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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Gelübde und andere Mönchstugenden mehr sind Frazzen.
Heilige Knochen, heiliges Holz und all dergleichen Plunder,
den heiligen Stuhlgang des großen Lama von Tibet nicht
ausgeschlossen, sind Frazzen. Von den Werken des Witzes
und des feinen Gefühls fallen die epischen Gedichte des
Virgil und Klopstock ins Edle, Homers und Miltons ins
Abenteuerliche: die Verwandlungen des Ovid sind Frazzen,
die Feenmährchen des Französischen Aberwitzes sind die elen¬
desten Frazzen, die jemals ausgeheckt worden. Anakreontische
Gedichte sind gemeiniglich nahe beim Läppischen". Diese
Auffassung des Frazzenhaften als eines Unnatürlichen, aber
vermeintlich Erhabenen, besonders vom moralischen Stand¬
punct aus, geht wohl über die Grenzen der ästhetischen Be¬
stimmung dieses Begriffs zu weit hinaus. Nach Kant fehlt
nicht viel, daß wir nicht alles Phantastische Frazze nennen
müßten. Wir würden diesen Namen nur theils denjenigen
Verzerrungen geben, die ins Undulistische übergehen, theils
denjenigen, die an sich normale oder edle Gestalten in eine
widrige Häßlichkeit verunstalten. In der ersteren Form
kann die Frazze höchst komisch sein, wie z. B. in Töpfers
genialen Zeichnungen und in so manchen Jean Paulschen
Figuren; in der zweiten Form kann sie, um anderweiter
Beziehungen willen, auch unser Lachen, wenigstens Lächeln
erregen, aber einen unangenehmen Beigeschmack haben, der
uns auf solchen Gestalten nicht mit Wohlgefallen ruhen,
sondern uns von ihnen bald zu andern forteilen läßt. In
einer kleinen Gesprächsnovelle, die guten Weiber, hat
Göthe diesen Punct abgehandelt. S. W. 15., S. 263 ff.
Er läßt hier eine Gesellschaft für und[...] wider das Hä߬
liche streiten. Phantasie und Witz fänden mehr ihre Rech¬
nung, sich mit dem Häßlichen zu beschäftigen, als mit dem

Rosenkranz, Aesthetik des Häßlichen. 26

Gelübde und andere Mönchstugenden mehr ſind Frazzen.
Heilige Knochen, heiliges Holz und all dergleichen Plunder,
den heiligen Stuhlgang des großen Lama von Tibet nicht
ausgeſchloſſen, ſind Frazzen. Von den Werken des Witzes
und des feinen Gefühls fallen die epiſchen Gedichte des
Virgil und Klopſtock ins Edle, Homers und Miltons ins
Abenteuerliche: die Verwandlungen des Ovid ſind Frazzen,
die Feenmährchen des Franzöſiſchen Aberwitzes ſind die elen¬
deſten Frazzen, die jemals ausgeheckt worden. Anakreontiſche
Gedichte ſind gemeiniglich nahe beim Läppiſchen“. Dieſe
Auffaſſung des Frazzenhaften als eines Unnatürlichen, aber
vermeintlich Erhabenen, beſonders vom moraliſchen Stand¬
punct aus, geht wohl über die Grenzen der äſthetiſchen Be¬
ſtimmung dieſes Begriffs zu weit hinaus. Nach Kant fehlt
nicht viel, daß wir nicht alles Phantaſtiſche Frazze nennen
müßten. Wir würden dieſen Namen nur theils denjenigen
Verzerrungen geben, die ins Unduliſtiſche übergehen, theils
denjenigen, die an ſich normale oder edle Geſtalten in eine
widrige Häßlichkeit verunſtalten. In der erſteren Form
kann die Frazze höchſt komiſch ſein, wie z. B. in Töpfers
genialen Zeichnungen und in ſo manchen Jean Paulſchen
Figuren; in der zweiten Form kann ſie, um anderweiter
Beziehungen willen, auch unſer Lachen, wenigſtens Lächeln
erregen, aber einen unangenehmen Beigeſchmack haben, der
uns auf ſolchen Geſtalten nicht mit Wohlgefallen ruhen,
ſondern uns von ihnen bald zu andern forteilen läßt. In
einer kleinen Geſprächsnovelle, die guten Weiber, hat
Göthe dieſen Punct abgehandelt. S. W. 15., S. 263 ff.
Er läßt hier eine Geſellſchaft für und[…] wider das Hä߬
liche ſtreiten. Phantaſie und Witz fänden mehr ihre Rech¬
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[401/0423] Gelübde und andere Mönchstugenden mehr ſind Frazzen. Heilige Knochen, heiliges Holz und all dergleichen Plunder, den heiligen Stuhlgang des großen Lama von Tibet nicht ausgeſchloſſen, ſind Frazzen. Von den Werken des Witzes und des feinen Gefühls fallen die epiſchen Gedichte des Virgil und Klopſtock ins Edle, Homers und Miltons ins Abenteuerliche: die Verwandlungen des Ovid ſind Frazzen, die Feenmährchen des Franzöſiſchen Aberwitzes ſind die elen¬ deſten Frazzen, die jemals ausgeheckt worden. Anakreontiſche Gedichte ſind gemeiniglich nahe beim Läppiſchen“. Dieſe Auffaſſung des Frazzenhaften als eines Unnatürlichen, aber vermeintlich Erhabenen, beſonders vom moraliſchen Stand¬ punct aus, geht wohl über die Grenzen der äſthetiſchen Be¬ ſtimmung dieſes Begriffs zu weit hinaus. Nach Kant fehlt nicht viel, daß wir nicht alles Phantaſtiſche Frazze nennen müßten. Wir würden dieſen Namen nur theils denjenigen Verzerrungen geben, die ins Unduliſtiſche übergehen, theils denjenigen, die an ſich normale oder edle Geſtalten in eine widrige Häßlichkeit verunſtalten. In der erſteren Form kann die Frazze höchſt komiſch ſein, wie z. B. in Töpfers genialen Zeichnungen und in ſo manchen Jean Paulſchen Figuren; in der zweiten Form kann ſie, um anderweiter Beziehungen willen, auch unſer Lachen, wenigſtens Lächeln erregen, aber einen unangenehmen Beigeſchmack haben, der uns auf ſolchen Geſtalten nicht mit Wohlgefallen ruhen, ſondern uns von ihnen bald zu andern forteilen läßt. In einer kleinen Geſprächsnovelle, die guten Weiber, hat Göthe dieſen Punct abgehandelt. S. W. 15., S. 263 ff. Er läßt hier eine Geſellſchaft für und wider das Hä߬ liche ſtreiten. Phantaſie und Witz fänden mehr ihre Rech¬ nung, ſich mit dem Häßlichen zu beſchäftigen, als mit dem Roſenkranz, Aeſthetik des Häßlichen. 26

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/423>, abgerufen am 22.11.2024.