einen zweiten, und, wie es scheint, größern hinzufügen, denn wie ist es möglich, daß das Häßliche schön werden könne? Durch diese Fragen sehen wir uns in neue Schwierig¬ keiten verwickelt. Da sie sich von selbst aufdrängen, hilft man sich gegen sie gewöhnlich dadurch, daß man den trivialen Satz hervorsucht, die Schönheit bedürfe der Häßlichkeit oder könne sich ihrer doch wenigstens bedienen, um als Schönheit desto nachdrücklicher zu erscheinen; -- ähnlich, wie man wohl das Laster zu einer Bedingung der Tugend macht. Von der dunklen Folie des Häßlichen hebe sich das reine Bild des Schönen um so leuchtender ab.
Kann man sich aber wohl bei diesem Satz beruhigen? Seine Wahrheit, daß nämlich dem Häßlichen gegenüber das Schöne um so mehr als schön empfunden werden müsse, ist nur relativ. Wäre sie absolut, so müßte alles Schöne sich die Begleitung eines Häßlichen wünschen. Nur neben einem Thersites würde dann die Schönheit eines Achilleus ganz sein, was sie sein soll. Allein eine solche Behauptung ist irrig. Das Schöne, als der sinnlich erscheinende Ausdruck der Idee, ist in sich absolut und bedarf nicht eines Haltes außer sich, einer Verstärkung durch seinen Gegensatz. Es wird nicht schöner durch das Häßliche. Die Gegenwart des Häßlichen bei dem Schönen kann nicht das Schöne als solches, sondern nur den Reiz des Genießens erhöhen, indem wir, ihm gegenüber, die Vortrefflichkeit des Schönen um so leb¬ hafter fühlen; -- wie z. B. viele Maler zur Danae, indem sie mit süßschmachtendem Verlangen den Goldregen in ihrem schönen Schooß empfängt, eine runzlichte, spitzkinnige Alte im Hintergrund oder an der Seite gemalt haben.
Aber das schlechthin Schöne und Erhabene läßt uns vielmehr sogar seine ausschließliche und unbedingte Gegenwart
einen zweiten, und, wie es ſcheint, größern hinzufügen, denn wie iſt es möglich, daß das Häßliche ſchön werden könne? Durch dieſe Fragen ſehen wir uns in neue Schwierig¬ keiten verwickelt. Da ſie ſich von ſelbſt aufdrängen, hilft man ſich gegen ſie gewöhnlich dadurch, daß man den trivialen Satz hervorſucht, die Schönheit bedürfe der Häßlichkeit oder könne ſich ihrer doch wenigſtens bedienen, um als Schönheit deſto nachdrücklicher zu erſcheinen; — ähnlich, wie man wohl das Laſter zu einer Bedingung der Tugend macht. Von der dunklen Folie des Häßlichen hebe ſich das reine Bild des Schönen um ſo leuchtender ab.
Kann man ſich aber wohl bei dieſem Satz beruhigen? Seine Wahrheit, daß nämlich dem Häßlichen gegenüber das Schöne um ſo mehr als ſchön empfunden werden müſſe, iſt nur relativ. Wäre ſie abſolut, ſo müßte alles Schöne ſich die Begleitung eines Häßlichen wünſchen. Nur neben einem Therſites würde dann die Schönheit eines Achilleus ganz ſein, was ſie ſein ſoll. Allein eine ſolche Behauptung iſt irrig. Das Schöne, als der ſinnlich erſcheinende Ausdruck der Idee, iſt in ſich abſolut und bedarf nicht eines Haltes außer ſich, einer Verſtärkung durch ſeinen Gegenſatz. Es wird nicht ſchöner durch das Häßliche. Die Gegenwart des Häßlichen bei dem Schönen kann nicht das Schöne als ſolches, ſondern nur den Reiz des Genießens erhöhen, indem wir, ihm gegenüber, die Vortrefflichkeit des Schönen um ſo leb¬ hafter fühlen; — wie z. B. viele Maler zur Danaë, indem ſie mit ſüßſchmachtendem Verlangen den Goldregen in ihrem ſchönen Schooß empfängt, eine runzlichte, ſpitzkinnige Alte im Hintergrund oder an der Seite gemalt haben.
Aber das ſchlechthin Schöne und Erhabene läßt uns vielmehr ſogar ſeine ausſchließliche und unbedingte Gegenwart
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einen zweiten, und, wie es ſcheint, größern hinzufügen, denn
wie iſt es möglich, daß das Häßliche ſchön werden könne?
Durch dieſe Fragen ſehen wir uns in neue Schwierig¬
keiten verwickelt. Da ſie ſich von ſelbſt aufdrängen, hilft
man ſich gegen ſie gewöhnlich dadurch, daß man den trivialen
Satz hervorſucht, die Schönheit bedürfe der Häßlichkeit oder
könne ſich ihrer doch wenigſtens bedienen, um als Schönheit
deſto nachdrücklicher zu erſcheinen; — ähnlich, wie man wohl
das Laſter zu einer Bedingung der Tugend macht. Von der
dunklen Folie des Häßlichen hebe ſich das reine Bild des
Schönen um ſo leuchtender ab.
Kann man ſich aber wohl bei dieſem Satz beruhigen?
Seine Wahrheit, daß nämlich dem Häßlichen gegenüber das
Schöne um ſo mehr als ſchön empfunden werden müſſe, iſt
nur relativ. Wäre ſie abſolut, ſo müßte alles Schöne ſich
die Begleitung eines Häßlichen wünſchen. Nur neben einem
Therſites würde dann die Schönheit eines Achilleus ganz
ſein, was ſie ſein ſoll. Allein eine ſolche Behauptung iſt
irrig. Das Schöne, als der ſinnlich erſcheinende Ausdruck
der Idee, iſt in ſich abſolut und bedarf nicht eines Haltes
außer ſich, einer Verſtärkung durch ſeinen Gegenſatz. Es
wird nicht ſchöner durch das Häßliche. Die Gegenwart des
Häßlichen bei dem Schönen kann nicht das Schöne als ſolches,
ſondern nur den Reiz des Genießens erhöhen, indem wir,
ihm gegenüber, die Vortrefflichkeit des Schönen um ſo leb¬
hafter fühlen; — wie z. B. viele Maler zur Danaë, indem ſie
mit ſüßſchmachtendem Verlangen den Goldregen in ihrem
ſchönen Schooß empfängt, eine runzlichte, ſpitzkinnige Alte
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/58>, abgerufen am 23.11.2024.
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