wünschen. Es ist so sehr sich selbst genug, daß es nicht nur aller Folie des Häßlichen entrathen kann, sondern daß eine solche auch störend zu wirken vermag. Das absolut Schöne wirkt beruhigend und läßt über sich momentan alles Andere vergessen. Wozu aus seiner seligen Fülle auf Anderes ab¬ gelenkt werden? Wozu seinen Genuß durch die Reflexion auf sein Gegentheil würzen? Hat neben der Statue des Gottes im Adyton seines Tempels noch die eines tückischen Dämons Raum? Will der Anbetende sich an etwas Anderm, als an den Zügen des Gottes ersättigen?
Wir müssen also die uneingeschränkte Geltung des Satzes, daß das Häßliche in der Kunst um des Schönen willen da sei, verwerfen. In der Architektur, Sculptur, Musik und Lyrik würde man besonders verlegen sein, ihn zu bewähren. Der Contrast, dessen die Kunst oft bedarf, braucht nicht durch den Gegensatz des Häßlichen erzeugt zu werden; das Schöne ist mannigfaltig genug, sich mit seinen eigenen Formen zu contrastiren -- wie z. B. in Göthe's Iphigenia lauter schöne Charaktere auftreten; oder in Ra¬ phaels Sirtinischer Madonne nur Majestät, Huld, Anmuth, Würde, Lieblichkeit und durchaus nichts Häßliches zu finden ist und es doch in diesen Werken nicht an Contrasten fehlt, die, als schöne, jenes unendliche Entzücken bereiten, das dem Absoluten als dem mangellos Göttlichen inwohnt. Die teleo¬ logische Auffassung des Häßlichen hat also keine durchgrei¬ fende Berechtigung. Für die Natur haben wir uns über¬ zeugt, daß es ihr, teleologisch genommen, wesentlich auf das Leben und erst in zweiter Rücksicht auf die Schönheit ankommt. Auch für den Geist haben wir gesehen, daß in ihm Wahrheit und Güte aller ästhetischen Forderung vorange¬ hen. Es ist schön, wenn das Wahre und Gute auch schön
wünſchen. Es iſt ſo ſehr ſich ſelbſt genug, daß es nicht nur aller Folie des Häßlichen entrathen kann, ſondern daß eine ſolche auch ſtörend zu wirken vermag. Das abſolut Schöne wirkt beruhigend und läßt über ſich momentan alles Andere vergeſſen. Wozu aus ſeiner ſeligen Fülle auf Anderes ab¬ gelenkt werden? Wozu ſeinen Genuß durch die Reflexion auf ſein Gegentheil würzen? Hat neben der Statue des Gottes im Adyton ſeines Tempels noch die eines tückiſchen Dämons Raum? Will der Anbetende ſich an etwas Anderm, als an den Zügen des Gottes erſättigen?
Wir müſſen alſo die uneingeſchränkte Geltung des Satzes, daß das Häßliche in der Kunſt um des Schönen willen da ſei, verwerfen. In der Architektur, Sculptur, Muſik und Lyrik würde man beſonders verlegen ſein, ihn zu bewähren. Der Contraſt, deſſen die Kunſt oft bedarf, braucht nicht durch den Gegenſatz des Häßlichen erzeugt zu werden; das Schöne iſt mannigfaltig genug, ſich mit ſeinen eigenen Formen zu contraſtiren — wie z. B. in Göthe's Iphigenia lauter ſchöne Charaktere auftreten; oder in Ra¬ phaels Sirtiniſcher Madonne nur Majeſtät, Huld, Anmuth, Würde, Lieblichkeit und durchaus nichts Häßliches zu finden iſt und es doch in dieſen Werken nicht an Contraſten fehlt, die, als ſchöne, jenes unendliche Entzücken bereiten, das dem Abſoluten als dem mangellos Göttlichen inwohnt. Die teleo¬ logiſche Auffaſſung des Häßlichen hat alſo keine durchgrei¬ fende Berechtigung. Für die Natur haben wir uns über¬ zeugt, daß es ihr, teleologiſch genommen, weſentlich auf das Leben und erſt in zweiter Rückſicht auf die Schönheit ankommt. Auch für den Geiſt haben wir geſehen, daß in ihm Wahrheit und Güte aller äſthetiſchen Forderung vorange¬ hen. Es iſt ſchön, wenn das Wahre und Gute auch ſchön
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wünſchen. Es iſt ſo ſehr ſich ſelbſt genug, daß es nicht nur
aller Folie des Häßlichen entrathen kann, ſondern daß eine
ſolche auch ſtörend zu wirken vermag. Das abſolut Schöne
wirkt beruhigend und läßt über ſich momentan alles Andere
vergeſſen. Wozu aus ſeiner ſeligen Fülle auf Anderes ab¬
gelenkt werden? Wozu ſeinen Genuß durch die Reflexion
auf ſein Gegentheil würzen? Hat neben der Statue des
Gottes im Adyton ſeines Tempels noch die eines tückiſchen
Dämons Raum? Will der Anbetende ſich an etwas Anderm,
als an den Zügen des Gottes erſättigen?
Wir müſſen alſo die uneingeſchränkte Geltung des
Satzes, daß das Häßliche in der Kunſt um des Schönen
willen da ſei, verwerfen. In der Architektur, Sculptur,
Muſik und Lyrik würde man beſonders verlegen ſein, ihn zu
bewähren. Der Contraſt, deſſen die Kunſt oft bedarf,
braucht nicht durch den Gegenſatz des Häßlichen erzeugt zu
werden; das Schöne iſt mannigfaltig genug, ſich mit ſeinen
eigenen Formen zu contraſtiren — wie z. B. in Göthe's
Iphigenia lauter ſchöne Charaktere auftreten; oder in Ra¬
phaels Sirtiniſcher Madonne nur Majeſtät, Huld, Anmuth,
Würde, Lieblichkeit und durchaus nichts Häßliches zu finden
iſt und es doch in dieſen Werken nicht an Contraſten fehlt,
die, als ſchöne, jenes unendliche Entzücken bereiten, das dem
Abſoluten als dem mangellos Göttlichen inwohnt. Die teleo¬
logiſche Auffaſſung des Häßlichen hat alſo keine durchgrei¬
fende Berechtigung. Für die Natur haben wir uns über¬
zeugt, daß es ihr, teleologiſch genommen, weſentlich auf
das Leben und erſt in zweiter Rückſicht auf die Schönheit
ankommt. Auch für den Geiſt haben wir geſehen, daß in
ihm Wahrheit und Güte aller äſthetiſchen Forderung vorange¬
hen. Es iſt ſchön, wenn das Wahre und Gute auch ſchön
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/59>, abgerufen am 27.11.2024.
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