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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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von Vitzliputzli, die so reich an den größten dichterischen
Schönheiten sind, bricht sein Haß gegen daß Christenthum,
gegen das Abendmahl, in folgenden Versen aus:

"Menschenopfer" heißt das Stück
Uralt ist der Stoff, die Fabel;
In der christlichen Behandlung
Ist das Schauspiel nicht so gräßlich,
Denn dem Blute wurde Rothwein,
Und dem Leichnam, welcher vorkam,
Wurde eine harmlos dünne
Mehlbreispeis transsubstituiret --
Wir abstrahiren hier ganz vom religiösen Standpunct; wir
legen nur den ästhetischen Maaßstab an und von ihm aus
verurtheilen wir diese Verse als schlechte Verse, denn was
in ihnen wäre wohl poetisch? Klingen sie nicht, als wären
sie in ihrer Hölzernheit aus Daumers berüchtigter Abhand¬
lung über die christliche Anthropophagie abgeschrieben? Heine
sagt kein Wort des Abscheus, der Verachtung; er referirt
wie ein accurater Historiker; aber welche unermeßliche Frivoli¬
tät liegt nicht in diesen kalten Worten, die sich über ein religiöses
Mysterium auslassen, als ob es ein culinarisches Object wäre!

Einem Dichter kann, wie wir bemerkten, dadurch großes
Unrecht geschehen, daß man ihn nicht im Zusammenhange
auffaßt und ihm da eine Frivolität aufbürdet, wo sie nur
scheinbar vorhanden ist. In den zuvor angeführten Versen
kann die zweite Strophe gänzlich fehlen und das Gedicht
würde nichts verlieren, vielmehr sehr gewinnen. Wir wollen
aber auch aus Heine ein Beispiel geben, wie ihm Unrecht
gethan werden könnte. In einem Gedicht: der Schöpfer
erzählt er, wie Gott die Sonne, Sterne, Ochsen, Löwen,
Katzen geschaffen habe und fährt fort:

von Vitzliputzli, die ſo reich an den größten dichteriſchen
Schönheiten ſind, bricht ſein Haß gegen daß Chriſtenthum,
gegen das Abendmahl, in folgenden Verſen aus:

„Menſchenopfer“ heißt das Stück
Uralt iſt der Stoff, die Fabel;
In der chriſtlichen Behandlung
Iſt das Schauſpiel nicht ſo gräßlich,
Denn dem Blute wurde Rothwein,
Und dem Leichnam, welcher vorkam,
Wurde eine harmlos dünne
Mehlbreiſpeis transſubſtituiret —
Wir abſtrahiren hier ganz vom religiöſen Standpunct; wir
legen nur den äſthetiſchen Maaßſtab an und von ihm aus
verurtheilen wir dieſe Verſe als ſchlechte Verſe, denn was
in ihnen wäre wohl poetiſch? Klingen ſie nicht, als wären
ſie in ihrer Hölzernheit aus Daumers berüchtigter Abhand¬
lung über die chriſtliche Anthropophagie abgeſchrieben? Heine
ſagt kein Wort des Abſcheus, der Verachtung; er referirt
wie ein accurater Hiſtoriker; aber welche unermeßliche Frivoli¬
tät liegt nicht in dieſen kalten Worten, die ſich über ein religiöſes
Myſterium auslaſſen, als ob es ein culinariſches Object wäre!

Einem Dichter kann, wie wir bemerkten, dadurch großes
Unrecht geſchehen, daß man ihn nicht im Zuſammenhange
auffaßt und ihm da eine Frivolität aufbürdet, wo ſie nur
ſcheinbar vorhanden iſt. In den zuvor angeführten Verſen
kann die zweite Strophe gänzlich fehlen und das Gedicht
würde nichts verlieren, vielmehr ſehr gewinnen. Wir wollen
aber auch aus Heine ein Beiſpiel geben, wie ihm Unrecht
gethan werden könnte. In einem Gedicht: der Schöpfer
erzählt er, wie Gott die Sonne, Sterne, Ochſen, Löwen,
Katzen geſchaffen habe und fährt fort:

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[270/0292] von Vitzliputzli, die ſo reich an den größten dichteriſchen Schönheiten ſind, bricht ſein Haß gegen daß Chriſtenthum, gegen das Abendmahl, in folgenden Verſen aus: „Menſchenopfer“ heißt das Stück Uralt iſt der Stoff, die Fabel; In der chriſtlichen Behandlung Iſt das Schauſpiel nicht ſo gräßlich, Denn dem Blute wurde Rothwein, Und dem Leichnam, welcher vorkam, Wurde eine harmlos dünne Mehlbreiſpeis transſubſtituiret — Wir abſtrahiren hier ganz vom religiöſen Standpunct; wir legen nur den äſthetiſchen Maaßſtab an und von ihm aus verurtheilen wir dieſe Verſe als ſchlechte Verſe, denn was in ihnen wäre wohl poetiſch? Klingen ſie nicht, als wären ſie in ihrer Hölzernheit aus Daumers berüchtigter Abhand¬ lung über die chriſtliche Anthropophagie abgeſchrieben? Heine ſagt kein Wort des Abſcheus, der Verachtung; er referirt wie ein accurater Hiſtoriker; aber welche unermeßliche Frivoli¬ tät liegt nicht in dieſen kalten Worten, die ſich über ein religiöſes Myſterium auslaſſen, als ob es ein culinariſches Object wäre! Einem Dichter kann, wie wir bemerkten, dadurch großes Unrecht geſchehen, daß man ihn nicht im Zuſammenhange auffaßt und ihm da eine Frivolität aufbürdet, wo ſie nur ſcheinbar vorhanden iſt. In den zuvor angeführten Verſen kann die zweite Strophe gänzlich fehlen und das Gedicht würde nichts verlieren, vielmehr ſehr gewinnen. Wir wollen aber auch aus Heine ein Beiſpiel geben, wie ihm Unrecht gethan werden könnte. In einem Gedicht: der Schöpfer erzählt er, wie Gott die Sonne, Sterne, Ochſen, Löwen, Katzen geſchaffen habe und fährt fort:

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/292>, abgerufen am 22.11.2024.