decken befiehlt. Die Zweideutigkeit dagegen bewegt sich vor¬ nämlich auf dem Gebiet mehr oder weniger versteckter ge¬ schlechtlicher Anspielungen. Das siebzehnte und das acht¬ zehnte Jahrhundert haben sich denselben außerordentlich über¬ lassen. Ronsard, Voltaire, Crebillon, Gresset u. A. ge¬ hören hieher. Als ein Maximum der damaligen äquivoken Französischen Literatur pflegt immer ein Werk Diderot's angeführt zu werden: les bijoux indiscrets. Man würde sich jedoch sehr irren, wenn man dasselbe nach der Art, wie es gewöhnlich erwähnt wird, in die Classe Sotadischer Er¬ findungen setzen wollte. Die Literarhistoriker pflanzen noth¬ gedrungen Urtheile fort, ohne den Gegenstand derselben zu kennen. Eine gleichsam banale Phrase heftet sich als stereotypes Prädicat einem Buche an. Die bijoux indiscrets sind der Sache nach eine Fortsetzung der Lettres Persanes von Mon¬ tesquieu, eine Satire auf die grenzenlose Liederlichkeit und politische Corruption der Zeit, ein Sittengericht über die geheimsten Laster und Schändlichkeiten der damaligen Gesell¬ schaft, vorgetragen mit allem Geist eines Diderot, aber, es läßt sich nicht leugnen, nicht ohne einen frivolen Einschlags¬ faden, nicht ohne ein gewisses Wohlgefallen an den erotischen Scenen. Diderot hat in dem Sultan Mongogul und in seiner Favoritin Mirzoza die zartesten Verhältnisse den extra¬ vaganten Cynismen, welche durch den Zauberring des weisen Cucufa enthüllt werden, tactvoll gegenübergestellt; er hat Liebe und Zärtlichkeit von Wollust und Gemeinheit streng geschieden; er überschreitet niemals eine gewisse Grenze, sondern bricht ab, wo ein Autor, dem es um Erregung des Sinnenkitzels zu thun gewesen wäre, sich erst recht ver¬ tieft hätte; er läßt durch das ganze Buch die bittre Erkennt¬ niß durchschmecken, die der Sultan selber in die Worte zu¬
decken befiehlt. Die Zweideutigkeit dagegen bewegt ſich vor¬ nämlich auf dem Gebiet mehr oder weniger verſteckter ge¬ ſchlechtlicher Anſpielungen. Das ſiebzehnte und das acht¬ zehnte Jahrhundert haben ſich denſelben außerordentlich über¬ laſſen. Ronſard, Voltaire, Crebillon, Greſſet u. A. ge¬ hören hieher. Als ein Maximum der damaligen äquivoken Franzöſiſchen Literatur pflegt immer ein Werk Diderot's angeführt zu werden: les bijoux indiscrets. Man würde ſich jedoch ſehr irren, wenn man daſſelbe nach der Art, wie es gewöhnlich erwähnt wird, in die Claſſe Sotadiſcher Er¬ findungen ſetzen wollte. Die Literarhiſtoriker pflanzen noth¬ gedrungen Urtheile fort, ohne den Gegenſtand derſelben zu kennen. Eine gleichſam banale Phraſe heftet ſich als ſtereotypes Prädicat einem Buche an. Die bijoux indiscrets ſind der Sache nach eine Fortſetzung der Lettres Persanes von Mon¬ tesquieu, eine Satire auf die grenzenloſe Liederlichkeit und politiſche Corruption der Zeit, ein Sittengericht über die geheimſten Laſter und Schändlichkeiten der damaligen Geſell¬ ſchaft, vorgetragen mit allem Geiſt eines Diderot, aber, es läßt ſich nicht leugnen, nicht ohne einen frivolen Einſchlags¬ faden, nicht ohne ein gewiſſes Wohlgefallen an den erotiſchen Scenen. Diderot hat in dem Sultan Mongogul und in ſeiner Favoritin Mirzoza die zarteſten Verhältniſſe den extra¬ vaganten Cynismen, welche durch den Zauberring des weiſen Cucufa enthüllt werden, tactvoll gegenübergeſtellt; er hat Liebe und Zärtlichkeit von Wolluſt und Gemeinheit ſtreng geſchieden; er überſchreitet niemals eine gewiſſe Grenze, ſondern bricht ab, wo ein Autor, dem es um Erregung des Sinnenkitzels zu thun geweſen wäre, ſich erſt recht ver¬ tieft hätte; er läßt durch das ganze Buch die bittre Erkennt¬ niß durchſchmecken, die der Sultan ſelber in die Worte zu¬
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decken befiehlt. Die Zweideutigkeit dagegen bewegt ſich vor¬
nämlich auf dem Gebiet mehr oder weniger verſteckter ge¬
ſchlechtlicher Anſpielungen. Das ſiebzehnte und das acht¬
zehnte Jahrhundert haben ſich denſelben außerordentlich über¬
laſſen. Ronſard, Voltaire, Crebillon, Greſſet u. A. ge¬
hören hieher. Als ein Maximum der damaligen äquivoken
Franzöſiſchen Literatur pflegt immer ein Werk Diderot's
angeführt zu werden: les bijoux indiscrets. Man würde
ſich jedoch ſehr irren, wenn man daſſelbe nach der Art, wie
es gewöhnlich erwähnt wird, in die Claſſe Sotadiſcher Er¬
findungen ſetzen wollte. Die Literarhiſtoriker pflanzen noth¬
gedrungen Urtheile fort, ohne den Gegenſtand derſelben zu
kennen. Eine gleichſam banale Phraſe heftet ſich als ſtereotypes
Prädicat einem Buche an. Die bijoux indiscrets ſind der
Sache nach eine Fortſetzung der Lettres Persanes von Mon¬
tesquieu, eine Satire auf die grenzenloſe Liederlichkeit und
politiſche Corruption der Zeit, ein Sittengericht über die
geheimſten Laſter und Schändlichkeiten der damaligen Geſell¬
ſchaft, vorgetragen mit allem Geiſt eines Diderot, aber, es
läßt ſich nicht leugnen, nicht ohne einen frivolen Einſchlags¬
faden, nicht ohne ein gewiſſes Wohlgefallen an den erotiſchen
Scenen. Diderot hat in dem Sultan Mongogul und in
ſeiner Favoritin Mirzoza die zarteſten Verhältniſſe den extra¬
vaganten Cynismen, welche durch den Zauberring des weiſen
Cucufa enthüllt werden, tactvoll gegenübergeſtellt; er hat
Liebe und Zärtlichkeit von Wolluſt und Gemeinheit ſtreng
geſchieden; er überſchreitet niemals eine gewiſſe Grenze,
ſondern bricht ab, wo ein Autor, dem es um Erregung des
Sinnenkitzels zu thun geweſen wäre, ſich erſt recht ver¬
tieft hätte; er läßt durch das ganze Buch die bittre Erkennt¬
niß durchſchmecken, die der Sultan ſelber in die Worte zu¬
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/264>, abgerufen am 22.11.2024.
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