heraus den Gegensatz der Aristokratie und Demokratie in allen ihren Formen zu vermitteln, hat zwei unserer vorzüg¬ lichsten Romane befruchtet, das Engelchen von Prutz und die Ritter vom Geist von Gutzkow. Diese Dichter haben ihre großen Erfolge aber nur dadurch erreicht, daß sie von der Tendenz aus sich zum Ideal erhoben haben. Sinkt die Tendenz dagegen zur exclusiven Parteipointe herab, so er¬ tödtet sie durch solche prosaische Absicht unfehlbar die Poesie. Die Tendenz in diesem beschränkten Sinne hat ähnliche Folgen, wie die Allegoristerei. Die Gestalten werden gleich bei der Conception Opfer des Begriffs, um dessen Sieg oder Niederlage es zu thun ist. Ferner tritt das Todtgeborene von Inhalt und Form bei vielen Werken der Sculptur und Malerei durch die akademische Geschultheit, durch das unfreie Anheften an die Posen der Modelle und die Falten der Phantome ein. Statt Kunstwerke zu werden, werden sie blos Machwerke. Der Ausdruck solcher akademischen Gestalten gibt das Gefühl, als verstellten sie sich nur zu ihm. Doch auch von der Musik und Poesie läßt sich Aehnliches bemerken, wenn blos nachahmende, an sich unproductive Mittelmäßig¬ keiten ihre Ohnmacht in unfruchtbaren, innerlich hohlen, äußerlich hölzernen Wiederholungen der Ideen großer Vor¬ bilder prostituiren. Was bei dem Original ein Spiel des frischen Lebens ist, wird in der Copie des Nachahmers zu einer todten Machwerkerei, zum öden Aggregat eines sterilen Eklekticimus. Die lebendige Erfindung entspringt aus ge¬ heimnißvollen Quellen und stürzt wie ein Bergstrom mit Jubelgetön hervor; die Nachahmung schleicht als ein abgeleitetes Gewässer in abgezirkelten Canälen lautlos dahin. Der Er¬ finder wird durch die Offenbarung der Idee selber begeistert; der Nachahmer begeistert sich erst an dieser Begeisterung.
heraus den Gegenſatz der Ariſtokratie und Demokratie in allen ihren Formen zu vermitteln, hat zwei unſerer vorzüg¬ lichſten Romane befruchtet, das Engelchen von Prutz und die Ritter vom Geiſt von Gutzkow. Dieſe Dichter haben ihre großen Erfolge aber nur dadurch erreicht, daß ſie von der Tendenz aus ſich zum Ideal erhoben haben. Sinkt die Tendenz dagegen zur excluſiven Parteipointe herab, ſo er¬ tödtet ſie durch ſolche proſaiſche Abſicht unfehlbar die Poeſie. Die Tendenz in dieſem beſchränkten Sinne hat ähnliche Folgen, wie die Allegoriſterei. Die Geſtalten werden gleich bei der Conception Opfer des Begriffs, um deſſen Sieg oder Niederlage es zu thun iſt. Ferner tritt das Todtgeborene von Inhalt und Form bei vielen Werken der Sculptur und Malerei durch die akademiſche Geſchultheit, durch das unfreie Anheften an die Poſen der Modelle und die Falten der Phantome ein. Statt Kunſtwerke zu werden, werden ſie blos Machwerke. Der Ausdruck ſolcher akademiſchen Geſtalten gibt das Gefühl, als verſtellten ſie ſich nur zu ihm. Doch auch von der Muſik und Poeſie läßt ſich Aehnliches bemerken, wenn blos nachahmende, an ſich unproductive Mittelmäßig¬ keiten ihre Ohnmacht in unfruchtbaren, innerlich hohlen, äußerlich hölzernen Wiederholungen der Ideen großer Vor¬ bilder proſtituiren. Was bei dem Original ein Spiel des friſchen Lebens iſt, wird in der Copie des Nachahmers zu einer todten Machwerkerei, zum öden Aggregat eines ſterilen Eklekticimus. Die lebendige Erfindung entſpringt aus ge¬ heimnißvollen Quellen und ſtürzt wie ein Bergſtrom mit Jubelgetön hervor; die Nachahmung ſchleicht als ein abgeleitetes Gewäſſer in abgezirkelten Canälen lautlos dahin. Der Er¬ finder wird durch die Offenbarung der Idee ſelber begeiſtert; der Nachahmer begeiſtert ſich erſt an dieſer Begeiſterung.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0318"n="296"/>
heraus den Gegenſatz der Ariſtokratie und Demokratie in<lb/>
allen ihren Formen zu vermitteln, hat zwei unſerer vorzüg¬<lb/>
lichſten Romane befruchtet, das <hirendition="#g">Engelchen</hi> von <hirendition="#g">Prutz</hi> und<lb/>
die <hirendition="#g">Ritter vom Geiſt</hi> von <hirendition="#g">Gutzkow</hi>. Dieſe Dichter haben<lb/>
ihre großen Erfolge aber nur dadurch erreicht, daß ſie von<lb/>
der Tendenz aus ſich zum Ideal erhoben haben. Sinkt die<lb/>
Tendenz dagegen zur excluſiven Parteipointe herab, ſo er¬<lb/>
tödtet ſie durch ſolche proſaiſche Abſicht unfehlbar die Poeſie.<lb/>
Die Tendenz in dieſem beſchränkten Sinne hat ähnliche<lb/>
Folgen, wie die Allegoriſterei. Die Geſtalten werden gleich<lb/>
bei der Conception Opfer des Begriffs, um deſſen Sieg oder<lb/>
Niederlage es zu thun iſt. Ferner tritt das Todtgeborene<lb/>
von Inhalt und Form bei vielen Werken der Sculptur und<lb/>
Malerei durch die <hirendition="#g">akademiſche</hi> Geſchultheit, durch das unfreie<lb/>
Anheften an die Poſen der Modelle und die Falten der<lb/>
Phantome ein. Statt Kunſtwerke zu werden, werden ſie<lb/>
blos Machwerke. Der Ausdruck ſolcher akademiſchen Geſtalten<lb/>
gibt das Gefühl, als verſtellten ſie ſich nur zu ihm. Doch<lb/>
auch von der Muſik und Poeſie läßt ſich Aehnliches bemerken,<lb/>
wenn blos <hirendition="#g">nachahmende</hi>, an ſich unproductive Mittelmäßig¬<lb/>
keiten ihre Ohnmacht in unfruchtbaren, innerlich hohlen,<lb/>
äußerlich hölzernen Wiederholungen der Ideen großer Vor¬<lb/>
bilder proſtituiren. Was bei dem Original ein Spiel des<lb/>
friſchen Lebens iſt, wird in der Copie des Nachahmers zu<lb/>
einer todten Machwerkerei, zum öden Aggregat eines ſterilen<lb/>
Eklekticimus. Die lebendige Erfindung entſpringt aus ge¬<lb/>
heimnißvollen Quellen und ſtürzt wie ein Bergſtrom mit<lb/>
Jubelgetön hervor; die Nachahmung ſchleicht als ein abgeleitetes<lb/>
Gewäſſer in abgezirkelten Canälen lautlos dahin. Der Er¬<lb/>
finder wird durch die Offenbarung der Idee ſelber begeiſtert;<lb/>
der Nachahmer begeiſtert ſich erſt an dieſer Begeiſterung.<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[296/0318]
heraus den Gegenſatz der Ariſtokratie und Demokratie in
allen ihren Formen zu vermitteln, hat zwei unſerer vorzüg¬
lichſten Romane befruchtet, das Engelchen von Prutz und
die Ritter vom Geiſt von Gutzkow. Dieſe Dichter haben
ihre großen Erfolge aber nur dadurch erreicht, daß ſie von
der Tendenz aus ſich zum Ideal erhoben haben. Sinkt die
Tendenz dagegen zur excluſiven Parteipointe herab, ſo er¬
tödtet ſie durch ſolche proſaiſche Abſicht unfehlbar die Poeſie.
Die Tendenz in dieſem beſchränkten Sinne hat ähnliche
Folgen, wie die Allegoriſterei. Die Geſtalten werden gleich
bei der Conception Opfer des Begriffs, um deſſen Sieg oder
Niederlage es zu thun iſt. Ferner tritt das Todtgeborene
von Inhalt und Form bei vielen Werken der Sculptur und
Malerei durch die akademiſche Geſchultheit, durch das unfreie
Anheften an die Poſen der Modelle und die Falten der
Phantome ein. Statt Kunſtwerke zu werden, werden ſie
blos Machwerke. Der Ausdruck ſolcher akademiſchen Geſtalten
gibt das Gefühl, als verſtellten ſie ſich nur zu ihm. Doch
auch von der Muſik und Poeſie läßt ſich Aehnliches bemerken,
wenn blos nachahmende, an ſich unproductive Mittelmäßig¬
keiten ihre Ohnmacht in unfruchtbaren, innerlich hohlen,
äußerlich hölzernen Wiederholungen der Ideen großer Vor¬
bilder proſtituiren. Was bei dem Original ein Spiel des
friſchen Lebens iſt, wird in der Copie des Nachahmers zu
einer todten Machwerkerei, zum öden Aggregat eines ſterilen
Eklekticimus. Die lebendige Erfindung entſpringt aus ge¬
heimnißvollen Quellen und ſtürzt wie ein Bergſtrom mit
Jubelgetön hervor; die Nachahmung ſchleicht als ein abgeleitetes
Gewäſſer in abgezirkelten Canälen lautlos dahin. Der Er¬
finder wird durch die Offenbarung der Idee ſelber begeiſtert;
der Nachahmer begeiſtert ſich erſt an dieſer Begeiſterung.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/318>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.