Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

Schwanken, Zaudern darf in ein Wesen eintreten, das auf
Majestät Anspruch macht. Fällt die Majestät in ihrem
Handeln dem Zufall und der Willkür anheim, so wird sie
häßlich. Ihr Handeln muß mühelos, jedoch in seiner Leich¬
tigkeit am rechten Ort, zu rechter Zeit, nothwendig sein,
weshalb ein sogenannter Deus ex machina und Alles, was
ihm ähnlich ist, den Eindruck der Majestät verfehlt. -- Er¬
reicht eine majestätisch sein sollende Existenz in ihrem Handeln
nicht einmal, was sie beabsichtigt, so widerspricht sie damit
der bei ihr vorausgesetzten Sicherheit und wird häßlich oder
komisch. Stellen wir uns einen Löwen vor, der aus einem
Hinterhalt auf eine Gazelle zuspringt, in seinem Sprung
aber sich überbietet, so daß er über sie hinwegspringt,
während sie unter ihm davonläuft, so wird der König der
Thiere lächerlich erscheinen. Auch darf die Majestät in der Form
ihres Handeln sich nicht hasten, weil ihre Autonomie feierlich
auftreten muß. Die im Innern vorhandene absolute Sicher¬
heit muß sich auch in der Ruhe und Gemessenheit des Aeußern
darstellen. Bäume neigen ihre Kronen majestätisch, wenn
sie sich langsam auf und ab beugen; ein Ton ist feierlich,
wenn er sich selbst anhält und in gemessenen Pausen die
Stille wieder unterbricht; ein Schritt ist feierlich, wenn er,
da das Gehen ein aufgehobenes Fallen, den Fuß mehr von
hinten her schleift, als nach vorn hin fallen läßt. Alle Be¬
wegungen daher, welche ein majestätisch sein sollendes Indi¬
viduum als ein unruhiges, hastiges, hin und her gezerrtes
erscheinen lassen, sind häßlich, weil sie der unbedingten
Selbstgewißheit als dem Wesen der Majestät widersprechen.
Auch die Sprache der Majestät wird kurz, lapidarisch, ehern,
maaßvoll sein müssen. Wortfülle, limitirende Wendungen,
eigenen sich nicht für sie; weit eher ein humoristisches Spiel

Schwanken, Zaudern darf in ein Weſen eintreten, das auf
Majeſtät Anſpruch macht. Fällt die Majeſtät in ihrem
Handeln dem Zufall und der Willkür anheim, ſo wird ſie
häßlich. Ihr Handeln muß mühelos, jedoch in ſeiner Leich¬
tigkeit am rechten Ort, zu rechter Zeit, nothwendig ſein,
weshalb ein ſogenannter Deus ex machina und Alles, was
ihm ähnlich iſt, den Eindruck der Majeſtät verfehlt. — Er¬
reicht eine majeſtätiſch ſein ſollende Exiſtenz in ihrem Handeln
nicht einmal, was ſie beabſichtigt, ſo widerſpricht ſie damit
der bei ihr vorausgeſetzten Sicherheit und wird häßlich oder
komiſch. Stellen wir uns einen Löwen vor, der aus einem
Hinterhalt auf eine Gazelle zuſpringt, in ſeinem Sprung
aber ſich überbietet, ſo daß er über ſie hinwegſpringt,
während ſie unter ihm davonläuft, ſo wird der König der
Thiere lächerlich erſcheinen. Auch darf die Majeſtät in der Form
ihres Handeln ſich nicht haſten, weil ihre Autonomie feierlich
auftreten muß. Die im Innern vorhandene abſolute Sicher¬
heit muß ſich auch in der Ruhe und Gemeſſenheit des Aeußern
darſtellen. Bäume neigen ihre Kronen majeſtätiſch, wenn
ſie ſich langſam auf und ab beugen; ein Ton iſt feierlich,
wenn er ſich ſelbſt anhält und in gemeſſenen Pauſen die
Stille wieder unterbricht; ein Schritt iſt feierlich, wenn er,
da das Gehen ein aufgehobenes Fallen, den Fuß mehr von
hinten her ſchleift, als nach vorn hin fallen läßt. Alle Be¬
wegungen daher, welche ein majeſtätiſch ſein ſollendes Indi¬
viduum als ein unruhiges, haſtiges, hin und her gezerrtes
erſcheinen laſſen, ſind häßlich, weil ſie der unbedingten
Selbſtgewißheit als dem Weſen der Majeſtät widerſprechen.
Auch die Sprache der Majeſtät wird kurz, lapidariſch, ehern,
maaßvoll ſein müſſen. Wortfülle, limitirende Wendungen,
eigenen ſich nicht für ſie; weit eher ein humoriſtiſches Spiel

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0237" n="215"/>
Schwanken, Zaudern darf in ein We&#x017F;en eintreten, das auf<lb/>
Maje&#x017F;tät An&#x017F;pruch macht. Fällt die Maje&#x017F;tät in ihrem<lb/>
Handeln dem Zufall und der Willkür anheim, &#x017F;o wird &#x017F;ie<lb/>
häßlich. Ihr Handeln muß mühelos, jedoch in &#x017F;einer Leich¬<lb/>
tigkeit am rechten Ort, zu rechter Zeit, nothwendig &#x017F;ein,<lb/>
weshalb ein &#x017F;ogenannter <hi rendition="#aq">Deus ex machina</hi> und Alles, was<lb/>
ihm ähnlich i&#x017F;t, den Eindruck der Maje&#x017F;tät verfehlt. &#x2014; Er¬<lb/>
reicht eine maje&#x017F;täti&#x017F;ch &#x017F;ein &#x017F;ollende Exi&#x017F;tenz in ihrem Handeln<lb/>
nicht einmal, was &#x017F;ie beab&#x017F;ichtigt, &#x017F;o wider&#x017F;pricht &#x017F;ie damit<lb/>
der bei ihr vorausge&#x017F;etzten Sicherheit und wird häßlich oder<lb/>
komi&#x017F;ch. Stellen wir uns einen Löwen vor, der aus einem<lb/>
Hinterhalt auf eine Gazelle zu&#x017F;pringt, in &#x017F;einem Sprung<lb/>
aber &#x017F;ich überbietet, &#x017F;o daß er über &#x017F;ie hinweg&#x017F;pringt,<lb/>
während &#x017F;ie unter ihm davonläuft, &#x017F;o wird der König der<lb/>
Thiere lächerlich er&#x017F;cheinen. Auch darf die Maje&#x017F;tät in der Form<lb/>
ihres Handeln &#x017F;ich nicht ha&#x017F;ten, weil ihre Autonomie feierlich<lb/>
auftreten muß. Die im Innern vorhandene ab&#x017F;olute Sicher¬<lb/>
heit muß &#x017F;ich auch in der Ruhe und Geme&#x017F;&#x017F;enheit des Aeußern<lb/>
dar&#x017F;tellen. Bäume neigen ihre Kronen maje&#x017F;täti&#x017F;ch, wenn<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich lang&#x017F;am auf und ab beugen; ein Ton i&#x017F;t feierlich,<lb/>
wenn er &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t anhält und in geme&#x017F;&#x017F;enen Pau&#x017F;en die<lb/>
Stille wieder unterbricht; ein Schritt i&#x017F;t feierlich, wenn er,<lb/>
da das Gehen ein aufgehobenes Fallen, den Fuß mehr von<lb/>
hinten her &#x017F;chleift, als nach vorn hin fallen läßt. Alle Be¬<lb/>
wegungen daher, welche ein maje&#x017F;täti&#x017F;ch &#x017F;ein &#x017F;ollendes Indi¬<lb/>
viduum als ein unruhiges, ha&#x017F;tiges, hin und her gezerrtes<lb/>
er&#x017F;cheinen la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ind häßlich, weil &#x017F;ie der unbedingten<lb/>
Selb&#x017F;tgewißheit als dem We&#x017F;en der Maje&#x017F;tät wider&#x017F;prechen.<lb/>
Auch die Sprache der Maje&#x017F;tät wird kurz, lapidari&#x017F;ch, ehern,<lb/>
maaßvoll &#x017F;ein mü&#x017F;&#x017F;en. Wortfülle, limitirende Wendungen,<lb/>
eigenen &#x017F;ich nicht für &#x017F;ie; weit eher ein humori&#x017F;ti&#x017F;ches Spiel<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[215/0237] Schwanken, Zaudern darf in ein Weſen eintreten, das auf Majeſtät Anſpruch macht. Fällt die Majeſtät in ihrem Handeln dem Zufall und der Willkür anheim, ſo wird ſie häßlich. Ihr Handeln muß mühelos, jedoch in ſeiner Leich¬ tigkeit am rechten Ort, zu rechter Zeit, nothwendig ſein, weshalb ein ſogenannter Deus ex machina und Alles, was ihm ähnlich iſt, den Eindruck der Majeſtät verfehlt. — Er¬ reicht eine majeſtätiſch ſein ſollende Exiſtenz in ihrem Handeln nicht einmal, was ſie beabſichtigt, ſo widerſpricht ſie damit der bei ihr vorausgeſetzten Sicherheit und wird häßlich oder komiſch. Stellen wir uns einen Löwen vor, der aus einem Hinterhalt auf eine Gazelle zuſpringt, in ſeinem Sprung aber ſich überbietet, ſo daß er über ſie hinwegſpringt, während ſie unter ihm davonläuft, ſo wird der König der Thiere lächerlich erſcheinen. Auch darf die Majeſtät in der Form ihres Handeln ſich nicht haſten, weil ihre Autonomie feierlich auftreten muß. Die im Innern vorhandene abſolute Sicher¬ heit muß ſich auch in der Ruhe und Gemeſſenheit des Aeußern darſtellen. Bäume neigen ihre Kronen majeſtätiſch, wenn ſie ſich langſam auf und ab beugen; ein Ton iſt feierlich, wenn er ſich ſelbſt anhält und in gemeſſenen Pauſen die Stille wieder unterbricht; ein Schritt iſt feierlich, wenn er, da das Gehen ein aufgehobenes Fallen, den Fuß mehr von hinten her ſchleift, als nach vorn hin fallen läßt. Alle Be¬ wegungen daher, welche ein majeſtätiſch ſein ſollendes Indi¬ viduum als ein unruhiges, haſtiges, hin und her gezerrtes erſcheinen laſſen, ſind häßlich, weil ſie der unbedingten Selbſtgewißheit als dem Weſen der Majeſtät widerſprechen. Auch die Sprache der Majeſtät wird kurz, lapidariſch, ehern, maaßvoll ſein müſſen. Wortfülle, limitirende Wendungen, eigenen ſich nicht für ſie; weit eher ein humoriſtiſches Spiel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/237
Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/237>, abgerufen am 24.11.2024.