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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Die Deutschen Uebersetzer von Nal und Damajanti haben
auch die ächt Indische Katastrophe ohne alles Recht fortge¬
lassen. Bopp in der seinigen, 1838, bringt sie schüchtern
in die Anmerkungen, aber, weil auch da noch ein Damen¬
auge sich hinverirren könnte, mit Lateinischen Worten: "Qui
fecerat urinam et eam calcaverat, crepusculo, sedebat
Naishadus, non facta pedum purificatione;
hac occasione
Calis eum ingressus est." Körperliche Reinigkeit ist aber in
der That nichts so Geringes, daß nicht Religionen, die
noch den ganzen Menschen erziehen, einen großen Werth
darauf legen sollten. Und Pflichterfüllung verlangt einmal
Verwirklichung aller Pflichten. Indem der Indische Dichter
nun von Nalas eine in der That äußerst geringe Uebertretung
des Gesetzes begehen läßt, will er damit doch eben die Heilig¬
keit desselben an das Herz legen, daß nämlich nichts, auch
nicht das Kleinste, in ihm gleichgültig sei, und zugleich will
er den Nalas damit hochstellen, daß er nur in eine so leichte
Sünde, in ein wahres pecatillum fiel. -- Die Befreiung
von den Dämonen wird die Kunst am effectreichsten in dem
Augenblick darstellen können, wo durch die Einwirkung einer
erlösenden Macht die Gebrochenheit des Lebens, das Wahn¬
sinnige des Blicks, das Krampfhafte der Glieder, die Ver¬
dunkelung des Bewußtseins, der linden Morgenröthe einer
geisterfüllten, liebefähigen Besinnung zu weichen beginnt;
noch sind die Augen halb verschleiert, aber schon öffnet sich
der Mund, dem ausfahrenden Dämon Raum zu geben.
Mit ihm verschwindet die Häßlichkeit der Verzerrung. So
haben Rubens, Raphael diesen Vorwurf behandelt. In
Raphaels Transfiguration Christi erblickt man auf der Höhe
des Berges die aufschwebende Lichtgestalt des Erlösers; unten
am Fuß des Berges eine Gruppe um einen Dämonischen,

Die Deutſchen Ueberſetzer von Nal und Damajanti haben
auch die ächt Indiſche Kataſtrophe ohne alles Recht fortge¬
laſſen. Bopp in der ſeinigen, 1838, bringt ſie ſchüchtern
in die Anmerkungen, aber, weil auch da noch ein Damen¬
auge ſich hinverirren könnte, mit Lateiniſchen Worten: „Qui
fecerat urinam et eam calcaverat, crepusculo, sedebat
Naishadus, non facta pedum purificatione;
hac occasione
Calis eum ingressus est.“ Körperliche Reinigkeit iſt aber in
der That nichts ſo Geringes, daß nicht Religionen, die
noch den ganzen Menſchen erziehen, einen großen Werth
darauf legen ſollten. Und Pflichterfüllung verlangt einmal
Verwirklichung aller Pflichten. Indem der Indiſche Dichter
nun von Nalas eine in der That äußerſt geringe Uebertretung
des Geſetzes begehen läßt, will er damit doch eben die Heilig¬
keit deſſelben an das Herz legen, daß nämlich nichts, auch
nicht das Kleinſte, in ihm gleichgültig ſei, und zugleich will
er den Nalas damit hochſtellen, daß er nur in eine ſo leichte
Sünde, in ein wahres pecatillum fiel. — Die Befreiung
von den Dämonen wird die Kunſt am effectreichſten in dem
Augenblick darſtellen können, wo durch die Einwirkung einer
erlöſenden Macht die Gebrochenheit des Lebens, das Wahn¬
ſinnige des Blicks, das Krampfhafte der Glieder, die Ver¬
dunkelung des Bewußtſeins, der linden Morgenröthe einer
geiſterfüllten, liebefähigen Beſinnung zu weichen beginnt;
noch ſind die Augen halb verſchleiert, aber ſchon öffnet ſich
der Mund, dem ausfahrenden Dämon Raum zu geben.
Mit ihm verſchwindet die Häßlichkeit der Verzerrung. So
haben Rubens, Raphael dieſen Vorwurf behandelt. In
Raphaels Transfiguration Chriſti erblickt man auf der Höhe
des Berges die aufſchwebende Lichtgeſtalt des Erlöſers; unten
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[366/0388] Die Deutſchen Ueberſetzer von Nal und Damajanti haben auch die ächt Indiſche Kataſtrophe ohne alles Recht fortge¬ laſſen. Bopp in der ſeinigen, 1838, bringt ſie ſchüchtern in die Anmerkungen, aber, weil auch da noch ein Damen¬ auge ſich hinverirren könnte, mit Lateiniſchen Worten: „Qui fecerat urinam et eam calcaverat, crepusculo, sedebat Naishadus, non facta pedum purificatione; hac occasione Calis eum ingressus est.“ Körperliche Reinigkeit iſt aber in der That nichts ſo Geringes, daß nicht Religionen, die noch den ganzen Menſchen erziehen, einen großen Werth darauf legen ſollten. Und Pflichterfüllung verlangt einmal Verwirklichung aller Pflichten. Indem der Indiſche Dichter nun von Nalas eine in der That äußerſt geringe Uebertretung des Geſetzes begehen läßt, will er damit doch eben die Heilig¬ keit deſſelben an das Herz legen, daß nämlich nichts, auch nicht das Kleinſte, in ihm gleichgültig ſei, und zugleich will er den Nalas damit hochſtellen, daß er nur in eine ſo leichte Sünde, in ein wahres pecatillum fiel. — Die Befreiung von den Dämonen wird die Kunſt am effectreichſten in dem Augenblick darſtellen können, wo durch die Einwirkung einer erlöſenden Macht die Gebrochenheit des Lebens, das Wahn¬ ſinnige des Blicks, das Krampfhafte der Glieder, die Ver¬ dunkelung des Bewußtſeins, der linden Morgenröthe einer geiſterfüllten, liebefähigen Beſinnung zu weichen beginnt; noch ſind die Augen halb verſchleiert, aber ſchon öffnet ſich der Mund, dem ausfahrenden Dämon Raum zu geben. Mit ihm verſchwindet die Häßlichkeit der Verzerrung. So haben Rubens, Raphael dieſen Vorwurf behandelt. In Raphaels Transfiguration Chriſti erblickt man auf der Höhe des Berges die aufſchwebende Lichtgeſtalt des Erlöſers; unten am Fuß des Berges eine Gruppe um einen Dämoniſchen,

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/388>, abgerufen am 24.11.2024.