des Felsens richtet sich ein rattenartiges Thier mit einer Brille auf der Schnauze empor und legt ein Gewehr an, tückisch aus dem Hinterhalt zu schießen. Auf einem Absatz des Felsens über der Höhle des Eremiten hat sich eine sonder¬ bare Gemeinde versammelt. Eine nackte vogelartige Gestalt mit dickem Bauch, langem Hals und einem nicht menschlichen und doch menschlichen Gesicht liest aus einem Meßbuche vor. Man kann sich nichts Heuchlerisches vorstellen. Um diesen Pfaffen herum sind allerhand Teufel, keiner dem andern gleich und doch alle in einem widrigen Zuge der gemeinsten Sinnlich¬ keit und Heuchelei sich ähnlich. Einer faltet die Hände. Einer, auf eines Reiseesels Rücken knieend, scheint Ablaß zu verkünden. Einige spielen auf ihren langgezogenen Nasen Clarinette; andere haben an Stelle des Gesichts einen After, auf welchem sie trommeln. Ganz zur Linken des Bildes, von uns aus, erblicken wir einen Felsen, der sich mit meh¬ ren Einschnitten hoch hinaufwölbt. Auf einem Vorsprung steht hier ein ganz und gar verschrobenes, kriegerisch ange¬ thanes Wesen, das nach Oben blickt, von wo ihm ein Un¬ gethüm Koth in den schmunzelnd geöffneten Schlund fallen läßt. Es fühlt sich durch solche Herablassung und Mitthei¬ lung beseligt. Ganz im Vordergrunde steht ein vierfüßiges, ganz aus Panzerstücken und Armaturen zusammengesetztes längliches Thier, aus dessen aufgesperrtem Rachen so eben Lanzen, Gewehre, Pfeile, Kugeln aller Art entstürzen, weil ein leichtsinniger Bursche mit einer Lunte den Hintern an¬ gezündet hat. Voran rennt ein obscuranter Krebs mit einer qualmenden Laterne. Doch in der Mitte des Ganzen er¬ scheint ein scheußlicher Triumphzug. Auf dem Hals und Kopf eines Thiergerippes sitzt eine nackte Gestalt mit einem Spiegel. Soll es Venus sein? Zwei höchst sonderbare
des Felſens richtet ſich ein rattenartiges Thier mit einer Brille auf der Schnauze empor und legt ein Gewehr an, tückiſch aus dem Hinterhalt zu ſchießen. Auf einem Abſatz des Felſens über der Höhle des Eremiten hat ſich eine ſonder¬ bare Gemeinde verſammelt. Eine nackte vogelartige Geſtalt mit dickem Bauch, langem Hals und einem nicht menſchlichen und doch menſchlichen Geſicht lieſt aus einem Meßbuche vor. Man kann ſich nichts Heuchleriſches vorſtellen. Um dieſen Pfaffen herum ſind allerhand Teufel, keiner dem andern gleich und doch alle in einem widrigen Zuge der gemeinſten Sinnlich¬ keit und Heuchelei ſich ähnlich. Einer faltet die Hände. Einer, auf eines Reiſeeſels Rücken knieend, ſcheint Ablaß zu verkünden. Einige ſpielen auf ihren langgezogenen Naſen Clarinette; andere haben an Stelle des Geſichts einen After, auf welchem ſie trommeln. Ganz zur Linken des Bildes, von uns aus, erblicken wir einen Felſen, der ſich mit meh¬ ren Einſchnitten hoch hinaufwölbt. Auf einem Vorſprung ſteht hier ein ganz und gar verſchrobenes, kriegeriſch ange¬ thanes Weſen, das nach Oben blickt, von wo ihm ein Un¬ gethüm Koth in den ſchmunzelnd geöffneten Schlund fallen läßt. Es fühlt ſich durch ſolche Herablaſſung und Mitthei¬ lung beſeligt. Ganz im Vordergrunde ſteht ein vierfüßiges, ganz aus Panzerſtücken und Armaturen zuſammengeſetztes längliches Thier, aus deſſen aufgeſperrtem Rachen ſo eben Lanzen, Gewehre, Pfeile, Kugeln aller Art entſtürzen, weil ein leichtſinniger Burſche mit einer Lunte den Hintern an¬ gezündet hat. Voran rennt ein obscuranter Krebs mit einer qualmenden Laterne. Doch in der Mitte des Ganzen er¬ ſcheint ein ſcheußlicher Triumphzug. Auf dem Hals und Kopf eines Thiergerippes ſitzt eine nackte Geſtalt mit einem Spiegel. Soll es Venus ſein? Zwei höchſt ſonderbare
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des Felſens richtet ſich ein rattenartiges Thier mit einer
Brille auf der Schnauze empor und legt ein Gewehr an,
tückiſch aus dem Hinterhalt zu ſchießen. Auf einem Abſatz
des Felſens über der Höhle des Eremiten hat ſich eine ſonder¬
bare Gemeinde verſammelt. Eine nackte vogelartige Geſtalt
mit dickem Bauch, langem Hals und einem nicht menſchlichen
und doch menſchlichen Geſicht lieſt aus einem Meßbuche vor.
Man kann ſich nichts Heuchleriſches vorſtellen. Um dieſen
Pfaffen herum ſind allerhand Teufel, keiner dem andern gleich
und doch alle in einem widrigen Zuge der gemeinſten Sinnlich¬
keit und Heuchelei ſich ähnlich. Einer faltet die Hände.
Einer, auf eines Reiſeeſels Rücken knieend, ſcheint Ablaß
zu verkünden. Einige ſpielen auf ihren langgezogenen Naſen
Clarinette; andere haben an Stelle des Geſichts einen After,
auf welchem ſie trommeln. Ganz zur Linken des Bildes,
von uns aus, erblicken wir einen Felſen, der ſich mit meh¬
ren Einſchnitten hoch hinaufwölbt. Auf einem Vorſprung
ſteht hier ein ganz und gar verſchrobenes, kriegeriſch ange¬
thanes Weſen, das nach Oben blickt, von wo ihm ein Un¬
gethüm Koth in den ſchmunzelnd geöffneten Schlund fallen
läßt. Es fühlt ſich durch ſolche Herablaſſung und Mitthei¬
lung beſeligt. Ganz im Vordergrunde ſteht ein vierfüßiges,
ganz aus Panzerſtücken und Armaturen zuſammengeſetztes
längliches Thier, aus deſſen aufgeſperrtem Rachen ſo eben
Lanzen, Gewehre, Pfeile, Kugeln aller Art entſtürzen, weil
ein leichtſinniger Burſche mit einer Lunte den Hintern an¬
gezündet hat. Voran rennt ein obscuranter Krebs mit einer
qualmenden Laterne. Doch in der Mitte des Ganzen er¬
ſcheint ein ſcheußlicher Triumphzug. Auf dem Hals und
Kopf eines Thiergerippes ſitzt eine nackte Geſtalt mit einem
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/400>, abgerufen am 22.11.2024.
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