ſelbſt vernichtet, die in trüber
Begeiſterung an eine Mühle als einen mächtigen Rieſen ihre
Tapferkeit verſchwendet, die Galeerenſträflinge als unſchuldig
Unterdrückte befreiet, die einen Löwen, weil er ein königliches
Thier, aus dem Käfig losläßt, die ein Barbierbecken als
den Helm des unſterblichen Mambrin verehrt u. ſ. w. An¬
gelangt auf dieſen Punct der Selbſtvernichtung der Erhaben¬
heit ſeines Pathos lachen wir dann über ihn; die Komik
bricht aus der Caricatur hervor, die uns ſonſt wohl ſogar
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/87>, abgerufen am 23.11.2024.
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