Menschen möglich sind. Der Typus desselben sollte freilich seiner Idee nach die Schönheit der menschlichen Erscheinung erwarten lassen, allein die empirische Realität, weil der Zufall und die Willkür in ihr nothwendige Factoren ausmachen, zeigt uns auch häßliche Gestalten und zwar nicht blos in der Form vereinzelter Individuen, sondern in der erblichen Aus¬ breitung über größere Kreise. Doch sind solche Gestalten nicht Gattungen in dem Sinn, wie es von Geburt häßliche Thiere gibt, in deren Begriff schon die Häßlichkeit, das Verzerrte und Widerspruchsvolle liegt. Gegen die Idee des Menschen gehalten, bleiben sie Zufälligkeiten, die empirisch nur relativ nothwendig waren. Sie können theils singulärer, theils particulärer Art sein. Singulärer Art, wenn ein menschlicher Organismus durch individuelle Krankheit, z. B. Skropheln, Rückgratverkrümmung, Bruch u. dgl. verun¬ staltet wird; particulärer Art, wenn die Verunstaltung sich dadurch erzeugt, daß der Organismus einer besondern Loca¬ lität sich anpassen muß. In diesem Fall der Adaption an eine bestimmte Bodenform und an ein bestimmtes Klima muß der Mensch dieselben Processe, wie die Pflanze und das Thier, durchlaufen Die Verschiedenheit der tellurischen Bedingungen drückt sich auch in der Verschiedenheit des Habitus und der Physiognomie aus, zumal sie auch eine Verschiedenheit der Lebensart hervorrufen. Der Bewohner des Gebirgs und der der Ebene, der Waldjäger und der Fischer, der Hirt und der Ackerbauer, der Polanwohner und der Tropenländer, empfangen nothwendig einen andern an¬ thropologischen Charakter. Selbst der Cretinismus ist hieher zu rechnen, da er an bestimmten Localitäten, namentlich an gewissen von Kalkauflösungen geschwängerten Bergwassern zu haften scheint. Der Cretin ist noch häßlicher als der Neger,
Menſchen möglich ſind. Der Typus deſſelben ſollte freilich ſeiner Idee nach die Schönheit der menſchlichen Erſcheinung erwarten laſſen, allein die empiriſche Realität, weil der Zufall und die Willkür in ihr nothwendige Factoren ausmachen, zeigt uns auch häßliche Geſtalten und zwar nicht blos in der Form vereinzelter Individuen, ſondern in der erblichen Aus¬ breitung über größere Kreiſe. Doch ſind ſolche Geſtalten nicht Gattungen in dem Sinn, wie es von Geburt häßliche Thiere gibt, in deren Begriff ſchon die Häßlichkeit, das Verzerrte und Widerſpruchsvolle liegt. Gegen die Idee des Menſchen gehalten, bleiben ſie Zufälligkeiten, die empiriſch nur relativ nothwendig waren. Sie können theils ſingulärer, theils particulärer Art ſein. Singulärer Art, wenn ein menſchlicher Organismus durch individuelle Krankheit, z. B. Skropheln, Rückgratverkrümmung, Bruch u. dgl. verun¬ ſtaltet wird; particulärer Art, wenn die Verunſtaltung ſich dadurch erzeugt, daß der Organismus einer beſondern Loca¬ lität ſich anpaſſen muß. In dieſem Fall der Adaption an eine beſtimmte Bodenform und an ein beſtimmtes Klima muß der Menſch dieſelben Proceſſe, wie die Pflanze und das Thier, durchlaufen Die Verſchiedenheit der telluriſchen Bedingungen drückt ſich auch in der Verſchiedenheit des Habitus und der Phyſiognomie aus, zumal ſie auch eine Verſchiedenheit der Lebensart hervorrufen. Der Bewohner des Gebirgs und der der Ebene, der Waldjäger und der Fiſcher, der Hirt und der Ackerbauer, der Polanwohner und der Tropenländer, empfangen nothwendig einen andern an¬ thropologiſchen Charakter. Selbſt der Cretinismus iſt hieher zu rechnen, da er an beſtimmten Localitäten, namentlich an gewiſſen von Kalkauflöſungen geſchwängerten Bergwaſſern zu haften ſcheint. Der Cretin iſt noch häßlicher als der Neger,
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Menſchen möglich ſind. Der Typus deſſelben ſollte freilich
ſeiner Idee nach die Schönheit der menſchlichen Erſcheinung
erwarten laſſen, allein die empiriſche Realität, weil der Zufall
und die Willkür in ihr nothwendige Factoren ausmachen,
zeigt uns auch häßliche Geſtalten und zwar nicht blos in der
Form vereinzelter Individuen, ſondern in der erblichen Aus¬
breitung über größere Kreiſe. Doch ſind ſolche Geſtalten
nicht Gattungen in dem Sinn, wie es von Geburt häßliche
Thiere gibt, in deren Begriff ſchon die Häßlichkeit, das
Verzerrte und Widerſpruchsvolle liegt. Gegen die Idee des
Menſchen gehalten, bleiben ſie Zufälligkeiten, die empiriſch
nur relativ nothwendig waren. Sie können theils ſingulärer,
theils particulärer Art ſein. Singulärer Art, wenn ein
menſchlicher Organismus durch individuelle Krankheit, z. B.
Skropheln, Rückgratverkrümmung, Bruch u. dgl. verun¬
ſtaltet wird; particulärer Art, wenn die Verunſtaltung ſich
dadurch erzeugt, daß der Organismus einer beſondern Loca¬
lität ſich anpaſſen muß. In dieſem Fall der Adaption an
eine beſtimmte Bodenform und an ein beſtimmtes Klima
muß der Menſch dieſelben Proceſſe, wie die Pflanze und
das Thier, durchlaufen Die Verſchiedenheit der telluriſchen
Bedingungen drückt ſich auch in der Verſchiedenheit des
Habitus und der Phyſiognomie aus, zumal ſie auch eine
Verſchiedenheit der Lebensart hervorrufen. Der Bewohner
des Gebirgs und der der Ebene, der Waldjäger und der
Fiſcher, der Hirt und der Ackerbauer, der Polanwohner und
der Tropenländer, empfangen nothwendig einen andern an¬
thropologiſchen Charakter. Selbſt der Cretinismus iſt hieher
zu rechnen, da er an beſtimmten Localitäten, namentlich an
gewiſſen von Kalkauflöſungen geſchwängerten Bergwaſſern zu
haften ſcheint. Der Cretin iſt noch häßlicher als der Neger,
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/53>, abgerufen am 23.11.2024.
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