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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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ausgeht, nothwendig in den Kreis ihrer Darstellung auf¬
nehmen, weil die subjective Seite der Freiheit gerade im
Bösen sich als ausschließliche manifestirt und sich mit ihrer
Negativität das Schicksal des Unterganges durch die affir¬
mativen Mächte des Guten selber bereitet. Die Niederträch¬
tigkeit des Neides, die Hegel so abscheulich findet, fiel bei
den Alten in das phthoneron der Götter selber, bei den
Christen in den Teufel. Wie wären denn gerade die größten
Künstler, Orcagna, Dante, Raphael, Michel Angelo, Pierre
Corneille, Racine, Marlowe, Shakespeare, Göthe, Schiller,
Cornelius, Kaulbach, Mozart, so fleißig gewesen, das Böse
nicht nur als das Verbrecherische und Gespenstische, sondern
auch als das Teuflische zu schildern (80)!

Von dem Bösen einer einzelnen Leidenschaft, einer
particulären Schlechtigkeit, eines vorübergehenden Affectes,
unterscheidet sich das Böse als diabolisches dadurch, daß es
das Gute principiell haßt, seine Negation sich zum absoluten
Zweck macht und an dem Hervorbringen des Uebels und des
Bösen seine Freude hat. In dieser, von seinem Begriff un¬
abtrennlichen Bewußtheit seiner Opposition gegen das Gute,
liegt der Grund, daß es den Uebergang zur Caricatur macht.
Nur als selbstbewußtes Zerrbild des an sich in ihm dasein¬
sollenden göttlichen Urbildes ist es möglich. Es erinnert so¬
fort an das Gute, dessen Vernichtung seine Lust ist; es
grins't es als den Widersinn an; es fletscht ihm die Zähne
entgegen -- aber es kann nicht von ihm loskommen, denn
wenn das Gute nicht wäre, wäre es selber gar nicht; das
Böse ist insofern wahnsinnig. Das Diabolische wiederholt
nun das Verbrecherische in der Vorstellung von Menschen,
die von teuflischen Dämonen besessen und von ihnen zu einem
scheußlichen Thun gezwungen werden. Der Besessene tobt

ausgeht, nothwendig in den Kreis ihrer Darſtellung auf¬
nehmen, weil die ſubjective Seite der Freiheit gerade im
Böſen ſich als ausſchließliche manifeſtirt und ſich mit ihrer
Negativität das Schickſal des Unterganges durch die affir¬
mativen Mächte des Guten ſelber bereitet. Die Niederträch¬
tigkeit des Neides, die Hegel ſo abſcheulich findet, fiel bei
den Alten in das φϑονεϱον der Götter ſelber, bei den
Chriſten in den Teufel. Wie wären denn gerade die größten
Künſtler, Orcagna, Dante, Raphael, Michel Angelo, Pierre
Corneille, Racine, Marlowe, Shakeſpeare, Göthe, Schiller,
Cornelius, Kaulbach, Mozart, ſo fleißig geweſen, das Böſe
nicht nur als das Verbrecheriſche und Geſpenſtiſche, ſondern
auch als das Teufliſche zu ſchildern (80)!

Von dem Böſen einer einzelnen Leidenſchaft, einer
particulären Schlechtigkeit, eines vorübergehenden Affectes,
unterſcheidet ſich das Böſe als diaboliſches dadurch, daß es
das Gute principiell haßt, ſeine Negation ſich zum abſoluten
Zweck macht und an dem Hervorbringen des Uebels und des
Böſen ſeine Freude hat. In dieſer, von ſeinem Begriff un¬
abtrennlichen Bewußtheit ſeiner Oppoſition gegen das Gute,
liegt der Grund, daß es den Uebergang zur Caricatur macht.
Nur als ſelbſtbewußtes Zerrbild des an ſich in ihm daſein¬
ſollenden göttlichen Urbildes iſt es möglich. Es erinnert ſo¬
fort an das Gute, deſſen Vernichtung ſeine Luſt iſt; es
grinſ't es als den Widerſinn an; es fletſcht ihm die Zähne
entgegen — aber es kann nicht von ihm loskommen, denn
wenn das Gute nicht wäre, wäre es ſelber gar nicht; das
Böſe iſt inſofern wahnſinnig. Das Diaboliſche wiederholt
nun das Verbrecheriſche in der Vorſtellung von Menſchen,
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[363/0385] ausgeht, nothwendig in den Kreis ihrer Darſtellung auf¬ nehmen, weil die ſubjective Seite der Freiheit gerade im Böſen ſich als ausſchließliche manifeſtirt und ſich mit ihrer Negativität das Schickſal des Unterganges durch die affir¬ mativen Mächte des Guten ſelber bereitet. Die Niederträch¬ tigkeit des Neides, die Hegel ſo abſcheulich findet, fiel bei den Alten in das φϑονεϱον der Götter ſelber, bei den Chriſten in den Teufel. Wie wären denn gerade die größten Künſtler, Orcagna, Dante, Raphael, Michel Angelo, Pierre Corneille, Racine, Marlowe, Shakeſpeare, Göthe, Schiller, Cornelius, Kaulbach, Mozart, ſo fleißig geweſen, das Böſe nicht nur als das Verbrecheriſche und Geſpenſtiſche, ſondern auch als das Teufliſche zu ſchildern (80)! Von dem Böſen einer einzelnen Leidenſchaft, einer particulären Schlechtigkeit, eines vorübergehenden Affectes, unterſcheidet ſich das Böſe als diaboliſches dadurch, daß es das Gute principiell haßt, ſeine Negation ſich zum abſoluten Zweck macht und an dem Hervorbringen des Uebels und des Böſen ſeine Freude hat. In dieſer, von ſeinem Begriff un¬ abtrennlichen Bewußtheit ſeiner Oppoſition gegen das Gute, liegt der Grund, daß es den Uebergang zur Caricatur macht. Nur als ſelbſtbewußtes Zerrbild des an ſich in ihm daſein¬ ſollenden göttlichen Urbildes iſt es möglich. Es erinnert ſo¬ fort an das Gute, deſſen Vernichtung ſeine Luſt iſt; es grinſ't es als den Widerſinn an; es fletſcht ihm die Zähne entgegen — aber es kann nicht von ihm loskommen, denn wenn das Gute nicht wäre, wäre es ſelber gar nicht; das Böſe iſt inſofern wahnſinnig. Das Diaboliſche wiederholt nun das Verbrecheriſche in der Vorſtellung von Menſchen, die von teufliſchen Dämonen beſeſſen und von ihnen zu einem ſcheußlichen Thun gezwungen werden. Der Beſeſſene tobt

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/385>, abgerufen am 24.11.2024.