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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Folge. Die Vergeistigung der Vorstellung macht die Gestalt
unbestimmter und arbeitet sie mehr in den bösen Handlungen
aus, wie bei dem Indischen Kalis, dem Parsischen Eschem,
dem Aegyptischen Set, der dickbauchig mit einem Nilpferd¬
kopf gebildet wurde und den die Griechen Typhon nannten.
Bei den Griechen wurde das Böse als die Negation des
natürlichen und sittlichen Maaßes gefaßt, aber nicht in eine
besondere Individualität concentrirt. Die Häßlichkeit des
Negativen wurde an verschiedene Subjecte nach verschiedenen
Momenten vertheilt (82). Die vielgliedrigen, an die Indi¬
schen Götter erinnernden Hekatoncheiren waren als Titanische
Mächte mit den neuen Göttern im Kampf, aber nicht böse.
Die ungeschlachten und einäugigen Kyklopen waren nicht
sowohl böse, als roh. Die Grajen waren schönwangige
Mädchen mit greisem Haar, Phorkyas einzahnig, die Har¬
pyien ekelhaft, die Sirenen schönbusigte Jungfrauen, unten
in Fischschwänze ausgehend, die Lamien und Empusen nach
dem Blut schöner Jünglinge lüstern, die sie verführten,
die dem Trunk und der Wollust ergebenen Satyr bocks¬
füßig -- aber alle diese Fabelwesen waren nicht in un¬
serm Sinn böse. Die Kinder der Nacht, die Hesiodos
in der Theogonie nach der Schilderung des Chaos auf¬
zählt, waren schrecklich, aber nicht böse. Der Ursprung
des Uebels, aber nicht eigentlich des Bösen, wird in dem
Prometheischen Mythus dargestellt. Genug, bei aller sittli¬
chen Tiefe, die wir bei den Griechen treffen, müssen wir
doch urtheilen, daß ihnen die Vorstellung des satanisch
Bösen fremd geblieben ist. Ihre asebeia reicht nicht ent¬
fernt an diese Verruchtheit. In der Scandinavischen Mytho¬
logie hingegen ist die Vorstellung des Bösen in Loki schon
viel concentrirter. Loki haßte, ächt satanisch, den guten,

Folge. Die Vergeiſtigung der Vorſtellung macht die Geſtalt
unbeſtimmter und arbeitet ſie mehr in den böſen Handlungen
aus, wie bei dem Indiſchen Kalis, dem Parſiſchen Eſchem,
dem Aegyptiſchen Set, der dickbauchig mit einem Nilpferd¬
kopf gebildet wurde und den die Griechen Typhon nannten.
Bei den Griechen wurde das Böſe als die Negation des
natürlichen und ſittlichen Maaßes gefaßt, aber nicht in eine
beſondere Individualität concentrirt. Die Häßlichkeit des
Negativen wurde an verſchiedene Subjecte nach verſchiedenen
Momenten vertheilt (82). Die vielgliedrigen, an die Indi¬
ſchen Götter erinnernden Hekatoncheiren waren als Titaniſche
Mächte mit den neuen Göttern im Kampf, aber nicht böſe.
Die ungeſchlachten und einäugigen Kyklopen waren nicht
ſowohl böſe, als roh. Die Grajen waren ſchönwangige
Mädchen mit greiſem Haar, Phorkyas einzahnig, die Har¬
pyien ekelhaft, die Sirenen ſchönbuſigte Jungfrauen, unten
in Fiſchſchwänze ausgehend, die Lamien und Empuſen nach
dem Blut ſchöner Jünglinge lüſtern, die ſie verführten,
die dem Trunk und der Wolluſt ergebenen Satyr bocks¬
füßig — aber alle dieſe Fabelweſen waren nicht in un¬
ſerm Sinn böſe. Die Kinder der Nacht, die Heſiodos
in der Theogonie nach der Schilderung des Chaos auf¬
zählt, waren ſchrecklich, aber nicht böſe. Der Urſprung
des Uebels, aber nicht eigentlich des Böſen, wird in dem
Prometheiſchen Mythus dargeſtellt. Genug, bei aller ſittli¬
chen Tiefe, die wir bei den Griechen treffen, müſſen wir
doch urtheilen, daß ihnen die Vorſtellung des ſataniſch
Böſen fremd geblieben iſt. Ihre ἀσεβεια reicht nicht ent¬
fernt an dieſe Verruchtheit. In der Scandinaviſchen Mytho¬
logie hingegen iſt die Vorſtellung des Böſen in Loki ſchon
viel concentrirter. Loki haßte, ächt ſataniſch, den guten,

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[373/0395] Folge. Die Vergeiſtigung der Vorſtellung macht die Geſtalt unbeſtimmter und arbeitet ſie mehr in den böſen Handlungen aus, wie bei dem Indiſchen Kalis, dem Parſiſchen Eſchem, dem Aegyptiſchen Set, der dickbauchig mit einem Nilpferd¬ kopf gebildet wurde und den die Griechen Typhon nannten. Bei den Griechen wurde das Böſe als die Negation des natürlichen und ſittlichen Maaßes gefaßt, aber nicht in eine beſondere Individualität concentrirt. Die Häßlichkeit des Negativen wurde an verſchiedene Subjecte nach verſchiedenen Momenten vertheilt (82). Die vielgliedrigen, an die Indi¬ ſchen Götter erinnernden Hekatoncheiren waren als Titaniſche Mächte mit den neuen Göttern im Kampf, aber nicht böſe. Die ungeſchlachten und einäugigen Kyklopen waren nicht ſowohl böſe, als roh. Die Grajen waren ſchönwangige Mädchen mit greiſem Haar, Phorkyas einzahnig, die Har¬ pyien ekelhaft, die Sirenen ſchönbuſigte Jungfrauen, unten in Fiſchſchwänze ausgehend, die Lamien und Empuſen nach dem Blut ſchöner Jünglinge lüſtern, die ſie verführten, die dem Trunk und der Wolluſt ergebenen Satyr bocks¬ füßig — aber alle dieſe Fabelweſen waren nicht in un¬ ſerm Sinn böſe. Die Kinder der Nacht, die Heſiodos in der Theogonie nach der Schilderung des Chaos auf¬ zählt, waren ſchrecklich, aber nicht böſe. Der Urſprung des Uebels, aber nicht eigentlich des Böſen, wird in dem Prometheiſchen Mythus dargeſtellt. Genug, bei aller ſittli¬ chen Tiefe, die wir bei den Griechen treffen, müſſen wir doch urtheilen, daß ihnen die Vorſtellung des ſataniſch Böſen fremd geblieben iſt. Ihre ἀσεβεια reicht nicht ent¬ fernt an dieſe Verruchtheit. In der Scandinaviſchen Mytho¬ logie hingegen iſt die Vorſtellung des Böſen in Loki ſchon viel concentrirter. Loki haßte, ächt ſataniſch, den guten,

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/395>, abgerufen am 23.11.2024.