die Seinigen auf zur Rache für ihm geschehene Schmach; er winkt, ihm nach Orten zu folgen, wo er den Lebenden wichtige Zeugnisse oder Schätze hinterlassen; oder er offenbart auch Verbrechen, die er heimlich begangen und fleht, ihn von seiner Schuld erlösen, ihm seine Buße bewirken zu helfen. Denn der Todte ist schon unleibhaft und machtlos, kann lichtscheu nicht selbst mehr in die taghelle Wirklichkeit eingreifen; er kann nur flehen, beschwören, lenken, daß Recht und Liebe auch ihm, dem Todten, von den Lebendigen nicht verkümmert werden. Ganz stumm kann der Geist bei Todten dem Lebenden seine Schuld vorhalten, wie Banquo's Schatten, der sich an Macbeths Tafel niederläßt; oder er kann mit dumpfem Klagenlaut reden, wie Hamlets Vater u. s. w. Was ist also das Gespenst? Es ist der Reflex des Schuldbewußtseins, die Ruhelosigkeit der eigenen Ent¬ zweiung, die sich in das Bild des drängenden Geistes projicirt, wie jener Maler geistreich den Steckbrief als das Doppelbild des Mörders selber, den er verfolgt, gemalt hat. Der Mörder flieht in trüber Nacht; riesengroß eilt der Steckbrief ihm nach; dieser Brief ist aber, sieht man ihn näher an, wieder der Mörder selber, er ist der unendliche Widerschein seiner Schuld; er flieht vor sich selber und schreibt sich selber den Steckbrief. Dies ethische Moment gibt dem Gespenstischen die ideale Weihe; in seiner Schattenhaftigkeit muß es doch daß Gewicht derjenigen Nothwendigkeit durch¬ fühlen lassen, die auf dem ewigen Grunde der sittlichen Mächte beruhet. In dem Gespenst muß sich ein Interesse manifestiren, das über alle Meinung, über allen Hohn und Angriff der Lebenden hinaus ist, wie der Geist des erschla¬ genen Comthur dem leichtsinnig frevelnden Don Juan in solcher Hoheit gegenüber steht.
die Seinigen auf zur Rache für ihm geſchehene Schmach; er winkt, ihm nach Orten zu folgen, wo er den Lebenden wichtige Zeugniſſe oder Schätze hinterlaſſen; oder er offenbart auch Verbrechen, die er heimlich begangen und fleht, ihn von ſeiner Schuld erlöſen, ihm ſeine Buße bewirken zu helfen. Denn der Todte iſt ſchon unleibhaft und machtlos, kann lichtſcheu nicht ſelbſt mehr in die taghelle Wirklichkeit eingreifen; er kann nur flehen, beſchwören, lenken, daß Recht und Liebe auch ihm, dem Todten, von den Lebendigen nicht verkümmert werden. Ganz ſtumm kann der Geiſt bei Todten dem Lebenden ſeine Schuld vorhalten, wie Banquo's Schatten, der ſich an Macbeths Tafel niederläßt; oder er kann mit dumpfem Klagenlaut reden, wie Hamlets Vater u. ſ. w. Was iſt alſo das Geſpenſt? Es iſt der Reflex des Schuldbewußtſeins, die Ruheloſigkeit der eigenen Ent¬ zweiung, die ſich in das Bild des drängenden Geiſtes projicirt, wie jener Maler geiſtreich den Steckbrief als das Doppelbild des Mörders ſelber, den er verfolgt, gemalt hat. Der Mörder flieht in trüber Nacht; rieſengroß eilt der Steckbrief ihm nach; dieſer Brief iſt aber, ſieht man ihn näher an, wieder der Mörder ſelber, er iſt der unendliche Widerſchein ſeiner Schuld; er flieht vor ſich ſelber und ſchreibt ſich ſelber den Steckbrief. Dies ethiſche Moment gibt dem Geſpenſtiſchen die ideale Weihe; in ſeiner Schattenhaftigkeit muß es doch daß Gewicht derjenigen Nothwendigkeit durch¬ fühlen laſſen, die auf dem ewigen Grunde der ſittlichen Mächte beruhet. In dem Geſpenſt muß ſich ein Intereſſe manifeſtiren, das über alle Meinung, über allen Hohn und Angriff der Lebenden hinaus iſt, wie der Geiſt des erſchla¬ genen Comthur dem leichtſinnig frevelnden Don Juan in ſolcher Hoheit gegenüber ſteht.
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die Seinigen auf zur Rache für ihm geſchehene Schmach;
er winkt, ihm nach Orten zu folgen, wo er den Lebenden
wichtige Zeugniſſe oder Schätze hinterlaſſen; oder er offenbart
auch Verbrechen, die er heimlich begangen und fleht, ihn
von ſeiner Schuld erlöſen, ihm ſeine Buße bewirken zu
helfen. Denn der Todte iſt ſchon unleibhaft und machtlos,
kann lichtſcheu nicht ſelbſt mehr in die taghelle Wirklichkeit
eingreifen; er kann nur flehen, beſchwören, lenken, daß
Recht und Liebe auch ihm, dem Todten, von den Lebendigen
nicht verkümmert werden. Ganz ſtumm kann der Geiſt bei
Todten dem Lebenden ſeine Schuld vorhalten, wie Banquo's
Schatten, der ſich an Macbeths Tafel niederläßt; oder er
kann mit dumpfem Klagenlaut reden, wie Hamlets Vater
u. ſ. w. Was iſt alſo das Geſpenſt? Es iſt der Reflex
des Schuldbewußtſeins, die Ruheloſigkeit der eigenen Ent¬
zweiung, die ſich in das Bild des drängenden Geiſtes
projicirt, wie jener Maler geiſtreich den Steckbrief als
das Doppelbild des Mörders ſelber, den er verfolgt, gemalt
hat. Der Mörder flieht in trüber Nacht; rieſengroß eilt
der Steckbrief ihm nach; dieſer Brief iſt aber, ſieht man
ihn näher an, wieder der Mörder ſelber, er iſt der unendliche
Widerſchein ſeiner Schuld; er flieht vor ſich ſelber und ſchreibt
ſich ſelber den Steckbrief. Dies ethiſche Moment gibt dem
Geſpenſtiſchen die ideale Weihe; in ſeiner Schattenhaftigkeit
muß es doch daß Gewicht derjenigen Nothwendigkeit durch¬
fühlen laſſen, die auf dem ewigen Grunde der ſittlichen
Mächte beruhet. In dem Geſpenſt muß ſich ein Intereſſe
manifeſtiren, das über alle Meinung, über allen Hohn und
Angriff der Lebenden hinaus iſt, wie der Geiſt des erſchla¬
genen Comthur dem leichtſinnig frevelnden Don Juan in
ſolcher Hoheit gegenüber ſteht.
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/366>, abgerufen am 24.11.2024.
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