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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Stenio, wie George Sand sie gleichsam daguerrotypirt,
haben auch ihr Recht zur Darstellung. Aber etwas Anderes
ist es, wenn die Darstellung selber schwächlich ist, wenn also
vorzüglich da, wo Kraft erwartet werden sollte, unmächtige,
schwache, matte Formen erscheinen. Dies ist ein entschiedener
Fehler, der zu derjenigen Auflösung der ästhetischen Gestalt
führt, die wir früher als das Undulistische und Nebulistische
kennen gelernt haben und die von einer jeden Kunst nach
der Eigenthümlichkeit ihres Elementes specificirt wird.

Da Schwächlichkeit im negativen Sinn und Stärke
einander entgegengesetzt sind, so kann es die Kunst reizen,
den Uebergang von der einen zur andern darzustellen. Dies
mit psychologischer Wahrheit zu thun, ist eine sehr schwere
Aufgabe, die in der Regel nur großen Künstlern wahrhaft
gelingt. Iffland und Kotzebue, die dramatischen Ver¬
herrlicher der Schwäche, haben uns viele Scheinübergänge ge¬
geben. Byron hat merkwürdiger Weise Göthe zwei Dramen
gewidmet, die zu ihrem Gegenstande die Schwäche haben,
den Sardanapal und den Irner. Im Sardanapal erhebt
sich eine an sich edle, aber zu weiche, humane, aber zu
nachsichtige Natur, von sorglos heiterer Hingebung an den
Genuß des Lebens Schritt um Schritt zur wahrhaft könig¬
lichen Würde, zum Heldenmuth, zur Tapferkeit, zur Er¬
habenheit des Opfertodes; ein Seelengemälde von so unver¬
gleichlicher Tiefe und Schönheit, daß es völlig räthselhaft
bleibt, warum keine Bühne uns dasselbe vorführt. Im
Irner hat der Dichter dagegen gezeigt, wie eine an sich
ebenfalls edle Natur durch ihre Schwäche bis zur Gemein¬
heit fortgerissen wird und nun das ganze übrige Leben an
der schamvollen Erinnerung ihres Vergehens würgt. Irner,
in großer Noth, stiehlt seinem schlummernden Todfeind hundert

Stenio, wie George Sand ſie gleichſam daguerrotypirt,
haben auch ihr Recht zur Darſtellung. Aber etwas Anderes
iſt es, wenn die Darſtellung ſelber ſchwächlich iſt, wenn alſo
vorzüglich da, wo Kraft erwartet werden ſollte, unmächtige,
ſchwache, matte Formen erſcheinen. Dies iſt ein entſchiedener
Fehler, der zu derjenigen Auflöſung der äſthetiſchen Geſtalt
führt, die wir früher als das Unduliſtiſche und Nebuliſtiſche
kennen gelernt haben und die von einer jeden Kunſt nach
der Eigenthümlichkeit ihres Elementes ſpecificirt wird.

Da Schwächlichkeit im negativen Sinn und Stärke
einander entgegengeſetzt ſind, ſo kann es die Kunſt reizen,
den Uebergang von der einen zur andern darzuſtellen. Dies
mit pſychologiſcher Wahrheit zu thun, iſt eine ſehr ſchwere
Aufgabe, die in der Regel nur großen Künſtlern wahrhaft
gelingt. Iffland und Kotzebue, die dramatiſchen Ver¬
herrlicher der Schwäche, haben uns viele Scheinübergänge ge¬
geben. Byron hat merkwürdiger Weiſe Göthe zwei Dramen
gewidmet, die zu ihrem Gegenſtande die Schwäche haben,
den Sardanapal und den Irner. Im Sardanapal erhebt
ſich eine an ſich edle, aber zu weiche, humane, aber zu
nachſichtige Natur, von ſorglos heiterer Hingebung an den
Genuß des Lebens Schritt um Schritt zur wahrhaft könig¬
lichen Würde, zum Heldenmuth, zur Tapferkeit, zur Er¬
habenheit des Opfertodes; ein Seelengemälde von ſo unver¬
gleichlicher Tiefe und Schönheit, daß es völlig räthſelhaft
bleibt, warum keine Bühne uns daſſelbe vorführt. Im
Irner hat der Dichter dagegen gezeigt, wie eine an ſich
ebenfalls edle Natur durch ihre Schwäche bis zur Gemein¬
heit fortgeriſſen wird und nun das ganze übrige Leben an
der ſchamvollen Erinnerung ihres Vergehens würgt. Irner,
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[194/0216] Stenio, wie George Sand ſie gleichſam daguerrotypirt, haben auch ihr Recht zur Darſtellung. Aber etwas Anderes iſt es, wenn die Darſtellung ſelber ſchwächlich iſt, wenn alſo vorzüglich da, wo Kraft erwartet werden ſollte, unmächtige, ſchwache, matte Formen erſcheinen. Dies iſt ein entſchiedener Fehler, der zu derjenigen Auflöſung der äſthetiſchen Geſtalt führt, die wir früher als das Unduliſtiſche und Nebuliſtiſche kennen gelernt haben und die von einer jeden Kunſt nach der Eigenthümlichkeit ihres Elementes ſpecificirt wird. Da Schwächlichkeit im negativen Sinn und Stärke einander entgegengeſetzt ſind, ſo kann es die Kunſt reizen, den Uebergang von der einen zur andern darzuſtellen. Dies mit pſychologiſcher Wahrheit zu thun, iſt eine ſehr ſchwere Aufgabe, die in der Regel nur großen Künſtlern wahrhaft gelingt. Iffland und Kotzebue, die dramatiſchen Ver¬ herrlicher der Schwäche, haben uns viele Scheinübergänge ge¬ geben. Byron hat merkwürdiger Weiſe Göthe zwei Dramen gewidmet, die zu ihrem Gegenſtande die Schwäche haben, den Sardanapal und den Irner. Im Sardanapal erhebt ſich eine an ſich edle, aber zu weiche, humane, aber zu nachſichtige Natur, von ſorglos heiterer Hingebung an den Genuß des Lebens Schritt um Schritt zur wahrhaft könig¬ lichen Würde, zum Heldenmuth, zur Tapferkeit, zur Er¬ habenheit des Opfertodes; ein Seelengemälde von ſo unver¬ gleichlicher Tiefe und Schönheit, daß es völlig räthſelhaft bleibt, warum keine Bühne uns daſſelbe vorführt. Im Irner hat der Dichter dagegen gezeigt, wie eine an ſich ebenfalls edle Natur durch ihre Schwäche bis zur Gemein¬ heit fortgeriſſen wird und nun das ganze übrige Leben an der ſchamvollen Erinnerung ihres Vergehens würgt. Irner, in großer Noth, ſtiehlt ſeinem ſchlummernden Todfeind hundert

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/216>, abgerufen am 24.11.2024.