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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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an Häßlichkeit. Es erscheint weniger als Absicht eines be¬
schränkten Egoismus, mehr als Werk eines Irrthums, der
aus den Umständen sich dem Helden aufgedrängt hat, wie
bei Fiesko, Wallenstein, Macbeth, Pugatschef u. s. w. Ma¬
teriell genommen sind die Verbrechen der hohen Tragödie
dieselben, wie in der Sphäre des gemeinen bürgerlichen
Trauerspiels; es ist auch Raub, Mord, Ehebruch, Verrath.
Weshalb aber erscheinen sie edel? Oder, wenn dieser Aus¬
druck zu viel sagen sollte, doch jedenfalls vornehm? Wa¬
rum ist der Diebstahl einer Krone doch etwas Anderes, als
der Diebstahl eines Paars silberner Löffel? Aus keinem
andern Grunde offenbar, als weil die Natur des Objects
ein ganz anderes Pathos nothwendig macht und, einen Kampf
auf Leben und Tod involvirend, uns in Beziehungen hin¬
ausversetzt, die wir bei kleinlich privaten Leidenschaften nicht
haben können.

Das, was im Verbrechen das Unsittliche ist, kann
nicht ins Komische gewendet werden, wenn nicht von seiner
ethischen Bedeutung mehr oder weniger abstrahirt und sein
Geschehen unter andern Gesichtspuncten dargestellt wird.
Es muß nur das intellectuelle Element hervorgehoben werden,
wie z. B. wenn die Lüge als Uebertreibung der unbeherrschten
Phantasie, als Nothlüge, als Schelmerei und Scherz auf¬
tritt, denn in diesem Fall ist ihr die Gravität des ethischen
Elementes von vorn herein genommen und wir ergötzen uns
an ihr lediglich von Seiten des Verstandes. Der soldatische
Großsprecher, wie er bei Plautus und Terentius vorkommt,
begeht kein Verbrechen, wenn er uns als ein an sich sehr
harmloses Subject mit der plumpen Erfindung seiner Auf¬
schneidereien amüsirt, die durch ihre Widersprüche sofort sich
selbst richten. Unmoralisch ist und bleibt die Lüge, aber als

an Häßlichkeit. Es erſcheint weniger als Abſicht eines be¬
ſchränkten Egoismus, mehr als Werk eines Irrthums, der
aus den Umſtänden ſich dem Helden aufgedrängt hat, wie
bei Fiesko, Wallenſtein, Macbeth, Pugatſchef u. ſ. w. Ma¬
teriell genommen ſind die Verbrechen der hohen Tragödie
dieſelben, wie in der Sphäre des gemeinen bürgerlichen
Trauerſpiels; es iſt auch Raub, Mord, Ehebruch, Verrath.
Weshalb aber erſcheinen ſie edel? Oder, wenn dieſer Aus¬
druck zu viel ſagen ſollte, doch jedenfalls vornehm? Wa¬
rum iſt der Diebſtahl einer Krone doch etwas Anderes, als
der Diebſtahl eines Paars ſilberner Löffel? Aus keinem
andern Grunde offenbar, als weil die Natur des Objects
ein ganz anderes Pathos nothwendig macht und, einen Kampf
auf Leben und Tod involvirend, uns in Beziehungen hin¬
ausverſetzt, die wir bei kleinlich privaten Leidenſchaften nicht
haben können.

Das, was im Verbrechen das Unſittliche iſt, kann
nicht ins Komiſche gewendet werden, wenn nicht von ſeiner
ethiſchen Bedeutung mehr oder weniger abſtrahirt und ſein
Geſchehen unter andern Geſichtspuncten dargeſtellt wird.
Es muß nur das intellectuelle Element hervorgehoben werden,
wie z. B. wenn die Lüge als Uebertreibung der unbeherrſchten
Phantaſie, als Nothlüge, als Schelmerei und Scherz auf¬
tritt, denn in dieſem Fall iſt ihr die Gravität des ethiſchen
Elementes von vorn herein genommen und wir ergötzen uns
an ihr lediglich von Seiten des Verſtandes. Der ſoldatiſche
Großſprecher, wie er bei Plautus und Terentius vorkommt,
begeht kein Verbrechen, wenn er uns als ein an ſich ſehr
harmloſes Subject mit der plumpen Erfindung ſeiner Auf¬
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[334/0356] an Häßlichkeit. Es erſcheint weniger als Abſicht eines be¬ ſchränkten Egoismus, mehr als Werk eines Irrthums, der aus den Umſtänden ſich dem Helden aufgedrängt hat, wie bei Fiesko, Wallenſtein, Macbeth, Pugatſchef u. ſ. w. Ma¬ teriell genommen ſind die Verbrechen der hohen Tragödie dieſelben, wie in der Sphäre des gemeinen bürgerlichen Trauerſpiels; es iſt auch Raub, Mord, Ehebruch, Verrath. Weshalb aber erſcheinen ſie edel? Oder, wenn dieſer Aus¬ druck zu viel ſagen ſollte, doch jedenfalls vornehm? Wa¬ rum iſt der Diebſtahl einer Krone doch etwas Anderes, als der Diebſtahl eines Paars ſilberner Löffel? Aus keinem andern Grunde offenbar, als weil die Natur des Objects ein ganz anderes Pathos nothwendig macht und, einen Kampf auf Leben und Tod involvirend, uns in Beziehungen hin¬ ausverſetzt, die wir bei kleinlich privaten Leidenſchaften nicht haben können. Das, was im Verbrechen das Unſittliche iſt, kann nicht ins Komiſche gewendet werden, wenn nicht von ſeiner ethiſchen Bedeutung mehr oder weniger abſtrahirt und ſein Geſchehen unter andern Geſichtspuncten dargeſtellt wird. Es muß nur das intellectuelle Element hervorgehoben werden, wie z. B. wenn die Lüge als Uebertreibung der unbeherrſchten Phantaſie, als Nothlüge, als Schelmerei und Scherz auf¬ tritt, denn in dieſem Fall iſt ihr die Gravität des ethiſchen Elementes von vorn herein genommen und wir ergötzen uns an ihr lediglich von Seiten des Verſtandes. Der ſoldatiſche Großſprecher, wie er bei Plautus und Terentius vorkommt, begeht kein Verbrechen, wenn er uns als ein an ſich ſehr harmloſes Subject mit der plumpen Erfindung ſeiner Auf¬ ſchneidereien amüſirt, die durch ihre Widerſprüche ſofort ſich ſelbſt richten. Unmoraliſch iſt und bleibt die Lüge, aber als

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/356>, abgerufen am 23.11.2024.