im Inhalt eben so absurd, als in der Form. Es äfft den Lebenden durch unheimliche, verstandlose, mit dem Ernst des Jenseits mehr kokettirende als wirklich mit ihm zusammen¬ hängende Dinge. Unsere romantische Schule hat das Ge¬ spenstische vorzüglich nach dieser Richtung hin ausarten lassen. Die seltsamste Albernheit, die fratzenhafteste Verrücktheit galt für genial. Man konnte consequeut das Ethische, sofern man noch überhaupt an dasselbe dachte, nur noch als das Fatalistische und dann immer nur in einer scheußlichen Gestalt festhalten, wie z. B. in Hr. v. Kleist Familie Schroffen¬ stein der abgehauene Kindesfinger. Wenn in der Orestie die Klytämnestra mit dem Dolch in der Wunde erscheint, die des Sohnes Hand ihr geschlagen, so ist dies ein durch seine Wahrheit erschütterndes Phantom; wenn aber mit einem Messer, wie in Werners Februar, wieder gemordet werden muß, weil schon einmal mit ihm gemordet ist, so ist das ein unvernünftiger, spukhafter Zusammenhang. Diese Ten¬ denz hat daher auch eine große Vorliebe für Puppen, Nu߬ knacker, Automate, Wachsfiguren u. s. w. Hoffmann's Nußknacker zog eine ganze Menge ähnlicher Spukfiguren nach sich, so daß Immermann noch im Münchhausen eine Satire darauf in dem großen, bramabarsirenden Ruspoli einflechten konnte. Je hohler und gehaltloser solche Einfälle wurden, für um so phantastischer wurden sie oft gehalten. Es war ein Glück, daß man durch die Phantasie des Volkes doch schon manche Elemente vorgearbeitet fand, in denen wenigstens die schreckliche Seite des Spukhaften richtiger gefaßt und mit einem Anklang der Idee versetzt war. So waren eine Zeitlang durch Arnim die Golems Mode ge¬ worden, Lehmfiguren, welche durch einen auf die Stirn geklebten, mit Sprüchen des Geisterfürsten Salomo beschrie¬
im Inhalt eben ſo abſurd, als in der Form. Es äfft den Lebenden durch unheimliche, verſtandloſe, mit dem Ernſt des Jenſeits mehr kokettirende als wirklich mit ihm zuſammen¬ hängende Dinge. Unſere romantiſche Schule hat das Ge¬ ſpenſtiſche vorzüglich nach dieſer Richtung hin ausarten laſſen. Die ſeltſamſte Albernheit, die fratzenhafteſte Verrücktheit galt für genial. Man konnte conſequeut das Ethiſche, ſofern man noch überhaupt an daſſelbe dachte, nur noch als das Fataliſtiſche und dann immer nur in einer ſcheußlichen Geſtalt feſthalten, wie z. B. in Hr. v. Kleiſt Familie Schroffen¬ ſtein der abgehauene Kindesfinger. Wenn in der Oreſtie die Klytämneſtra mit dem Dolch in der Wunde erſcheint, die des Sohnes Hand ihr geſchlagen, ſo iſt dies ein durch ſeine Wahrheit erſchütterndes Phantom; wenn aber mit einem Meſſer, wie in Werners Februar, wieder gemordet werden muß, weil ſchon einmal mit ihm gemordet iſt, ſo iſt das ein unvernünftiger, ſpukhafter Zuſammenhang. Dieſe Ten¬ denz hat daher auch eine große Vorliebe für Puppen, Nu߬ knacker, Automate, Wachsfiguren u. ſ. w. Hoffmann's Nußknacker zog eine ganze Menge ähnlicher Spukfiguren nach ſich, ſo daß Immermann noch im Münchhauſen eine Satire darauf in dem großen, bramabarſirenden Ruspoli einflechten konnte. Je hohler und gehaltloſer ſolche Einfälle wurden, für um ſo phantaſtiſcher wurden ſie oft gehalten. Es war ein Glück, daß man durch die Phantaſie des Volkes doch ſchon manche Elemente vorgearbeitet fand, in denen wenigſtens die ſchreckliche Seite des Spukhaften richtiger gefaßt und mit einem Anklang der Idee verſetzt war. So waren eine Zeitlang durch Arnim die Golems Mode ge¬ worden, Lehmfiguren, welche durch einen auf die Stirn geklebten, mit Sprüchen des Geiſterfürſten Salomo beſchrie¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><p><pbfacs="#f0370"n="348"/>
im Inhalt eben ſo abſurd, als in der Form. Es äfft den<lb/>
Lebenden durch unheimliche, verſtandloſe, mit dem Ernſt des<lb/>
Jenſeits mehr kokettirende als wirklich mit ihm zuſammen¬<lb/>
hängende Dinge. Unſere romantiſche Schule hat das Ge¬<lb/>ſpenſtiſche vorzüglich nach dieſer Richtung hin ausarten laſſen.<lb/>
Die ſeltſamſte Albernheit, die fratzenhafteſte Verrücktheit galt<lb/>
für genial. Man konnte conſequeut das Ethiſche, ſofern<lb/>
man noch überhaupt an daſſelbe dachte, nur noch als das<lb/>
Fataliſtiſche und dann immer nur in einer ſcheußlichen Geſtalt<lb/>
feſthalten, wie z. B. in Hr. v. <hirendition="#g">Kleiſt</hi> Familie <hirendition="#g">Schroffen¬<lb/>ſtein</hi> der abgehauene Kindesfinger. Wenn in der Oreſtie<lb/>
die Klytämneſtra mit dem Dolch in der Wunde erſcheint, die<lb/>
des Sohnes Hand ihr geſchlagen, ſo iſt dies ein durch ſeine<lb/>
Wahrheit erſchütterndes Phantom; wenn aber mit einem<lb/>
Meſſer, wie in Werners Februar, wieder gemordet werden<lb/>
muß, weil ſchon einmal mit ihm gemordet iſt, ſo iſt das<lb/>
ein unvernünftiger, ſpukhafter Zuſammenhang. Dieſe Ten¬<lb/>
denz hat daher auch eine große Vorliebe für Puppen, Nu߬<lb/>
knacker, Automate, Wachsfiguren u. ſ. w. <hirendition="#g">Hoffmann</hi>'s<lb/>
Nußknacker zog eine ganze Menge ähnlicher Spukfiguren<lb/>
nach ſich, ſo daß <hirendition="#g">Immermann</hi> noch im Münchhauſen eine<lb/>
Satire darauf in dem großen, bramabarſirenden Ruspoli<lb/>
einflechten konnte. Je hohler und gehaltloſer ſolche Einfälle<lb/>
wurden, für um ſo phantaſtiſcher wurden ſie oft gehalten.<lb/>
Es war ein Glück, daß man durch die Phantaſie des Volkes<lb/>
doch ſchon manche Elemente vorgearbeitet fand, in denen<lb/>
wenigſtens die ſchreckliche Seite des Spukhaften richtiger<lb/>
gefaßt und mit einem Anklang der Idee verſetzt war. So<lb/>
waren eine Zeitlang durch <hirendition="#g">Arnim</hi> die Golems Mode ge¬<lb/>
worden, Lehmfiguren, welche durch einen auf die Stirn<lb/>
geklebten, mit Sprüchen des Geiſterfürſten Salomo beſchrie¬<lb/></p></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[348/0370]
im Inhalt eben ſo abſurd, als in der Form. Es äfft den
Lebenden durch unheimliche, verſtandloſe, mit dem Ernſt des
Jenſeits mehr kokettirende als wirklich mit ihm zuſammen¬
hängende Dinge. Unſere romantiſche Schule hat das Ge¬
ſpenſtiſche vorzüglich nach dieſer Richtung hin ausarten laſſen.
Die ſeltſamſte Albernheit, die fratzenhafteſte Verrücktheit galt
für genial. Man konnte conſequeut das Ethiſche, ſofern
man noch überhaupt an daſſelbe dachte, nur noch als das
Fataliſtiſche und dann immer nur in einer ſcheußlichen Geſtalt
feſthalten, wie z. B. in Hr. v. Kleiſt Familie Schroffen¬
ſtein der abgehauene Kindesfinger. Wenn in der Oreſtie
die Klytämneſtra mit dem Dolch in der Wunde erſcheint, die
des Sohnes Hand ihr geſchlagen, ſo iſt dies ein durch ſeine
Wahrheit erſchütterndes Phantom; wenn aber mit einem
Meſſer, wie in Werners Februar, wieder gemordet werden
muß, weil ſchon einmal mit ihm gemordet iſt, ſo iſt das
ein unvernünftiger, ſpukhafter Zuſammenhang. Dieſe Ten¬
denz hat daher auch eine große Vorliebe für Puppen, Nu߬
knacker, Automate, Wachsfiguren u. ſ. w. Hoffmann's
Nußknacker zog eine ganze Menge ähnlicher Spukfiguren
nach ſich, ſo daß Immermann noch im Münchhauſen eine
Satire darauf in dem großen, bramabarſirenden Ruspoli
einflechten konnte. Je hohler und gehaltloſer ſolche Einfälle
wurden, für um ſo phantaſtiſcher wurden ſie oft gehalten.
Es war ein Glück, daß man durch die Phantaſie des Volkes
doch ſchon manche Elemente vorgearbeitet fand, in denen
wenigſtens die ſchreckliche Seite des Spukhaften richtiger
gefaßt und mit einem Anklang der Idee verſetzt war. So
waren eine Zeitlang durch Arnim die Golems Mode ge¬
worden, Lehmfiguren, welche durch einen auf die Stirn
geklebten, mit Sprüchen des Geiſterfürſten Salomo beſchrie¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/370>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.