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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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lings nicht an Entsetzlichkeiten fehlen lassen und das Elend
des Verbrechers in den nacktesten Farben gemalt, wie z. B.
in jener Scene, wo der Faule auf einer schmuzigen Dach¬
kammer mit einer Dirne im Bette liegt, ein Nachtgeschirr
mitten zwischen Resten eines Mahles steht, eine Katze durch
den Kamin einer Ratte nachspringt, die an dem Lager vor¬
überhuscht und der Faule vor Schrecken auffährt, indessen
die Dirne die gestohlenen Ohrringe mit stumpfsinniger Eitel¬
keit und Freude betrachtet.

Gewöhnlich ist in den Aesthetiken bei dem Begriff des
Tragischen nur von der Tragödie die Rede, allein es sollte
billig seine epische Darstellung, die in der Ballade, im Roman
einen so großen Umfang gewonnen hat, mit herangezogen
werden. Und eben so ist bei dem Tragischen schon ein ge¬
wisser Kreis des Schrecklichen herkömmlich, während derselbe
ein ungleich größerer und vielseitiger ist. Wir haben in Be¬
treff des Verbrechens erstlich das gemeine, schlechthin prosaische
unterschieden, dem sich kaum durch die sorgfältigste Psycho¬
logie ein Interesse abgewinnen läßt, wie Auerbach in
einigen seiner neuen Dorfgeschichten versucht hat. Zweitens
haben wir das Verbrechen unterschieden, wie es aus den
Verwicklungen der bürgerlichen Gesellschaft, aus den Leiden¬
schaften des Egoismus hervorgeht. Drittens das tragische
Verbrechen, dem nämlich in den öffentlichen Zuständen der
Gesellschaft, des Staats und der Kirche, eine Berechtigung
zu Theil wird, die wir selbst einem Richard III. oder Mac¬
beth nicht absprechen können. Je tiefer das Verbrechen mit
den großen Interessen der Gesellschaft des Staats und der
Kirche verschmolzen ist, um so fürchterlicher wird es zwar
durch seine Folgen, die sich auf Tausende erstrecken, allein
um so idealer wird es auch und verliert durch dies Pathos

lings nicht an Entſetzlichkeiten fehlen laſſen und das Elend
des Verbrechers in den nackteſten Farben gemalt, wie z. B.
in jener Scene, wo der Faule auf einer ſchmuzigen Dach¬
kammer mit einer Dirne im Bette liegt, ein Nachtgeſchirr
mitten zwiſchen Reſten eines Mahles ſteht, eine Katze durch
den Kamin einer Ratte nachſpringt, die an dem Lager vor¬
überhuſcht und der Faule vor Schrecken auffährt, indeſſen
die Dirne die geſtohlenen Ohrringe mit ſtumpfſinniger Eitel¬
keit und Freude betrachtet.

Gewöhnlich iſt in den Aeſthetiken bei dem Begriff des
Tragiſchen nur von der Tragödie die Rede, allein es ſollte
billig ſeine epiſche Darſtellung, die in der Ballade, im Roman
einen ſo großen Umfang gewonnen hat, mit herangezogen
werden. Und eben ſo iſt bei dem Tragiſchen ſchon ein ge¬
wiſſer Kreis des Schrecklichen herkömmlich, während derſelbe
ein ungleich größerer und vielſeitiger iſt. Wir haben in Be¬
treff des Verbrechens erſtlich das gemeine, ſchlechthin proſaiſche
unterſchieden, dem ſich kaum durch die ſorgfältigſte Pſycho¬
logie ein Intereſſe abgewinnen läßt, wie Auerbach in
einigen ſeiner neuen Dorfgeſchichten verſucht hat. Zweitens
haben wir das Verbrechen unterſchieden, wie es aus den
Verwicklungen der bürgerlichen Geſellſchaft, aus den Leiden¬
ſchaften des Egoismus hervorgeht. Drittens das tragiſche
Verbrechen, dem nämlich in den öffentlichen Zuſtänden der
Geſellſchaft, des Staats und der Kirche, eine Berechtigung
zu Theil wird, die wir ſelbſt einem Richard III. oder Mac¬
beth nicht abſprechen können. Je tiefer das Verbrechen mit
den großen Intereſſen der Geſellſchaft des Staats und der
Kirche verſchmolzen iſt, um ſo fürchterlicher wird es zwar
durch ſeine Folgen, die ſich auf Tauſende erſtrecken, allein
um ſo idealer wird es auch und verliert durch dies Pathos

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[333/0355] lings nicht an Entſetzlichkeiten fehlen laſſen und das Elend des Verbrechers in den nackteſten Farben gemalt, wie z. B. in jener Scene, wo der Faule auf einer ſchmuzigen Dach¬ kammer mit einer Dirne im Bette liegt, ein Nachtgeſchirr mitten zwiſchen Reſten eines Mahles ſteht, eine Katze durch den Kamin einer Ratte nachſpringt, die an dem Lager vor¬ überhuſcht und der Faule vor Schrecken auffährt, indeſſen die Dirne die geſtohlenen Ohrringe mit ſtumpfſinniger Eitel¬ keit und Freude betrachtet. Gewöhnlich iſt in den Aeſthetiken bei dem Begriff des Tragiſchen nur von der Tragödie die Rede, allein es ſollte billig ſeine epiſche Darſtellung, die in der Ballade, im Roman einen ſo großen Umfang gewonnen hat, mit herangezogen werden. Und eben ſo iſt bei dem Tragiſchen ſchon ein ge¬ wiſſer Kreis des Schrecklichen herkömmlich, während derſelbe ein ungleich größerer und vielſeitiger iſt. Wir haben in Be¬ treff des Verbrechens erſtlich das gemeine, ſchlechthin proſaiſche unterſchieden, dem ſich kaum durch die ſorgfältigſte Pſycho¬ logie ein Intereſſe abgewinnen läßt, wie Auerbach in einigen ſeiner neuen Dorfgeſchichten verſucht hat. Zweitens haben wir das Verbrechen unterſchieden, wie es aus den Verwicklungen der bürgerlichen Geſellſchaft, aus den Leiden¬ ſchaften des Egoismus hervorgeht. Drittens das tragiſche Verbrechen, dem nämlich in den öffentlichen Zuſtänden der Geſellſchaft, des Staats und der Kirche, eine Berechtigung zu Theil wird, die wir ſelbſt einem Richard III. oder Mac¬ beth nicht abſprechen können. Je tiefer das Verbrechen mit den großen Intereſſen der Geſellſchaft des Staats und der Kirche verſchmolzen iſt, um ſo fürchterlicher wird es zwar durch ſeine Folgen, die ſich auf Tauſende erſtrecken, allein um ſo idealer wird es auch und verliert durch dies Pathos

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/355>, abgerufen am 23.11.2024.