thum und Todesqual überwinden. So haben die Maler die Juden in der Wüste gemalt, wie sie, von Krankheit ergriffen, zur ehernen Schlange aufschauen, die Moses auf Jehovah's Geheiß zu ihrer Genesung aufgestellt hat. Hier ist die Krank¬ heit Strafe ihres Murrens wider Gott und Moses, so wie die Heilung vom Biß der feurigen Schlangen der Lohn für ihre Reue. In dem Bilde von Rubens, wie der heilige Rochus die Pestkranken heilt, ist der Uebergang vom Tode zum Leben die Poesie, welche die Schrecken der scheußlichen Krankheit ästhetisch vom Ekel befreiet. Ein treffliches Bild aus dieser Sphäre ist auch das von Gros, Napoleon unter den Pestkranken zu Jaffa. Wie gräßlich sind diese Kranken mit ihren Beulen, mit ihrer lividen Farbe, mit den graubläu¬ lichen und violetten Tinten der Haut, mit dem trocken¬ brennenden Blicke, mit den verzerrten Zügen der Verzweiflung! Aber es sind Männer, Krieger, Franzosen, es sind Soldaten Bonoparte's. Er, ihre Seele, erscheint unter ihnen, scheuet nicht die Gefahr des tückischen, scheußlichsten Todes; er theilt sie, wie er mit ihnen in der Schlacht den Kugelregen getheilt hat. Dieser Gedanke entzückt die Braven. Die matten, dumpfen Köpfe richten sich empor; die halberlöschenden oder fieberhaft funkelnden Blicke wenden sich zu ihm, die schlaffen Arme strecken sich begeistert nach ihm aus, ein seliges Lächeln um¬ spielt nach diesem Genuß die Lippen der Sterbenden -- und mitten unter diesen Grauengestalten steht der Riesenmensch Bonoparte voll Mitgefühl aufrecht und legt seine Hand auf die Beule eines Kranken, der halbnackt sich vor ihm erhoben hat. Und wie schön hat Gros gemalt, daß man aus den Gewölbbogen des Lazareths in das Freie blickt, daß man auf Stadt und Berg und Himmel die von der Schwüle des Krankenlagers entlastende Aussicht hat. Aehnlich, wie
thum und Todesqual überwinden. So haben die Maler die Juden in der Wüſte gemalt, wie ſie, von Krankheit ergriffen, zur ehernen Schlange aufſchauen, die Moſes auf Jehovah's Geheiß zu ihrer Geneſung aufgeſtellt hat. Hier iſt die Krank¬ heit Strafe ihres Murrens wider Gott und Moſes, ſo wie die Heilung vom Biß der feurigen Schlangen der Lohn für ihre Reue. In dem Bilde von Rubens, wie der heilige Rochus die Peſtkranken heilt, iſt der Uebergang vom Tode zum Leben die Poeſie, welche die Schrecken der ſcheußlichen Krankheit äſthetiſch vom Ekel befreiet. Ein treffliches Bild aus dieſer Sphäre iſt auch das von Gros, Napoleon unter den Peſtkranken zu Jaffa. Wie gräßlich ſind dieſe Kranken mit ihren Beulen, mit ihrer lividen Farbe, mit den graubläu¬ lichen und violetten Tinten der Haut, mit dem trocken¬ brennenden Blicke, mit den verzerrten Zügen der Verzweiflung! Aber es ſind Männer, Krieger, Franzoſen, es ſind Soldaten Bonoparte's. Er, ihre Seele, erſcheint unter ihnen, ſcheuet nicht die Gefahr des tückiſchen, ſcheußlichſten Todes; er theilt ſie, wie er mit ihnen in der Schlacht den Kugelregen getheilt hat. Dieſer Gedanke entzückt die Braven. Die matten, dumpfen Köpfe richten ſich empor; die halberlöſchenden oder fieberhaft funkelnden Blicke wenden ſich zu ihm, die ſchlaffen Arme ſtrecken ſich begeiſtert nach ihm aus, ein ſeliges Lächeln um¬ ſpielt nach dieſem Genuß die Lippen der Sterbenden — und mitten unter dieſen Grauengeſtalten ſteht der Rieſenmenſch Bonoparte voll Mitgefühl aufrecht und legt ſeine Hand auf die Beule eines Kranken, der halbnackt ſich vor ihm erhoben hat. Und wie ſchön hat Gros gemalt, daß man aus den Gewölbbogen des Lazareths in das Freie blickt, daß man auf Stadt und Berg und Himmel die von der Schwüle des Krankenlagers entlaſtende Ausſicht hat. Aehnlich, wie
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thum und Todesqual überwinden. So haben die Maler die
Juden in der Wüſte gemalt, wie ſie, von Krankheit ergriffen,
zur ehernen Schlange aufſchauen, die Moſes auf Jehovah's
Geheiß zu ihrer Geneſung aufgeſtellt hat. Hier iſt die Krank¬
heit Strafe ihres Murrens wider Gott und Moſes, ſo wie
die Heilung vom Biß der feurigen Schlangen der Lohn für
ihre Reue. In dem Bilde von Rubens, wie der heilige
Rochus die Peſtkranken heilt, iſt der Uebergang vom Tode
zum Leben die Poeſie, welche die Schrecken der ſcheußlichen
Krankheit äſthetiſch vom Ekel befreiet. Ein treffliches Bild
aus dieſer Sphäre iſt auch das von Gros, Napoleon unter
den Peſtkranken zu Jaffa. Wie gräßlich ſind dieſe Kranken
mit ihren Beulen, mit ihrer lividen Farbe, mit den graubläu¬
lichen und violetten Tinten der Haut, mit dem trocken¬
brennenden Blicke, mit den verzerrten Zügen der Verzweiflung!
Aber es ſind Männer, Krieger, Franzoſen, es ſind Soldaten
Bonoparte's. Er, ihre Seele, erſcheint unter ihnen, ſcheuet
nicht die Gefahr des tückiſchen, ſcheußlichſten Todes; er theilt
ſie, wie er mit ihnen in der Schlacht den Kugelregen getheilt
hat. Dieſer Gedanke entzückt die Braven. Die matten, dumpfen
Köpfe richten ſich empor; die halberlöſchenden oder fieberhaft
funkelnden Blicke wenden ſich zu ihm, die ſchlaffen Arme
ſtrecken ſich begeiſtert nach ihm aus, ein ſeliges Lächeln um¬
ſpielt nach dieſem Genuß die Lippen der Sterbenden — und
mitten unter dieſen Grauengeſtalten ſteht der Rieſenmenſch
Bonoparte voll Mitgefühl aufrecht und legt ſeine Hand auf
die Beule eines Kranken, der halbnackt ſich vor ihm erhoben
hat. Und wie ſchön hat Gros gemalt, daß man aus den
Gewölbbogen des Lazareths in das Freie blickt, daß man
auf Stadt und Berg und Himmel die von der Schwüle des
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/341>, abgerufen am 25.11.2024.
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