weil er zur Unförmlichkeit der Figur noch die Stupidität der Intelligenz und Schwäche des Geistes hinzufügt. Seine stumpfen Augen, seine niedrige Stirn, seine hängende Un¬ terlippe, seine gegen den Stoff indifferente Freßgier und sexuelle Brutalität, stellen ihn unter den Neger und nähern ihn dem Affen, der ästhetisch vor dem Cretin voraus hat, nicht Mensch zu sein.
Im Begriff also des Menschen liegt die Häßlichkeit nicht. Sein Begriff als der der Vernunft und Freiheit for¬ dert, daß er sich auch im Ebenmaaß der Gestalt, im Unter¬ schied von Füßen und Händen und in der aufrechten Haltung als äußere Erscheinung realisire. Ist der Mensch, wie der Buschmann, wie der Cretin, von Natur häßlich, so wird sich in solcher Mißform auch die locale und relativ erbliche Unfreiheit darstellen. Die Krankheit ist Ursache des Hä߬ lichen allemal, wenn sie eine Verbildung des Skeletts, der Knochen und Muskeln zur Folge hat z. B. bei syphilitischen Knochenauftreibungen, bei gangränen Zerstörungen. Sie ist es allemal, wenn sie die Haut färbt, wie in der Gelbsucht; wenn sie die Haut mit Exanthemen bedeckt, wie im Schar¬ lach, in der Pest, in gewissen Formen der Syphilis, im Aussatz, in Flechten, im Weichselzopf u. s. w. Die scheu߬ lichsten Deformitäten werden unzweifelhaft durch die Syphi¬ lis hervorgebracht, weil sie nicht nur ekelhafte Ausschläge, sondern auch Faulungen und Knochenzerstörungen bewirkt. Exantheme und Eiterbeulen sind der Krätzmilbe vergleichbar, die unter der Haut ihre Kanäle gräbt; sie sind gewisser¬ maaßen parasitische Individuen, deren Existenz dem Wesen des Organismus als Einheit widerspricht und in welche er aus¬ einanderfällt. Die Anschauung eines solchen Widerspruchs ist so überaus häßlich. -- Die Krankheit ist überhaupt Ursache
weil er zur Unförmlichkeit der Figur noch die Stupidität der Intelligenz und Schwäche des Geiſtes hinzufügt. Seine ſtumpfen Augen, ſeine niedrige Stirn, ſeine hängende Un¬ terlippe, ſeine gegen den Stoff indifferente Freßgier und ſexuelle Brutalität, ſtellen ihn unter den Neger und nähern ihn dem Affen, der äſthetiſch vor dem Cretin voraus hat, nicht Menſch zu ſein.
Im Begriff alſo des Menſchen liegt die Häßlichkeit nicht. Sein Begriff als der der Vernunft und Freiheit for¬ dert, daß er ſich auch im Ebenmaaß der Geſtalt, im Unter¬ ſchied von Füßen und Händen und in der aufrechten Haltung als äußere Erſcheinung realiſire. Iſt der Menſch, wie der Buſchmann, wie der Cretin, von Natur häßlich, ſo wird ſich in ſolcher Mißform auch die locale und relativ erbliche Unfreiheit darſtellen. Die Krankheit iſt Urſache des Hä߬ lichen allemal, wenn ſie eine Verbildung des Skeletts, der Knochen und Muskeln zur Folge hat z. B. bei ſyphilitiſchen Knochenauftreibungen, bei gangränen Zerſtörungen. Sie iſt es allemal, wenn ſie die Haut färbt, wie in der Gelbſucht; wenn ſie die Haut mit Exanthemen bedeckt, wie im Schar¬ lach, in der Peſt, in gewiſſen Formen der Syphilis, im Ausſatz, in Flechten, im Weichſelzopf u. ſ. w. Die ſcheu߬ lichſten Deformitäten werden unzweifelhaft durch die Syphi¬ lis hervorgebracht, weil ſie nicht nur ekelhafte Ausſchläge, ſondern auch Faulungen und Knochenzerſtörungen bewirkt. Exantheme und Eiterbeulen ſind der Krätzmilbe vergleichbar, die unter der Haut ihre Kanäle gräbt; ſie ſind gewiſſer¬ maaßen paraſitiſche Individuen, deren Exiſtenz dem Weſen des Organismus als Einheit widerſpricht und in welche er aus¬ einanderfällt. Die Anſchauung eines ſolchen Widerſpruchs iſt ſo überaus häßlich. — Die Krankheit iſt überhaupt Urſache
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0054"n="32"/>
weil er zur Unförmlichkeit der Figur noch die Stupidität der<lb/>
Intelligenz und Schwäche des Geiſtes hinzufügt. Seine<lb/>ſtumpfen Augen, ſeine niedrige Stirn, ſeine hängende Un¬<lb/>
terlippe, ſeine gegen den Stoff indifferente Freßgier und<lb/>ſexuelle Brutalität, ſtellen ihn unter den Neger und nähern<lb/>
ihn dem Affen, der äſthetiſch vor dem Cretin voraus hat,<lb/>
nicht Menſch zu ſein.</p><lb/><p>Im Begriff alſo des Menſchen liegt die Häßlichkeit<lb/>
nicht. Sein Begriff als der der Vernunft und Freiheit for¬<lb/>
dert, daß er ſich auch im Ebenmaaß der Geſtalt, im Unter¬<lb/>ſchied von Füßen und Händen und in der aufrechten Haltung<lb/>
als äußere Erſcheinung realiſire. Iſt der Menſch, wie der<lb/>
Buſchmann, wie der Cretin, von Natur häßlich, ſo wird<lb/>ſich in ſolcher Mißform auch die locale und relativ erbliche<lb/>
Unfreiheit darſtellen. Die Krankheit iſt Urſache des Hä߬<lb/>
lichen allemal, wenn ſie eine Verbildung des Skeletts, der<lb/>
Knochen und Muskeln zur Folge hat z. B. bei ſyphilitiſchen<lb/>
Knochenauftreibungen, bei gangränen Zerſtörungen. Sie iſt<lb/>
es allemal, wenn ſie die Haut färbt, wie in der Gelbſucht;<lb/>
wenn ſie die Haut mit Exanthemen bedeckt, wie im Schar¬<lb/>
lach, in der Peſt, in gewiſſen Formen der Syphilis, im<lb/>
Ausſatz, in Flechten, im Weichſelzopf u. ſ. w. Die ſcheu߬<lb/>
lichſten Deformitäten werden unzweifelhaft durch die Syphi¬<lb/>
lis hervorgebracht, weil ſie nicht nur ekelhafte Ausſchläge,<lb/>ſondern auch Faulungen und Knochenzerſtörungen bewirkt.<lb/>
Exantheme und Eiterbeulen ſind der Krätzmilbe vergleichbar,<lb/>
die unter der Haut ihre Kanäle gräbt; ſie ſind gewiſſer¬<lb/>
maaßen paraſitiſche Individuen, deren Exiſtenz dem Weſen des<lb/>
Organismus als Einheit widerſpricht und in welche er aus¬<lb/>
einanderfällt. Die Anſchauung eines ſolchen Widerſpruchs iſt<lb/>ſo überaus häßlich. — Die Krankheit iſt überhaupt Urſache<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[32/0054]
weil er zur Unförmlichkeit der Figur noch die Stupidität der
Intelligenz und Schwäche des Geiſtes hinzufügt. Seine
ſtumpfen Augen, ſeine niedrige Stirn, ſeine hängende Un¬
terlippe, ſeine gegen den Stoff indifferente Freßgier und
ſexuelle Brutalität, ſtellen ihn unter den Neger und nähern
ihn dem Affen, der äſthetiſch vor dem Cretin voraus hat,
nicht Menſch zu ſein.
Im Begriff alſo des Menſchen liegt die Häßlichkeit
nicht. Sein Begriff als der der Vernunft und Freiheit for¬
dert, daß er ſich auch im Ebenmaaß der Geſtalt, im Unter¬
ſchied von Füßen und Händen und in der aufrechten Haltung
als äußere Erſcheinung realiſire. Iſt der Menſch, wie der
Buſchmann, wie der Cretin, von Natur häßlich, ſo wird
ſich in ſolcher Mißform auch die locale und relativ erbliche
Unfreiheit darſtellen. Die Krankheit iſt Urſache des Hä߬
lichen allemal, wenn ſie eine Verbildung des Skeletts, der
Knochen und Muskeln zur Folge hat z. B. bei ſyphilitiſchen
Knochenauftreibungen, bei gangränen Zerſtörungen. Sie iſt
es allemal, wenn ſie die Haut färbt, wie in der Gelbſucht;
wenn ſie die Haut mit Exanthemen bedeckt, wie im Schar¬
lach, in der Peſt, in gewiſſen Formen der Syphilis, im
Ausſatz, in Flechten, im Weichſelzopf u. ſ. w. Die ſcheu߬
lichſten Deformitäten werden unzweifelhaft durch die Syphi¬
lis hervorgebracht, weil ſie nicht nur ekelhafte Ausſchläge,
ſondern auch Faulungen und Knochenzerſtörungen bewirkt.
Exantheme und Eiterbeulen ſind der Krätzmilbe vergleichbar,
die unter der Haut ihre Kanäle gräbt; ſie ſind gewiſſer¬
maaßen paraſitiſche Individuen, deren Exiſtenz dem Weſen des
Organismus als Einheit widerſpricht und in welche er aus¬
einanderfällt. Die Anſchauung eines ſolchen Widerſpruchs iſt
ſo überaus häßlich. — Die Krankheit iſt überhaupt Urſache
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/54>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.