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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Höhen und Tiefen schilderte, so wenig schlechte Tautologieen,
als für Raphael seine Madonnen, als für Byron seine
düstern Helden, als für Lysippus seine Bildsäulen des gött¬
lichen Alexander u. s. w. Die Mittelmäßigkeit oder gar die
völlige Ohnmacht wiederholt das schon Geschaffene ohne Fort¬
schritt, ohne productive Vertiefung und entgeistert uns durch
ihre von ihr selbst unerkannte Gewöhnlichkeit eben so sehr,
als das wahre Genie uns durch die einfache Ursprünglichkeit
seiner Compositionen begeistert.

Hat die Mittelmäßigkeit eine wiewohl uneingestandene
Ahnung von der Gewöhnlichkeit ihrer Leistungen, so schmückt
sie dieselben wohl, um die Plattheit zu verbergen, mit hete¬
rogenen Reizmitteln. Der Erfolg ihrer Anwendung wird
jedoch nur sein, die Flachheit der Conception, die Armuth
der Ausführung, um so fühlbarer zu machen. Heut zu Tage
betrügen sich Dichterlinge vorzüglich mit dem gefährlichen
Lobe, das ihnen wohl gezollt wird, geistreich zu sein.
Wirklicher Reichthum des Geistes, gewonnen aus der Weite
vielseitiger Erfahrung, aus der Tiefe gewaltiger Kämpfe,
wie selten ist er nicht! Wie gewöhnlich dagegen ist jenes
Halbgemisch von Anschauung und Reflexion, von Poesie und
Philosophie geworden, dessen verworrene Buntheit man heut
zu Tage geistreich zu nennen beliebt. Die Impotenz hat
jetzt an der dialektischen Reflexion das Mittel, den Schein
des schöpferischen Producirens einen Augenblick hindurch
vorzutäuschen.

Daß das Gewöhnliche sich selbst richtet, indem es durch
seine Uebertreibung komisch wird, erhellt schon aus dem Ge¬
sagten. Allein von der Komik, welcher es objectiv und un¬
willkürlich verfällt, ist diejenige Komik zu unterscheiden, welche
die Leerheit des Gewöhnlichen mit Bewußtsein parodirt. Wenn

Höhen und Tiefen ſchilderte, ſo wenig ſchlechte Tautologieen,
als für Raphael ſeine Madonnen, als für Byron ſeine
düſtern Helden, als für Lyſippus ſeine Bildſäulen des gött¬
lichen Alexander u. ſ. w. Die Mittelmäßigkeit oder gar die
völlige Ohnmacht wiederholt das ſchon Geſchaffene ohne Fort¬
ſchritt, ohne productive Vertiefung und entgeiſtert uns durch
ihre von ihr ſelbſt unerkannte Gewöhnlichkeit eben ſo ſehr,
als das wahre Genie uns durch die einfache Urſprünglichkeit
ſeiner Compoſitionen begeiſtert.

Hat die Mittelmäßigkeit eine wiewohl uneingeſtandene
Ahnung von der Gewöhnlichkeit ihrer Leiſtungen, ſo ſchmückt
ſie dieſelben wohl, um die Plattheit zu verbergen, mit hete¬
rogenen Reizmitteln. Der Erfolg ihrer Anwendung wird
jedoch nur ſein, die Flachheit der Conception, die Armuth
der Ausführung, um ſo fühlbarer zu machen. Heut zu Tage
betrügen ſich Dichterlinge vorzüglich mit dem gefährlichen
Lobe, das ihnen wohl gezollt wird, geiſtreich zu ſein.
Wirklicher Reichthum des Geiſtes, gewonnen aus der Weite
vielſeitiger Erfahrung, aus der Tiefe gewaltiger Kämpfe,
wie ſelten iſt er nicht! Wie gewöhnlich dagegen iſt jenes
Halbgemiſch von Anſchauung und Reflexion, von Poeſie und
Philoſophie geworden, deſſen verworrene Buntheit man heut
zu Tage geiſtreich zu nennen beliebt. Die Impotenz hat
jetzt an der dialektiſchen Reflexion das Mittel, den Schein
des ſchöpferiſchen Producirens einen Augenblick hindurch
vorzutäuſchen.

Daß das Gewöhnliche ſich ſelbſt richtet, indem es durch
ſeine Uebertreibung komiſch wird, erhellt ſchon aus dem Ge¬
ſagten. Allein von der Komik, welcher es objectiv und un¬
willkürlich verfällt, iſt diejenige Komik zu unterſcheiden, welche
die Leerheit des Gewöhnlichen mit Bewußtſein parodirt. Wenn

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[207/0229] Höhen und Tiefen ſchilderte, ſo wenig ſchlechte Tautologieen, als für Raphael ſeine Madonnen, als für Byron ſeine düſtern Helden, als für Lyſippus ſeine Bildſäulen des gött¬ lichen Alexander u. ſ. w. Die Mittelmäßigkeit oder gar die völlige Ohnmacht wiederholt das ſchon Geſchaffene ohne Fort¬ ſchritt, ohne productive Vertiefung und entgeiſtert uns durch ihre von ihr ſelbſt unerkannte Gewöhnlichkeit eben ſo ſehr, als das wahre Genie uns durch die einfache Urſprünglichkeit ſeiner Compoſitionen begeiſtert. Hat die Mittelmäßigkeit eine wiewohl uneingeſtandene Ahnung von der Gewöhnlichkeit ihrer Leiſtungen, ſo ſchmückt ſie dieſelben wohl, um die Plattheit zu verbergen, mit hete¬ rogenen Reizmitteln. Der Erfolg ihrer Anwendung wird jedoch nur ſein, die Flachheit der Conception, die Armuth der Ausführung, um ſo fühlbarer zu machen. Heut zu Tage betrügen ſich Dichterlinge vorzüglich mit dem gefährlichen Lobe, das ihnen wohl gezollt wird, geiſtreich zu ſein. Wirklicher Reichthum des Geiſtes, gewonnen aus der Weite vielſeitiger Erfahrung, aus der Tiefe gewaltiger Kämpfe, wie ſelten iſt er nicht! Wie gewöhnlich dagegen iſt jenes Halbgemiſch von Anſchauung und Reflexion, von Poeſie und Philoſophie geworden, deſſen verworrene Buntheit man heut zu Tage geiſtreich zu nennen beliebt. Die Impotenz hat jetzt an der dialektiſchen Reflexion das Mittel, den Schein des ſchöpferiſchen Producirens einen Augenblick hindurch vorzutäuſchen. Daß das Gewöhnliche ſich ſelbſt richtet, indem es durch ſeine Uebertreibung komiſch wird, erhellt ſchon aus dem Ge¬ ſagten. Allein von der Komik, welcher es objectiv und un¬ willkürlich verfällt, iſt diejenige Komik zu unterſcheiden, welche die Leerheit des Gewöhnlichen mit Bewußtſein parodirt. Wenn

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/229>, abgerufen am 25.11.2024.