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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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die Katamenien sind es, die ihm doch eine Verhüllung der
Scham aufdrängen. Alle Darstellung der Scham und der
Geschlechtsverhältnisse in Bild oder Wort, welche nicht in
wissenschaftlicher oder ethischer Beziehung, sondern der Lüstern¬
heit halber gemacht wird, ist obscön und häßlich, denn sie
ist eine Profanation der heiligen Mysterien der Natur. Alles
Phallische, obwohl in den Religionen heilig, ist doch,
ästhetisch genommen, häßlich. Alle phallischen Götter sind
häßlich. Der Priap in der Geradlinigkeit seines ausgesteiften
Gliedes ist häßlich. Die Masken der alten und die Moha¬
bazzin
oder Straßenschauspieler der neuen Aegyptier, die mit
beweglichen Gliedern ein obscönes Spiel treiben; oder gar
die Zwergfiguren der Römer mit ihren colossalen männlichen
Gliedern, der Sannio, der Morion, der Drillops, sind
häßlich, denn der Penis einer solchen Figur ist beinahe so
groß, als sie selber (47). -- Ist aber schon die Ostentation
der Schamglieder an sich häßlich, so muß die Häßlichkeit
sich noch steigern, wenn die sexuelle Beziehung in bestimmter
Weise hervortritt, wie z. B. im Indischen Lingam, der den
Phallus in der Yoni d. h. in den weiblichen Schamtheilen
steckend darstellt, was freilich innerhalb des Indischen Cultus
religiös gemeint ist. Wie viele Menschen übrigens auf diesem
Indischen Standpunct auch in Europa stehen, wie sehr die
Phantasie der Menge sich immer mit Phallischen Bildern
befleckt, sieht man in jeder Stadt, wo eine Mauer, ein
Thorweg nur recht frisch und rein angestrichen zu werden
braucht, um schon Tags darauf mit solchen Figuren besudelt
zu sein. Im Mittelalter war es eine Zeitlang sogar üblich,
dem Zuckerwerk des Nachtischs phallische Formen zu geben. --
Alle Priapeischen Bilder, Gedichte und Romane sind daher
häßlich, mit einem wie großen Aufwand von Phantasie,

die Katamenien ſind es, die ihm doch eine Verhüllung der
Scham aufdrängen. Alle Darſtellung der Scham und der
Geſchlechtsverhältniſſe in Bild oder Wort, welche nicht in
wiſſenſchaftlicher oder ethiſcher Beziehung, ſondern der Lüſtern¬
heit halber gemacht wird, iſt obscön und häßlich, denn ſie
iſt eine Profanation der heiligen Myſterien der Natur. Alles
Phalliſche, obwohl in den Religionen heilig, iſt doch,
äſthetiſch genommen, häßlich. Alle phalliſchen Götter ſind
häßlich. Der Priap in der Geradlinigkeit ſeines ausgeſteiften
Gliedes iſt häßlich. Die Masken der alten und die Moha¬
bazzin
oder Straßenſchauſpieler der neuen Aegyptier, die mit
beweglichen Gliedern ein obscönes Spiel treiben; oder gar
die Zwergfiguren der Römer mit ihren coloſſalen männlichen
Gliedern, der Sannio, der Morion, der Drillops, ſind
häßlich, denn der Penis einer ſolchen Figur iſt beinahe ſo
groß, als ſie ſelber (47). — Iſt aber ſchon die Oſtentation
der Schamglieder an ſich häßlich, ſo muß die Häßlichkeit
ſich noch ſteigern, wenn die ſexuelle Beziehung in beſtimmter
Weiſe hervortritt, wie z. B. im Indiſchen Lingam, der den
Phallus in der Yoni d. h. in den weiblichen Schamtheilen
ſteckend darſtellt, was freilich innerhalb des Indiſchen Cultus
religiös gemeint iſt. Wie viele Menſchen übrigens auf dieſem
Indiſchen Standpunct auch in Europa ſtehen, wie ſehr die
Phantaſie der Menge ſich immer mit Phalliſchen Bildern
befleckt, ſieht man in jeder Stadt, wo eine Mauer, ein
Thorweg nur recht friſch und rein angeſtrichen zu werden
braucht, um ſchon Tags darauf mit ſolchen Figuren beſudelt
zu ſein. Im Mittelalter war es eine Zeitlang ſogar üblich,
dem Zuckerwerk des Nachtiſchs phalliſche Formen zu geben. —
Alle Priapeiſchen Bilder, Gedichte und Romane ſind daher
häßlich, mit einem wie großen Aufwand von Phantaſie,

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[236/0258] die Katamenien ſind es, die ihm doch eine Verhüllung der Scham aufdrängen. Alle Darſtellung der Scham und der Geſchlechtsverhältniſſe in Bild oder Wort, welche nicht in wiſſenſchaftlicher oder ethiſcher Beziehung, ſondern der Lüſtern¬ heit halber gemacht wird, iſt obscön und häßlich, denn ſie iſt eine Profanation der heiligen Myſterien der Natur. Alles Phalliſche, obwohl in den Religionen heilig, iſt doch, äſthetiſch genommen, häßlich. Alle phalliſchen Götter ſind häßlich. Der Priap in der Geradlinigkeit ſeines ausgeſteiften Gliedes iſt häßlich. Die Masken der alten und die Moha¬ bazzin oder Straßenſchauſpieler der neuen Aegyptier, die mit beweglichen Gliedern ein obscönes Spiel treiben; oder gar die Zwergfiguren der Römer mit ihren coloſſalen männlichen Gliedern, der Sannio, der Morion, der Drillops, ſind häßlich, denn der Penis einer ſolchen Figur iſt beinahe ſo groß, als ſie ſelber (47). — Iſt aber ſchon die Oſtentation der Schamglieder an ſich häßlich, ſo muß die Häßlichkeit ſich noch ſteigern, wenn die ſexuelle Beziehung in beſtimmter Weiſe hervortritt, wie z. B. im Indiſchen Lingam, der den Phallus in der Yoni d. h. in den weiblichen Schamtheilen ſteckend darſtellt, was freilich innerhalb des Indiſchen Cultus religiös gemeint iſt. Wie viele Menſchen übrigens auf dieſem Indiſchen Standpunct auch in Europa ſtehen, wie ſehr die Phantaſie der Menge ſich immer mit Phalliſchen Bildern befleckt, ſieht man in jeder Stadt, wo eine Mauer, ein Thorweg nur recht friſch und rein angeſtrichen zu werden braucht, um ſchon Tags darauf mit ſolchen Figuren beſudelt zu ſein. Im Mittelalter war es eine Zeitlang ſogar üblich, dem Zuckerwerk des Nachtiſchs phalliſche Formen zu geben. — Alle Priapeiſchen Bilder, Gedichte und Romane ſind daher häßlich, mit einem wie großen Aufwand von Phantaſie,

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/258>, abgerufen am 22.11.2024.