fällt es in die Natur. Auch der geistigste Inhalt bedarf, um schön zu sein, der Vermittelung der sinnlichen Manifestation Von diesem Standpunct aus enthält die Natur die Wahr¬ heit der concreten Individualisirung, in welche die Existenz des Schönen eingehen muß. In seiner Wirklichkeit ist das¬ selbe ein zugleich ideell bestimmtes, diese Bestimmtheit aber irgendwie an die Natur gebunden, denn nur durch die Natur kann die Idee sich verendlichen und als eigenthümliche Er¬ scheinung realisiren. Ohne die Natur existirt einmal keine schöne Gestaltung und die Kunst bedarf insofern des Studiums der Natur, ihrer Formen mächtig zu werden; die Kunst soll die Natur in dieser Rücksicht und zwar mit gewissenhafter Treue nachahmen, denn sie hängt hierin von ihr ab. -- Die¬ ser Satz ist eben so wahr, als der, daß die Kunst die Na¬ tur nicht nachahmen solle, sofern unter Nachahmen ein blo¬ ßes, wenn auch noch so genaues Copiren der zufälligen, em¬ pirischen Objecte verstanden wird. Wie der Formalismus der abstracten Maaßverhältnisse noch nicht ausreicht, das Schöne zu schaffen, so auch nicht der abstracte Realismus. Das Nachbilden der cruden Erscheinung ist noch nicht Kunst, denn diese soll von der Idee ausgehen, die Natur aber, da sie in ihrer Existenz aller Aeußerlichkeit und Zufälligkeit preis¬ gegeben ist, kann oft ihren eigenen Begriff nicht erreichen. Es bleibt Sache der Kunst, die von der Natur angestrebte, allein durch ihr Dasein in Raum und Zeit ihr oft unmöglich gemachte Schönheit, das Ideal der Naturgestalt, zu realisiren. Um aber diese ideale Wahrheit der Naturformen möglich zu machen, muß allerdings die empirische Natur sorgfältig studirt werden, wie dies auch alle ächten Künstler thun und wie nur die falschen Idealisten es verschmähen. Die Wahr¬ heit der Naturformen gibt dem Schönen die Correctheit.
fällt es in die Natur. Auch der geiſtigſte Inhalt bedarf, um ſchön zu ſein, der Vermittelung der ſinnlichen Manifeſtation Von dieſem Standpunct aus enthält die Natur die Wahr¬ heit der concreten Individualiſirung, in welche die Exiſtenz des Schönen eingehen muß. In ſeiner Wirklichkeit iſt daſ¬ ſelbe ein zugleich ideell beſtimmtes, dieſe Beſtimmtheit aber irgendwie an die Natur gebunden, denn nur durch die Natur kann die Idee ſich verendlichen und als eigenthümliche Er¬ ſcheinung realiſiren. Ohne die Natur exiſtirt einmal keine ſchöne Geſtaltung und die Kunſt bedarf inſofern des Studiums der Natur, ihrer Formen mächtig zu werden; die Kunſt ſoll die Natur in dieſer Rückſicht und zwar mit gewiſſenhafter Treue nachahmen, denn ſie hängt hierin von ihr ab. — Die¬ ſer Satz iſt eben ſo wahr, als der, daß die Kunſt die Na¬ tur nicht nachahmen ſolle, ſofern unter Nachahmen ein blo¬ ßes, wenn auch noch ſo genaues Copiren der zufälligen, em¬ piriſchen Objecte verſtanden wird. Wie der Formalismus der abſtracten Maaßverhältniſſe noch nicht ausreicht, das Schöne zu ſchaffen, ſo auch nicht der abſtracte Realismus. Das Nachbilden der cruden Erſcheinung iſt noch nicht Kunſt, denn dieſe ſoll von der Idee ausgehen, die Natur aber, da ſie in ihrer Exiſtenz aller Aeußerlichkeit und Zufälligkeit preis¬ gegeben iſt, kann oft ihren eigenen Begriff nicht erreichen. Es bleibt Sache der Kunſt, die von der Natur angeſtrebte, allein durch ihr Daſein in Raum und Zeit ihr oft unmöglich gemachte Schönheit, das Ideal der Naturgeſtalt, zu realiſiren. Um aber dieſe ideale Wahrheit der Naturformen möglich zu machen, muß allerdings die empiriſche Natur ſorgfältig ſtudirt werden, wie dies auch alle ächten Künſtler thun und wie nur die falſchen Idealiſten es verſchmähen. Die Wahr¬ heit der Naturformen gibt dem Schönen die Correctheit.
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fällt es in die Natur. Auch der geiſtigſte Inhalt bedarf, um
ſchön zu ſein, der Vermittelung der ſinnlichen Manifeſtation
Von dieſem Standpunct aus enthält die Natur die Wahr¬
heit der concreten Individualiſirung, in welche die Exiſtenz
des Schönen eingehen muß. In ſeiner Wirklichkeit iſt daſ¬
ſelbe ein zugleich ideell beſtimmtes, dieſe Beſtimmtheit aber
irgendwie an die Natur gebunden, denn nur durch die Natur
kann die Idee ſich verendlichen und als eigenthümliche Er¬
ſcheinung realiſiren. Ohne die Natur exiſtirt einmal keine ſchöne
Geſtaltung und die Kunſt bedarf inſofern des Studiums
der Natur, ihrer Formen mächtig zu werden; die Kunſt ſoll
die Natur in dieſer Rückſicht und zwar mit gewiſſenhafter
Treue nachahmen, denn ſie hängt hierin von ihr ab. — Die¬
ſer Satz iſt eben ſo wahr, als der, daß die Kunſt die Na¬
tur nicht nachahmen ſolle, ſofern unter Nachahmen ein blo¬
ßes, wenn auch noch ſo genaues Copiren der zufälligen, em¬
piriſchen Objecte verſtanden wird. Wie der Formalismus
der abſtracten Maaßverhältniſſe noch nicht ausreicht, das
Schöne zu ſchaffen, ſo auch nicht der abſtracte Realismus.
Das Nachbilden der cruden Erſcheinung iſt noch nicht Kunſt,
denn dieſe ſoll von der Idee ausgehen, die Natur aber, da
ſie in ihrer Exiſtenz aller Aeußerlichkeit und Zufälligkeit preis¬
gegeben iſt, kann oft ihren eigenen Begriff nicht erreichen.
Es bleibt Sache der Kunſt, die von der Natur angeſtrebte,
allein durch ihr Daſein in Raum und Zeit ihr oft unmöglich
gemachte Schönheit, das Ideal der Naturgeſtalt, zu realiſiren.
Um aber dieſe ideale Wahrheit der Naturformen möglich zu
machen, muß allerdings die empiriſche Natur ſorgfältig
ſtudirt werden, wie dies auch alle ächten Künſtler thun und
wie nur die falſchen Idealiſten es verſchmähen. Die Wahr¬
heit der Naturformen gibt dem Schönen die Correctheit.
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/78>, abgerufen am 27.11.2024.
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