zu machen. Leichtsinn, Schwanken, Inconsequenz, Zaudern, Vergessenheit, unzeitige Nachgibigkeit, voreiliges Handeln, dürfen allerdings nicht als etwas hingestellt werden, das an sich selber recht oder liebenswürdig wäre. Die Liebenswür¬ digkeit muß in den Geist, in die Phantasie, in das persön¬ liche Benehmen verlegt werden; die Schwächlichkeit des Willens muß durch die Beschaffenheit des Temperaments, durch die Schwierigkeit der Verhältnisse, durch die Möglich¬ keit, mit einem entschiedenen Handeln nach andern Seiten hin Unrecht zu thun, entschuldigt, sie darf aber nicht gerecht¬ fertigt werden. Die Schönseligkeit der moralischen Schwäche ist immer dicht daran, in die Niedrigkeit zu verfallen, die zum wirklichen Verbrechen wird; es kommt, wie die Xenien sagen, nur auf die Gelegenheit an. Sie wird sophistisch, sich vor sich selbst als edel hinzustellen, aber in dieser Sophisterei wird sie oft das Scheußlichste hervorbringen helfen. Aus Bequem¬ lichkeit, aus Trägheit, aus Mangel an Muth, aus Eitelkeit, sinkt sie der Sache nach in das Gemeine herunter und erträgt eine Abhängigkeit von einem fremden Willen, den sie vielleicht verabscheut, den sie aber aus anderweiten egoistischen Rück¬ sichten anerkennt. Solche Erniedrigung verhüllt sie sich durch ein psychologisches Raisonnement, durch Fiction von Krank¬ heit, durch Annahme eines grausamen Schicksals, gegen dessen Nothwendigkeit der Einzelne unvermögend sei. Man muß aber unterscheiden zwischen der Schwäche, wie sie Gegenstand der Darstellung ist, und zwischen der Schwächlichkeit, wie sie ein Fehler der ästhetischen Behandlung wird. Die Schwäche darzustellen, muß erlaubt sein. Die Werther, die Weis¬ lingen, die Brackenburg, die Fernando's, die Eduarde, wie Göthe sie schildert; die Woldemar, wie Jacobi, die Roquairol, wie Jean Paul sie malt; die Andre und
Rosenkranz, Aesthetik des Häßlichen. 13
zu machen. Leichtſinn, Schwanken, Inconſequenz, Zaudern, Vergeſſenheit, unzeitige Nachgibigkeit, voreiliges Handeln, dürfen allerdings nicht als etwas hingeſtellt werden, das an ſich ſelber recht oder liebenswürdig wäre. Die Liebenswür¬ digkeit muß in den Geiſt, in die Phantaſie, in das perſön¬ liche Benehmen verlegt werden; die Schwächlichkeit des Willens muß durch die Beſchaffenheit des Temperaments, durch die Schwierigkeit der Verhältniſſe, durch die Möglich¬ keit, mit einem entſchiedenen Handeln nach andern Seiten hin Unrecht zu thun, entſchuldigt, ſie darf aber nicht gerecht¬ fertigt werden. Die Schönſeligkeit der moraliſchen Schwäche iſt immer dicht daran, in die Niedrigkeit zu verfallen, die zum wirklichen Verbrechen wird; es kommt, wie die Xenien ſagen, nur auf die Gelegenheit an. Sie wird ſophiſtiſch, ſich vor ſich ſelbſt als edel hinzuſtellen, aber in dieſer Sophiſterei wird ſie oft das Scheußlichſte hervorbringen helfen. Aus Bequem¬ lichkeit, aus Trägheit, aus Mangel an Muth, aus Eitelkeit, ſinkt ſie der Sache nach in das Gemeine herunter und erträgt eine Abhängigkeit von einem fremden Willen, den ſie vielleicht verabſcheut, den ſie aber aus anderweiten egoiſtiſchen Rück¬ ſichten anerkennt. Solche Erniedrigung verhüllt ſie ſich durch ein pſychologiſches Raiſonnement, durch Fiction von Krank¬ heit, durch Annahme eines grauſamen Schickſals, gegen deſſen Nothwendigkeit der Einzelne unvermögend ſei. Man muß aber unterſcheiden zwiſchen der Schwäche, wie ſie Gegenſtand der Darſtellung iſt, und zwiſchen der Schwächlichkeit, wie ſie ein Fehler der äſthetiſchen Behandlung wird. Die Schwäche darzuſtellen, muß erlaubt ſein. Die Werther, die Weis¬ lingen, die Brackenburg, die Fernando's, die Eduarde, wie Göthe ſie ſchildert; die Woldemar, wie Jacobi, die Roquairol, wie Jean Paul ſie malt; die André und
Roſenkranz, Aeſthetik des Häßlichen. 13
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zu machen. Leichtſinn, Schwanken, Inconſequenz, Zaudern,
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dürfen allerdings nicht als etwas hingeſtellt werden, das an
ſich ſelber recht oder liebenswürdig wäre. Die Liebenswür¬
digkeit muß in den Geiſt, in die Phantaſie, in das perſön¬
liche Benehmen verlegt werden; die Schwächlichkeit des
Willens muß durch die Beſchaffenheit des Temperaments,
durch die Schwierigkeit der Verhältniſſe, durch die Möglich¬
keit, mit einem entſchiedenen Handeln nach andern Seiten
hin Unrecht zu thun, entſchuldigt, ſie darf aber nicht gerecht¬
fertigt werden. Die Schönſeligkeit der moraliſchen Schwäche
iſt immer dicht daran, in die Niedrigkeit zu verfallen, die zum
wirklichen Verbrechen wird; es kommt, wie die Xenien ſagen,
nur auf die Gelegenheit an. Sie wird ſophiſtiſch, ſich vor
ſich ſelbſt als edel hinzuſtellen, aber in dieſer Sophiſterei wird
ſie oft das Scheußlichſte hervorbringen helfen. Aus Bequem¬
lichkeit, aus Trägheit, aus Mangel an Muth, aus Eitelkeit,
ſinkt ſie der Sache nach in das Gemeine herunter und erträgt
eine Abhängigkeit von einem fremden Willen, den ſie vielleicht
verabſcheut, den ſie aber aus anderweiten egoiſtiſchen Rück¬
ſichten anerkennt. Solche Erniedrigung verhüllt ſie ſich durch
ein pſychologiſches Raiſonnement, durch Fiction von Krank¬
heit, durch Annahme eines grauſamen Schickſals, gegen deſſen
Nothwendigkeit der Einzelne unvermögend ſei. Man muß
aber unterſcheiden zwiſchen der Schwäche, wie ſie Gegenſtand
der Darſtellung iſt, und zwiſchen der Schwächlichkeit, wie
ſie ein Fehler der äſthetiſchen Behandlung wird. Die Schwäche
darzuſtellen, muß erlaubt ſein. Die Werther, die Weis¬
lingen, die Brackenburg, die Fernando's, die Eduarde, wie
Göthe ſie ſchildert; die Woldemar, wie Jacobi, die
Roquairol, wie Jean Paul ſie malt; die Andr é und
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/215>, abgerufen am 24.11.2024.
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