sellschaft die unausbleiblichen Consequenzen eines solchen Standpuncts, der nur noch von den halbnackten oder nackten Gestalten in den lebenden Bildern eines Quirinus Müller überboten werden kann. Der Französische Chicard war bis vor einiger Zeit der Gipfel dieser obscönen Tendenz. A. Stahr, Zwei Monate in Paris, 1851, ll., S. 155 beschreibt ihn folgendermaaßen: "Keine Spur von dem Hin¬ gerissensein in den Taumel der Sinne und des Bluts, in jene Trunkenheit der Leidenschaft, die ihre Entschuldigung in sich trägt; keine Ausgelassenheit der Jugend, welche die Ueberfülle der Kraft im wilden Rhythmus der Leibesbewe¬ gung aufjauchzen läßt. Nein, hier war nichts, als kaltes, bewußtes, überlegtes Raffinement des Häßlichen und Nie¬ derträchtigen. Dieser Chicard war der Genius der Polizei¬ sittlichkeit, die sich selbst ironisirt. Die ihm zur Seite stehen¬ den Wächter derselben dienten nur dazu, als Folie den Glanz seiner Triumphe zu erhöhen. Denn alles Interesse beruhte wesentlich darauf, wie weit er es in der Darstellung des Abscheulichen, Sittenlosen zu treiben versuchen werde, ehe diese Wächter der Sittlichkeit sich gesetzlich berechtigt erachteten, seine Kunstleistungen zu unterbrechen, und ihn selbst von dem Schauplatz seiner Triumphe zu entfernen. Es war die Verhöhnung der uniformirten Moral, der betreßten, säbel¬ tragenden Sittlichkeit, des für Geld gemietheten Tugend¬ schutzes, um die sich das ganze Interesse bei diesem Tanze drehete. Der Chicard wagte das Aeußerste und er ging als Sieger hervor." Diese pikante Schilderung ist jedoch sehr einseitig; man vergleiche mit ihr die ausführliche Darstellung vom Chicard durch Taxile Delord in den Francais peints par eux memes, II., p. 361 -- 76, (49). -- Die Griechen mit ihrem tiefen, ethisch wahren Kunstsinn milderten das
ſellſchaft die unausbleiblichen Conſequenzen eines ſolchen Standpuncts, der nur noch von den halbnackten oder nackten Geſtalten in den lebenden Bildern eines Quirinus Müller überboten werden kann. Der Franzöſiſche Chicard war bis vor einiger Zeit der Gipfel dieſer obscönen Tendenz. A. Stahr, Zwei Monate in Paris, 1851, ll., S. 155 beſchreibt ihn folgendermaaßen: „Keine Spur von dem Hin¬ geriſſenſein in den Taumel der Sinne und des Bluts, in jene Trunkenheit der Leidenſchaft, die ihre Entſchuldigung in ſich trägt; keine Ausgelaſſenheit der Jugend, welche die Ueberfülle der Kraft im wilden Rhythmus der Leibesbewe¬ gung aufjauchzen läßt. Nein, hier war nichts, als kaltes, bewußtes, überlegtes Raffinement des Häßlichen und Nie¬ derträchtigen. Dieſer Chicard war der Genius der Polizei¬ ſittlichkeit, die ſich ſelbſt ironiſirt. Die ihm zur Seite ſtehen¬ den Wächter derſelben dienten nur dazu, als Folie den Glanz ſeiner Triumphe zu erhöhen. Denn alles Intereſſe beruhte weſentlich darauf, wie weit er es in der Darſtellung des Abſcheulichen, Sittenloſen zu treiben verſuchen werde, ehe dieſe Wächter der Sittlichkeit ſich geſetzlich berechtigt erachteten, ſeine Kunſtleiſtungen zu unterbrechen, und ihn ſelbſt von dem Schauplatz ſeiner Triumphe zu entfernen. Es war die Verhöhnung der uniformirten Moral, der betreßten, ſäbel¬ tragenden Sittlichkeit, des für Geld gemietheten Tugend¬ ſchutzes, um die ſich das ganze Intereſſe bei dieſem Tanze drehete. Der Chicard wagte das Aeußerſte und er ging als Sieger hervor.“ Dieſe pikante Schilderung iſt jedoch ſehr einſeitig; man vergleiche mit ihr die ausführliche Darſtellung vom Chicard durch Taxile Delord in den Français peints par eux mêmes, II., p. 361 — 76, (49). — Die Griechen mit ihrem tiefen, ethiſch wahren Kunſtſinn milderten das
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ſellſchaft die unausbleiblichen Conſequenzen eines ſolchen
Standpuncts, der nur noch von den halbnackten oder nackten
Geſtalten in den lebenden Bildern eines Quirinus Müller
überboten werden kann. Der Franzöſiſche Chicard war
bis vor einiger Zeit der Gipfel dieſer obscönen Tendenz.
A. Stahr, Zwei Monate in Paris, 1851, ll., S. 155
beſchreibt ihn folgendermaaßen: „Keine Spur von dem Hin¬
geriſſenſein in den Taumel der Sinne und des Bluts, in
jene Trunkenheit der Leidenſchaft, die ihre Entſchuldigung
in ſich trägt; keine Ausgelaſſenheit der Jugend, welche die
Ueberfülle der Kraft im wilden Rhythmus der Leibesbewe¬
gung aufjauchzen läßt. Nein, hier war nichts, als kaltes,
bewußtes, überlegtes Raffinement des Häßlichen und Nie¬
derträchtigen. Dieſer Chicard war der Genius der Polizei¬
ſittlichkeit, die ſich ſelbſt ironiſirt. Die ihm zur Seite ſtehen¬
den Wächter derſelben dienten nur dazu, als Folie den Glanz
ſeiner Triumphe zu erhöhen. Denn alles Intereſſe beruhte
weſentlich darauf, wie weit er es in der Darſtellung des
Abſcheulichen, Sittenloſen zu treiben verſuchen werde, ehe
dieſe Wächter der Sittlichkeit ſich geſetzlich berechtigt erachteten,
ſeine Kunſtleiſtungen zu unterbrechen, und ihn ſelbſt von
dem Schauplatz ſeiner Triumphe zu entfernen. Es war die
Verhöhnung der uniformirten Moral, der betreßten, ſäbel¬
tragenden Sittlichkeit, des für Geld gemietheten Tugend¬
ſchutzes, um die ſich das ganze Intereſſe bei dieſem Tanze
drehete. Der Chicard wagte das Aeußerſte und er ging als
Sieger hervor.“ Dieſe pikante Schilderung iſt jedoch ſehr
einſeitig; man vergleiche mit ihr die ausführliche Darſtellung
vom Chicard durch Taxile Delord in den Français peints
par eux mêmes, II., p. 361 — 76, (49). — Die Griechen
mit ihrem tiefen, ethiſch wahren Kunſtſinn milderten das
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/260>, abgerufen am 25.11.2024.
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