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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Mutter will dies die Kinder nicht lassen; das eine, ein
Säugling, umschlingt die Brust; das andere hängt sich an
die Haare der Mutter; schon hat diese den Fuß auf den
Felsrand gesetzt, allein die Last ist zu groß, der Ast wird
gänzlich brechen -- und alle werden ihr Grab gemeinsam
finden; noch im Tode wird die Familie Eines sein. Das
Thier kann in solchen Situationen nur den Instinct der
Selbsterhaltung ohne jede andere Rücksicht walten lassen,
wie ein neuerer Deutscher Maler uns z. B. einen Waldbrand
gemalt hat. Mit nimmersattem Rachen verzehrt das Feuer
Sträucher und Bäume und scheucht die Thiere aus ihren
Lagern auf; in dichten Schaaren mit gesträubtem Haar, mit
schreckentflammtem Blick, mit lechzender Zunge, stürzen sie
hervor und scheinen ihre sonstige Natur vergessen zu haben,
indem Bär und Büffel, Panther und Reh, Wolf und
Schaaf, neben einander im großen Knäuel eine von der all¬
gemeinen Gefahr erzwungene Friedfertigkeit athmen. Im
Entsetzen dieser fliehenden Bestien malt sich die Wuth des
höllischen Elementes.

Thiere im Kampf mit einander können nur dann er¬
haben werden, wenn sie groß sind. Ein kleines Thier kann
sehr stark und muthig sein, allein seine Kraft kann nicht
den Schein sich aus sich selbst erzeugender und sich in sich er¬
neuernder Unendlichkeit gewinnen. Ein Hahnenkampf ist nichts
Erhabenes. Der Gegenkampf kleinerer und schwächerer
Thiere gegen größere und stärkere eben so wenig. Die Maus
unter den Tatzen der Katze, der Hase in den Klauen des
Geiers, die Taube unter den Zähnen des Marders zittern
ihrem gewissen Untergange entgegen. Man kann sie darin
auch nicht häßlich nennen, denn der Kampf ist ungleich. --
Der Naturmacht gegenüber sollte der Mensch seine Freiheit

Mutter will dies die Kinder nicht laſſen; das eine, ein
Säugling, umſchlingt die Bruſt; das andere hängt ſich an
die Haare der Mutter; ſchon hat dieſe den Fuß auf den
Felsrand geſetzt, allein die Laſt iſt zu groß, der Aſt wird
gänzlich brechen — und alle werden ihr Grab gemeinſam
finden; noch im Tode wird die Familie Eines ſein. Das
Thier kann in ſolchen Situationen nur den Inſtinct der
Selbſterhaltung ohne jede andere Rückſicht walten laſſen,
wie ein neuerer Deutſcher Maler uns z. B. einen Waldbrand
gemalt hat. Mit nimmerſattem Rachen verzehrt das Feuer
Sträucher und Bäume und ſcheucht die Thiere aus ihren
Lagern auf; in dichten Schaaren mit geſträubtem Haar, mit
ſchreckentflammtem Blick, mit lechzender Zunge, ſtürzen ſie
hervor und ſcheinen ihre ſonſtige Natur vergeſſen zu haben,
indem Bär und Büffel, Panther und Reh, Wolf und
Schaaf, neben einander im großen Knäuel eine von der all¬
gemeinen Gefahr erzwungene Friedfertigkeit athmen. Im
Entſetzen dieſer fliehenden Beſtien malt ſich die Wuth des
hölliſchen Elementes.

Thiere im Kampf mit einander können nur dann er¬
haben werden, wenn ſie groß ſind. Ein kleines Thier kann
ſehr ſtark und muthig ſein, allein ſeine Kraft kann nicht
den Schein ſich aus ſich ſelbſt erzeugender und ſich in ſich er¬
neuernder Unendlichkeit gewinnen. Ein Hahnenkampf iſt nichts
Erhabenes. Der Gegenkampf kleinerer und ſchwächerer
Thiere gegen größere und ſtärkere eben ſo wenig. Die Maus
unter den Tatzen der Katze, der Haſe in den Klauen des
Geiers, die Taube unter den Zähnen des Marders zittern
ihrem gewiſſen Untergange entgegen. Man kann ſie darin
auch nicht häßlich nennen, denn der Kampf iſt ungleich. —
Der Naturmacht gegenüber ſollte der Menſch ſeine Freiheit

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[191/0213] Mutter will dies die Kinder nicht laſſen; das eine, ein Säugling, umſchlingt die Bruſt; das andere hängt ſich an die Haare der Mutter; ſchon hat dieſe den Fuß auf den Felsrand geſetzt, allein die Laſt iſt zu groß, der Aſt wird gänzlich brechen — und alle werden ihr Grab gemeinſam finden; noch im Tode wird die Familie Eines ſein. Das Thier kann in ſolchen Situationen nur den Inſtinct der Selbſterhaltung ohne jede andere Rückſicht walten laſſen, wie ein neuerer Deutſcher Maler uns z. B. einen Waldbrand gemalt hat. Mit nimmerſattem Rachen verzehrt das Feuer Sträucher und Bäume und ſcheucht die Thiere aus ihren Lagern auf; in dichten Schaaren mit geſträubtem Haar, mit ſchreckentflammtem Blick, mit lechzender Zunge, ſtürzen ſie hervor und ſcheinen ihre ſonſtige Natur vergeſſen zu haben, indem Bär und Büffel, Panther und Reh, Wolf und Schaaf, neben einander im großen Knäuel eine von der all¬ gemeinen Gefahr erzwungene Friedfertigkeit athmen. Im Entſetzen dieſer fliehenden Beſtien malt ſich die Wuth des hölliſchen Elementes. Thiere im Kampf mit einander können nur dann er¬ haben werden, wenn ſie groß ſind. Ein kleines Thier kann ſehr ſtark und muthig ſein, allein ſeine Kraft kann nicht den Schein ſich aus ſich ſelbſt erzeugender und ſich in ſich er¬ neuernder Unendlichkeit gewinnen. Ein Hahnenkampf iſt nichts Erhabenes. Der Gegenkampf kleinerer und ſchwächerer Thiere gegen größere und ſtärkere eben ſo wenig. Die Maus unter den Tatzen der Katze, der Haſe in den Klauen des Geiers, die Taube unter den Zähnen des Marders zittern ihrem gewiſſen Untergange entgegen. Man kann ſie darin auch nicht häßlich nennen, denn der Kampf iſt ungleich. — Der Naturmacht gegenüber ſollte der Menſch ſeine Freiheit

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/213>, abgerufen am 24.11.2024.